- Politik
- Verhältnisse an den Universitäten
Der Elfenbeinturm stürzt ein
Von Machtmissbrauch bis zum Streik: Die Realität ist in den Universitäten angekommen
Universitäten sind traditionell ein erhabener Ort. Wahlweise gelten sie als abgeschiedene Studierstube, um unberührt von den Zwängen der Welt dem Leitbild der Kontemplation, Objektivität und Weisheit zu folgen, oder bloß als abgehoben und realitätsfremd. Die Enthobenheit von der profanen Wettbewerbsgesellschaft und Lohnarbeit dürfte für viele die Anziehungskraft einer sozial- oder geisteswissenschaftlichen Laufbahn ausmachen.
Die meist als Bürgerkinder in die Welt Gefallenen lockt der Nimbus, zu etwas Höherem berufen zu sein, der Geniekult und die Freigeistigkeit. Dass sich dahinter meist nur narzisstische Persönlichkeiten sowie entgrenzte und prekäre – aber immerhin frei einteilbare – Arbeit verbergen, müsste im Laufe der Karriere eigentlich allen dämmern. Oft hält einen aber die eigene Pfadabhängigkeit bei der Stange: Was soll man denn, überausgebildet und marktunerfahren, sonst machen?
Das Phantasma der Erhabenheit aber ist nicht aufrechtzuerhalten. Längst ist die Realität in die Universitäten eingebrochen, dass diese knietief in den Widersprüchen kapitalistischer Vergesellschaftung und patriarchaler Herrschaft stecken. Eine Umfrage des Projekts UniSAFE hat ergeben, dass unter 42 000 europäischen Befragten 62 Prozent geschlechtsspezifische Gewalt an Universitäten erfahren haben. Auch der jahrelange Machtmissbrauch und die sexuelle Übergriffigkeit eines Dozenten an der HU hat zwar empört, aber nicht überrascht. Die Universität hatte für ihn eigens die Auflage eingerichtet, Sprechstunden nur in Anwesenheit der Frauenbeauftragten zu führen.
Auch dass irgendeine Alternative zu zermürbender Lohnarbeit an den Universitäten zu holen sei, ist Illusion durch und durch. Kaum eine Ökonomie kennt solch scharfen Wettbewerb und »Bestenauslese«, bei der man mit 40 Jahren immer noch nicht weiß, ob man die eigene Laufbahn eigentlich Karriere nennen kann. Von Großbritannien, wo flächendeckend die Geisteswissenschaften abgebaut werden, bis nach Jena, wo die Universität 100 Stellen einzusparen plant – es herrscht Austerität.
Kein schöner Ort, dieser Elfenbeinturm. Zunehmend wird es auch für jene eng, die sich traditionell den Aufenthalt leisten konnten, weil gutes Elternhaus oder Aussicht auf Immobilienerbe die existenziellen Zwänge mildern. Die wenigen prekären Wissenschaftsstellen – auf denen einem bei halb bezahlter Arbeitszeit neben der eigenen exzellenten Forschung noch die Geschäftsführung des drittmittelfinanzierten neuen Forschungsinstituts aufgebrummt wird – sind immer schwerer zu vermitteln. Der Fachkräftemangel, witzelt man in entsprechenden Kreisen, habe auch die Universität erreicht.
Ein Gutes hat die ganze Schlechtigkeit. Auch reale gesellschaftliche Auseinandersetzungen – um nicht zu sagen Kämpfe – kommen zunehmend an die Universität: Von #Metoo über #ichbinhanna bis zu handfesten Streiks. Gegenwärtig rufen Vortragende der diesjährigen Großkonferenz der American Political Science Association (APSA) in Los Angeles dazu auf, die Teilnahme zu verweigern. Grund: die Teilnehmenden müssten in jenen Hotels übernachten, die gerade vom größten Hotelstreik der modernen Geschichte der USA betroffen sind. Der Elfenbeiturm soll dabei keine Ausnahme bilden.
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