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Die blockierte Zukunft von Pödelwitz
Ein Verein will das sächsische Kohledorf wiederbeleben, doch die Häuser gehören einem Bergbaukonzern
Es gibt jetzt mehr Vögel in Pödelwitz. Man habe Dutzende Nistkästen an Bäumen und Fassaden aufgehängt, sagt Jens Hausner, einer der 25 verbliebenen Bewohner des Dorfes südlich von Leipzig. Der Gesang der Vogelschar am Morgen ist beeindruckend: »Wer einmal hier geschlafen hat, vergisst das nicht.« Hausner, ein Grüner mit Leib und Seele, freut sich über die gewachsene Biodiversität. Allerdings fügt er auch hinzu: »Das ist nicht unser Hauptaugenmerk.«
Das, worum es ihm und seinen Mitstreitern vorrangig geht, ist eine Wiederbelebung des Dorfes. Jahrelang drohte der über 700 Jahre alte Ort der Braunkohle zum Opfer zu fallen. Die Bagger des vom Kohleförderer Mibrag betriebenen Tagebaus Vereinigtes Schleenhain haben sich bereits bis an den Ortsrand herangefressen. Die meisten Bewohner hatten angesichts dessen vor Jahren in eine Umsiedlung eingewilligt. Sie verkauften ihre Gehöfte an die Mibrag und zogen um in ein von dieser im Nachbarort erschlossenes komfortables Wohngebiet.
Dann kam die Wende. Die Entscheidung zum deutschen Kohleausstieg bis spätestens 2038 durchkreuzte Pläne der Mibrag, den Tagebau bis 2040 laufen zu lassen. Zudem gab es politischen Druck. In der seit 2019 in Sachsen regierenden Koalition mit CDU und SPD setzten die Grünen einen Passus im Regierungsprogramm durch, man wolle »den Ort Pödelwitz erhalten und die Inanspruchnahme der Ortslage vermeiden«. Anfang 2021 jubelte das Wirtschaftsministerium nach Gesprächen mit der Mibrag: Pödelwitz bleibt.
Zweieinhalb Jahre später ist die Euphorie verflogen. Der Ort steht zwar noch, ist aber von Leerstand und Verfall geprägt. 33 der 40 Häuser gehören der Mibrag. Ihre Fenster sind blind, die Höfe zugewuchert. Eine Scheune sei bereits eingefallen, sagt Nora Mittelstädt vom 2021 gegründeten Verein »Pödelwitz hat Zukunft«. Dieser verzeichnet zwar kleine Fortschritte. So wird eine Garage seit einem Jahr als Bürgerhaus genutzt. Generell aber, sagt Mittelstädt, werde die Kraft der Vereinsmitglieder »gedämpft durch die Unmöglichkeit, die Räume im Ort zu nutzen«.
Dabei haben sie sich viel vorgenommen. Pödelwitz soll ein Modelldorf für den Strukturwandel in den Braunkohlerevieren werden. Ein visionäres Konzept wurde aufgeschrieben, Arbeitsgruppen entwickeln Ideen. Die Rede ist von einem Ort, in dem Menschen gemeinschaftlich leben und arbeiten, mit solidarischer Landwirtschaft, Dorfkantine und Backhaus. Kern des Konzepts ist die Idee, ein Wohnprojekt für autistische Menschen einzurichten, in dem 25 bis 30 Menschen Arbeit finden könnten.
An Interessenten mangelt es nicht: Schon jetzt kommen Besucher an sonnigen Sonntagen in Scharen in das Dorf. Der Verein versucht sie in die konzeptionelle Arbeit ebenso einzubeziehen wie die verbliebenen, oft schon betagten Dorfbewohner. Er richtet »Kuchensonntage« aus, bei denen man ins Gespräch kommen kann, organisiert Dorfversammlungen und Zukunftsgespräche. Sachsens Ministerium für Justiz und Demokratie unterstützt die Aktivitäten und ernannte Pödelwitz zu einem von bislang 13 »Orten der Demokratie« im Freistaat, die jeweils für drei Jahre mit bis zu 300 000 Euro gefördert werden. Man wolle die Bewohner in ihrem Bemühen unterstützen, dass »nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden« werde, sagt Ministerin Katja Meier (Grüne), die zugleich mahnt, auch in der Kommunalpolitik um Mehrheiten für die Zukunftsideen zu werben.
Das beherzigt der Verein und verzeichnet erste Erfolge: In Rathaus und Landratsamt werde man inzwischen als Gesprächspartner ernst genommen, heißt es. Für das Kernproblem aber gibt es weiterhin keine Lösung: Die Häuser gehören der Mibrag, die kein Interesse erkennen lässt, auf dieses Eigentum zu verzichten – womöglich, weil man auf eine Wertsteigerung nach Ende des Kohlebergbaus spekuliert, wie Kritiker mutmaßen. Ein Kaufangebot des Vereins für einen Straßenzug wurde abgelehnt. Im September soll unter dem Dach einer regionalen Strukturentwicklungskommission immerhin die Arbeit an einem Konzept zur Dorfentwicklung beginnen. Doch das dürfte ebenso langwierig sein wie Gespräche zwischen Mibrag und Umweltministerium, auf die Ministerin Meier verweist. Derweil schreitet in den Pödelwitzer Häusern der Verfall weiter voran, Mauern werden nass, Ziegel fallen von den Dächern. »Die Zeit«, sagt Jens Hausner, »spielt gegen uns.« Daran ändert auch der schönste Vogelgesang nichts.
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