Libyen verbietet Frontex-Flüge

Flugzeuge ignorieren Anweisungen, Drohnen befolgen sie

Im Ärmelkanal flog eine Maschine der dänischen Luftwaffe für Frontex, im Mittelmeer werden dafür private Firmen beauftragt.
Im Ärmelkanal flog eine Maschine der dänischen Luftwaffe für Frontex, im Mittelmeer werden dafür private Firmen beauftragt.

Zehn Monate konnte ein Flugzeug der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch im vergangenen Jahr nur eingeschränkt aufklären, nachdem Behörden aus Tripolis mehrfach den Einflug in das libysche Fluginformationsgebiet im zentralen Mittelmeer untersagt hatten. Erst im Januar nahm Sea-Watch die Flüge wieder auf und bleibt seitdem unbehelligt.

Auch Frontex war in sechs Fällen von derartigen Verboten betroffen. Das geht aus einer Antwort von Frontex auf eine parlamentarische Anfrage der EU-Abgeordneten Özlem Demirel hervor. Darin heißt es auch, dass die Anordnung zweimal ignoriert wurde.

Am 24. Januar und am 11. Februar 2022 hätten Frontex-Drohnen demnach ihre Route geändert, nachdem sie dazu aus Libyen aufgefordert worden waren. Ebenfalls am 11. Februar, am 23. Februar und zweimal am 7. September habe die Anordnung bemannte Flugzeuge betroffen. In den ersten beiden Fällen habe die libysche Flugverkehrskontrolle eine Vorabgenehmigung für den Einflug verlangt, daraufhin drehten die Piloten ab. Am 7. September hätten libysche Fluglotsen »ohne Angabe von Gründen« davor gewarnt, in ihr Kontrollgebiet einzufliegen. »In Ermangelung einer Rechtfertigung« habe das Frontex-Flugzeug die geplanten Flüge aber fortgesetzt, »ohne erneut gewarnt zu werden«.

In Fluginformationsgebieten über der Hohen See müssen die jeweiligen Anrainerstaaten einen Informations- und einen Alarmdienst für Flugzeuge anderer Staaten bereitstellen. Anders als über ihrem Hoheitsgebiet können die Regierungen dort – wie in ihren Seenotrettungszonen – keine Anordnungen erteilen. Das bestätigt der auf Luftrecht spezialisierte Professor Elmar Giemulla auf Anfrage des »nd«. Demnach darf Libyen auch Sea-Watch und Frontex keine Flüge verbieten. So sehen es auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, die zu der Frage ein Gutachten veröffentlicht haben.

Die Gründe für die Anweisungen aus Libyen sind nicht bekannt. Möglicherweise wollte sich die für Menschenrechtsverletzungen gegenüber Geflüchteten bekannte Küstenwache bei ihren Einsätzen nicht beobachten lassen. Allein am 11. Februar 2022 haben die libyschen Einheiten drei Boote abgefangen und die Insassen ins Land zurückgebracht. In zwei Fällen soll dabei das aus Italien geschenkte Patrouillenschiff »Ubari« genutzt worden sein. In einem anderen Fall war ein Schiff des »Stability Support Apparatus« eingesetzt. Dabei handelt es sich um eine Einheit, die 2021 von einem berüchtigten Milizenführer gegründet wurde und offiziell der Regierung untersteht.

Für ihre eigene Luftaufklärung beauftragt Frontex private Betreiber. Flugzeuge werden etwa bei der britischen DEA gechartert, die Firma ist auf Missionen für »Information, Überwachung und Aufklärung« spezialisiert und fliegt auch für EU-Militärmissionen – teilweise mit demselben Flugzeug, das auch für Frontex eingesetzt wird.

Drohnenflüge bestellt Frontex bei Airbus. Die Rüstungssparte des Konzerns mit Sitz in Bremen erfüllt derzeit in Malta und auf Kreta zwei Frontex-Aufträge mit jeweils einer großen Militärdrohne vom Typ »Heron 1« aus Israel. In den beiden Ländern sind die Drohnen für die dortige Luftwaffe registriert. Techniker von Airbus starten, fliegen und landen die Drohnen und sind auch für die Übermittlung der Aufklärungsdaten verantwortlich.

Die von Frontex beauftragten Betreiber der Drohnen und Flugzeuge stellen auch die »Pilots in Command«. Sie sind für die Einhaltung aller Vorschriften zur Durchführung des Flugbetriebs zuständig und entscheiden somit auch über die Befolgung oder Missachtung von Flugverboten.

Fragen dazu beantworten die Firmen jedoch nicht. Die britische DEA hat auf eine Mail des »nd« nicht reagiert. Airbus habe die Anfrage »gemäß unserer Kommunikationsvereinbarung mit Frontex an Frontex weitergeleitet«, heißt es, und lehnt eine Stellungnahme ab.

Über ordentliche Presseanfragen lassen sich die ominösen Flugverbote aber nicht aufklären. Denn Frontex antwortete dem »nd« lediglich: »In den Fällen, in denen die libyschen Behörden eine solche Aufforderung nicht begründeten, setzten die Flugzeuge ihre Flüge jedoch fort und kamen der Aufforderung nicht nach.«

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