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  • »Einige Monate in meinem Leben«

Michel Houellebecqs peinliche Posse

Wie Michel Houellebecq eine peinliche Episode zu verarbeiten versucht: »Einige Monate in meinem Leben«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Autor Michel Houellebecq 2017 in New York.
Der Autor Michel Houellebecq 2017 in New York.

Bislang lag es nahe, Michel Houellebecq gegen seine Kritiker mit dem fulminanten ersten Satz aus »Monsieur Teste« von Paul Valéry zur Seite zur stehen: »Dummheit ist nicht meine Stärke.« Zu vordergründig ungerecht schienen viele der Anwürfe gegen ihn. Warum sollte er denn nicht über Sex schreiben, über die digitale Welt als neuer Sekte sinnieren oder den Islamismus als fanatische Ideologie beschimpfen? Aber die Themen schienen für mich immer eher zweitrangig. Erstrangig war Houellebecq als Stilist, sein Sensorium für den Zeitgeist, seine große Belesenheit und seine sich nicht selten mit Derbheit maskierende Intelligenz. Seine Polemiken folgten keiner Ideologie, sondern waren in eigenem Auftrag geschrieben. Solche Autoren wünscht sich doch jeder, der sich lesend nicht vorsätzlich langweilen will.

Den eigenen Auftrag immerhin kann man auch seinem jüngsten, sehr schmal geratenem Buch bescheinigen: »Einige Monate in meinem Leben«. Es handelt sich um die Zeit zwischen Oktober 2022 und März dieses Jahres. Er kreist darin ausschließlich um sich selbst. Auch das ist erst einmal noch nichts Nachteiliges, denn wie schon Gottfried Benn wusste, reden Schriftsteller immer über sich selbst, wenn sie nicht schweigen können. Die Frage, ob das Resultat dann Geschwätz oder aber Dichtung ist, liegt allein in der Art des Schreibens. Kunst ist Arbeit. Leider hat sich in Houellebecqs neuem Buch der Akzent sehr weit hin zum privatimen Geschwätz verschoben, verpulvert er darin die Sympathien seiner Anhänger durch einen Text, der sich wie die unbeholfene Beichte eines reuigen Sünders liest, die ab und zu durch aggressive Ausbrüche unterbrochen wird.

Gleich zu Beginn dementiert er das, was er an Islamismuskritik im Gespräch mit dem Philosophen Michel Onfray für die Sonderausgabe der Zeitschrift »Front Populaire« noch Anfang dieses Jahres geäußert hat. Die Begründung klingt obskur, wie fast alle im weiteren von ihm vorgebrachten Rechtfertigungen abwegig klingen: Er habe das Gespräch nicht gegengelesen und sei im Nachhinein selbst betroffen über die Aggressivität seiner Worte. Ein Autor, der seit dem Skandal um »Unterwerfung« weiß, wie heikel das Islam-Thema ist, liest seinen Text nicht gegen? Das scheint zumindest erstaunlich unprofessionell.

Oder ist da doch eine bislang verborgene gebliebene Professionalität am Werk, die ihn nun Sätze wie diesen schreiben lässt: »Die Dummheit liegt also nicht bei den Muslimen, sondern bei der altvertrauten Meute der Medienschwachköpfe, die mir im Nacken sitzen.« Irgendwie glaube ich seinem plötzlichen Sinneswandel nicht so recht. Zumal nach den Gewaltausbrüchen im einst »roten Banlieue« von Paris die Frage nach dem Umgang der Gesellschaft mit jugendlichen Migrantengruppen brisanter denn je ist. Houellebecq als notorischer Provokateur ist dabei bislang nicht gerade durch eine ausgleichende Position aufgefallen. Die Rede ist nun von einer Marokko-Lesereise, wo seine Bücher großen Anklang fänden. Aber aus Furcht vor einem Anschlag musste er absagen.

Houellebecq bedient nach wie vor sein Außenseiter-Image. Er sei einer, der ständig damit kämpft, missverstanden zu werden. Fotos, auf denen er sich wie ein Clochard ohne Zähne (ein zum Fototermin »vergessenes« Gebiss) im alten abgewetzten Parka zeigt, bestimmen das Bild des Autors. Da ist einer, dem man gern zehn Euro spenden möchte, damit er nicht aufgibt gegen die schnöde Welt anzuschreiben. Manche hielten das immer schon für pure verkaufsfördernde Folklore. Aber nun scheint er damit etwas zu erfolgreich geworden zu sein, der Mainstream hat ihn offensichtlich verschluckt. Denn soeben stand er auf dem Titel reiner Finanzmagazine. Der Autor hat im letzten Jahr gut 43 Millionen Euro verdient, sein Vermögen wird auf etwa 145 Millionen Euro geschätzt. Damit steht er auf Platz eins der vermögendsten Autoren weltweit. Jetzt grüßt ihn sogar (wie er amüsiert bemerkt) Gerard Depardieu, der den Tanz um Goldene Kalb noch einträglicher beherrscht.

Houellebecq gründet keine Verlage oder Zeitschriften, auch keine gemeinnützigen Stiftungen, sondern in Paris die »Fat Houellebecq Burger«-Kette , er kreiert eine eigene Wodka-Marke »Pure Wonderhouellbecq«, sogar ein Parfüm mit dem peinlichen Namen »Von Michel mit Liebe« – all das, was sonst zu allzu viel Geld gekommenen Mediensternchen einfällt. Aber ein Autor, der sich wie kein anderer als Kritiker des konformistischen Zeitgeistes inszeniert?

Egal, soll er verdienen, wie viel er will und damit machen, was er will, wenn er nur gute Bücher schreibt. Schreibt er sie noch? Nun ja, sein letztes dicklich geratenes Buch »Vernichten« las sich passagenweise schon so, als wäre es ein nachgelassenes Werk von Johannes Mario Simmel. Nun also endlich wieder ein schmales Buch, ein Essay, mit dem er, so hofft der Leser, wieder an seine radikale Kulturkritik aus »Die Welt als Supermarkt« anknüpft?

Leider nicht, denn nachdem er sich für seine pauschalen Islam-Beschimpfungen ausgiebig entschuldigt hat, mit langen Zitaten aus den verfehlten Passagen samt nachgereichter Korrekturen, sind wir immer noch erst auf der siebzehnten von insgesamt hundertsechs Seiten. Was jetzt kommt, ist betrüblich. Denn es ist das zerfahrene Geständnis einer banalen Torheit, die nicht der gedruckten Rede wert ist.  

In ultimativer Kurzfassung nun das, wovon die nächsten knapp neunzig Seiten handeln. Leider ist es kein kühl-dokumentierender Bericht über den »Houellebecq-Porno« geworden, auch keine lustvolle Farce mit sich selbst als Hauptdarsteller. Man muss das nicht im Detail lesen, es hat wenig Erkenntniswert.  

Ein niederländischer Künstler sei im Zusammenhang mit dem Science-Fiction-Autor Lovecraft auf ihn zugetreten und habe ihn überredet, an einem Filmprojekt mitzuwirken. Klingt interessant. Dass es sich dabei um einen Porno-Film handeln sollte, mit ihm als Hauptdarsteller, war offenbar kein Geheimnis. Dennoch reist er nach Amsterdam, unterscheibt, ohne ihn recht gelesen zu haben, einen Vertrag, der ihn gefangen setzt. Die Beteiligten, von denen er sich dann erpresst fühlt und gegen die er dann umgehend prozessiert, nennt er im Folgenden bloß »der Kakerlak«, »die Sau« und »die Viper«. Aber eine neue »Farm der Tiere« wird daraus nicht.  

»Die sexuelle Begegnung fand also statt, sie erstreckte sich über zwei Stunden und wurde vom Kakerlak gefilmt. Ich war bald ernüchtert.« Viel mehr als larmoyante Vorwürfe gegen abgebrühte Geschäftemacher, die mit seinem Namen einen Skandal anzetteln wollen, fällt ihm nicht ein. Da hilft es dem Text auch nicht, dass er in einer Nebenbemerkung darauf verweist, wie sehr er Theodor Fontane bewundere, der schließlich alle seine großen Romane erst mit jenseits der sechzig geschrieben habe.

In früheren Jahren hätte er vielleicht auch aus der »Porno-Affäre« noch ästhetische Funken schlagen können, aber hier fehlt die Distanz zu sich selbst und zu denen, über die er schreibt, von Ironie, gar Witz nicht zu reden. Immerhin verschafft ihm das eine Erfahrung, die neu für ihn zu sein scheint: Er habe sich benutzt, geradezu missbraucht gefühlt. Da gelingt dann doch ein sinnfälliger Satz: »Zum ersten Mal fühlte ich mich wie der Gegenstand einer Tierdokumentation; es fällt mir schwer, diesen Augenblick zu vergessen.«  

Den Vorsatz einer ehrlichen Abrechnung mit sich selbst will man Houellebecq glauben. Jedoch die Mittel dazu entgleiten ihm völlig. Aber vielleicht kommt er in einem Jahr schon wieder wie neu voller Wortlust aus dem Loch gekrochen, in das er hier gestürzt ist, dann mitsamt einem brillant formulierten Text? 

Michel Houellebecq, Einige Monate in meinem Leben, Dumont Verlag, 106 S., geb., 20 €.
Von Gunnar Decker erschien 2022 »Houellebecq. Das Ungeheuer« im Verlag Matthes & Seitz.

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