- Kommentare
- Standpunkt
Nicht offensiv genug
Rainer Balcerowiak über den Schlichterspruch bei der Bahn
Dass Gewerkschaften als brüllende Tiger in Tarifverhandlungen hineingehen und dann als Bettvorleger landen, ist leider keine Seltenheit. Wobei die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in früheren Jahren in der Regel bereits zu Beginn von Verhandlungen ihre »sozialpartnerschaftliche Verantwortung« betonte. Das war diesmal anders. Angesichts des im vorherigen Tarifvertrags akzeptierten Reallohnabbaus und der hohen Inflation wäre eine derart defensive Herangehensweise den Mitgliedern kaum zu vermitteln gewesen. Die Ausgangsforderung nach 650 Euro mehr Lohn bei zwölf Monaten Laufzeit entsprach durchaus der Stimmung an der Basis, wie auch die Beteiligung an zwei flächendeckenden Warnstreiks zeigte. Da die Deutsche Bahn AG bei den monatelangen Tarifverhandlungen wenig Bereitschaft zu substanziellen Zugeständnissen zeigte, war der Abbruch der Verhandlungen und die Ankündigung einer Urabstimmung über unbefristete Streiks daher folgerichtig.
Doch schnell wurde klar, dass dieses Getöse nicht ernst gemeint war. Statt den Konzern mit der Urabstimmung und weiteren Streiks massiv unter Druck zu setzen, suchte man nach einer Exit-Strategie und stimmte dem Vorschlag der Bahn zu einer Schlichtung postwendend zu. Damit war die Luft aus diesem zeitweise recht zugespitzt wirkenden Konflikt schlagartig raus.
Natürlich bedeutet der voraussichtliche Abschluss für viele Beschäftigte bei der Bahn eine spürbare Verbesserung, sowohl die Tabellenentgelte als auch die Einmalzahlung betreffend. Aber etwas genauer betrachtet reicht er bei weitem nicht aus, um die Lohneinbußen in den vergangenen zwei Jahren auszugleichen. Offensive Tarifpolitik sieht jedenfalls anders aus.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!