Harold Christus

War Jesus ein WASP?

  • Jana Talke
  • Lesedauer: 4 Min.
Viele Texaner imaginieren den Gottessohn als Angelsachsen – Zweitname: Harold.
Viele Texaner imaginieren den Gottessohn als Angelsachsen – Zweitname: Harold.
Talke talks

News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

Howdy aus Texas, liebe Lesende, wie erzieht man einen Deutschen? Langsam beginne ich es zu vergessen, denn ich erziehe hier eine kleine Amerikanerin. Und dabei gilt zu beachten, dass man von allem mehr braucht, als man in Deutschland brauchen würde: mehr Aktivitäten, mehr Snacks, mehr Klamotten, mehr Spielsachen, mehr Monogramm, mehr Aspartam. Wenn Sie mit dieser Kolumne vertraut sind, wissen Sie, dass ich die USA trotzdem als viel kinderfreundlicher empfinde als Deutschland. Unvergessen ein kindlicher Anfall im Hamburger Alsterhaus: Meine Tochter schmiss sich hin, schrie, wollte etwas haben, wusste aber selbst nicht, was (vielleicht war sie auch einfach schockiert von der Stillosigkeit der Hamburger?). In Texas werden solche Ausraster mit Großmut behandelt. Dann kommt immer irgendjemand vorbei und sagt etwas Aufheiterndes wie: »Hat mein Sohn früher auch immer gemacht. Das geht vorbei. Mit 18, wenn sie ausziehen!« Einmal bot eine mutige Dame meiner Tochter inmitten ihres Tobsuchtsanfalls in der Mall gar einen Lolli an; dank dieser Geste vergaß das Kind, warum es schrie. Vergessen werde ich die Reaktionen der Menschen im Alsterhaus dagegen nie. Blicke von Abscheu trafen mich wie heiße Kartoffeln, eine Frau zeigte gar mit dem Finger auf meine damals Dreijährige. Solche Mörderblicke verteile ich aber auch, wenn ich in der Hamburger Oper mal wieder Rucksäcke, Sandalen mit Socken oder Regenjacken sichte. Vielleicht sollte ich den Fingerzeig ebenfalls in mein Mode-Shaming-Repertoire aufnehmen.

Was ist sonst wichtig, wenn man in den USA aufwächst, und vor allem im Süden, dem »Bible Belt«? Dieser Witz fasst es zusammen: Treffen sich zwei Geistliche, ein französischer und ein amerikanischer. Sagt der Franzose: »Wissen Sie, was der Unterschied zwischen unseren beiden Ländern ist? In Frankreich haben wir zwei christliche Religionen und 1000 Käsesorten, Sie dagegen in den USA haben zwei Käsesorten und 1000 christliche Religionen!« Und genau so kommt es einem vor, wenn man hier lebt, umgeben von Methodisten, Adventisten, Baptisten, Anglikanern, Presbyterianern, Episkopalisten und Eskapisten. Käse dagegen? Pasteurisiert statt importiert. Oft gibt es nur die Auswahl zwischen Cheddar, dem Lieblingskäse meiner Tochter, und dem »Swiss«, der seinem Namen definitiv nicht gerecht wird. Reformierte Christen beherrschen die molkearmen Vereinigten Staaten so weit, dass sie andere Christen, die vor ihnen da waren, also Katholiken und Orthodoxe, als Nichtchristen zu bezeichnen wagen. Je jünger die Religion, desto wahrer? Heinrich XVIII. soll seine Ehefrauen nicht umsonst geschieden und geköpft haben! Apropos Henry: Viele Amerikaner scheinen auch zu denken, Jesus sei ein WASP (weißer angelsächsischer Protestant) gewesen. »Jesus H. Christ!« ist hier ein beliebter Ausruf des Unmuts und viele meinen tatsächlich, dass das »H.« für Harold (also Hafrry) stünde und nicht, wie Wissenschaftler annehmen, dem Christogramm entlehnt ist. Jesus, König der Juden und Angelsachsen? Wir sind im Land der unbegrenzten Möglichkeiten!

Obwohl ich Atheistin bin, finde ich es trotzdem wichtig, meiner Fünfjährigen die Religionen um uns herum bestmöglich zu erklären. Letztens mussten wir für ihren Kinderkurs in eine katholische Kirche. Leider haben wir in Texas die hässlichsten Gotteshäuser der Welt, also konnte ich ihr nichts zur Kunst und Architektur des klimatisierten Kirchencontainers sagen. Aber eine andere Gelegenheit bot sich: Meine Tochter sah einen Priester herauskommen (gehüllt in ein Polyestergewand, ausgestattet mit Headset und Lackschuhen) und schrie (zum Glück auf Deutsch): »Ist das ein Mönch?« »Nein, das ist ein Priester«, entgegnete ich. »Wo geht er hin?«, wollte die Neugierige wissen. »Nach Hause«, spekulierte ich. »Zu seiner Frau!«, behauptete meine Tochter. »Er darf keine haben«, musste ich entgegnen. »Warum darf der Mönch keine Frau haben?«, brüllte meine Tochter ihm hinterher. Ich warte noch ein bisschen, bis ich ihr den Irrsinn des Zölibats erkläre. Vielleicht passt der Kölner Dom als Schauplatz für dieses Gespräch. Vor allem müssen wir nächstes Mal, wenn wir in Deutschland zu Besuch sind, an die Käsetheke.

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