Inklusion: Brücken in den allgemeinen Arbeitsmarkt

Inklusionsbetriebe bieten Menschen mit Behinderung einen Weg aus den Werkstätten heraus

  • Margit Glasow
  • Lesedauer: 4 Min.

Man sieht Alexander Till an, dass er zufrieden ist. Der Verkaufshelfer ist seit einiger Zeit 40 Stunden die Woche im CAP-Markt in der Seidelstraße in Rostock beschäftigt: Mal sitzt er an der Kasse, mal räumt er Ware in die Regale, kontrolliert das Mindesthaltbarkeitsdatum der Produkte, fegt und wischt auch mal die Verkaufsräume. Sein bisheriger Weg war nicht einfach.

Der 29-Jährige war zuvor einige Jahre als Gärtner in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig. Das gefiel ihm nicht, er wollte nicht in einer Sonderwelt nur mit behinderten Menschen arbeiten. Er wollte ein normales Arbeitsleben – mit einem sicheren Arbeitsplatz, der ihm ein unabhängiges Leben ermöglicht, und nicht nur ein Taschengeld verdienen. Er wollte von Kollegen und Kunden anerkannt werden. Doch in der Werkstatt sagte man ihm deutlich: »Du wirst auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nie Fuß fassen.«

Alexander Till ließ sich davon nicht beirren; er suchte sich einen Praktikumsplatz und fand ihn im CAP-Markt in der Seidelstraße. Das entsprach seinen Vorstellungen. Und da er mit seinem Engagement überzeugte, erhielt er eine Festanstellung: »Ich bin froh, dass ich hier arbeiten darf. Man ist einen Großteil seines Lebens auf Arbeit. Und hier ist es ein bisschen wie Familie.«

Der CAP-Markt im Rostocker Hansaviertel ist einer von fünf Märkten dieser Art in Mecklenburg-Vorpommern. Betreiber ist die Integra Güstrow GmbH. Dieses Tochterunternehmen der Diakonie Güstrow bietet Menschen, die eine Behinderung oder psychische Erkrankung haben, sozialversicherungspflichtige Arbeit. Deutschlandweit gibt es über 100 CAP-Märkte, in denen rund 1555 Mitarbeiter angestellt sind, rund die Hälfte davon mit Behinderungen. So wie Alexander Till arbeiten sie auf Positionen, die genau auf ihre Fähigkeiten abgestimmt sind.

Der Standort in der Seidelstraße ist bei vielen Kunden sehr beliebt: Die Sortimentsauswahl ist umfangreich, viel regional, viel vegan, viel Bio. Die Wege für ältere Menschen sind kurz, das Einkaufen für Familien mit Kindern stressfrei, und Menschen im Rollstuhl oder mit Gehbehinderungen finden hier die nötige Barrierefreiheit.

»Wir wollen die schwarze Null schreiben, das reicht«, erklärt Bezirksleiter Gordon Wagner. 40 bis 45 Prozent der Belegschaft sind Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung oder Depressionen. Die Mitarbeiter mit und ohne Behinderung fühlen sich hier wohl, die Fluktuation ist gering. »Wir können uns hier mehr Zeit nehmen und auch mal zuhören«, so Wagner. An erster Stelle stehe der Mensch. »Die Probleme sind keine anderen als bei Mitarbeitern ohne Behinderung«, ergänzt Marktleiter Florian Adler. »Natürlich muss der Laden laufen wie jeder andere auch.« Aber schon im Vorstellungsgespräch würde abgeklopft, ob die Mitarbeiter das nötige Verständnis füreinander aufbringen.

Die CAP-Märkte zählen zu den sogenannten Inklusionsbetrieben. Laut Paragraf 215, Sozialgesetzbuch IX sind sie rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Unternehmen zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Sie bieten den etwa 300 000 Werkstattbeschäftigten eine Alternative, die kein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis im herkömmlichen Sinn haben und nicht nach den Bestimmungen des Arbeits- und Tarifrechts arbeiten. Dort verdienen sie im Durchschnitt monatlich 209 Euro – für einen langen Arbeitstag, obwohl sie behinderungsbedingt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr als drei Stunden täglich tätig sein können, also eine volle Erwerbsminderung haben.

So ist Deutschland von einem inklusiven Arbeitsmarkt noch deutlich entfernt. Neben der ausgrenzenden Struktur der Werkstätten sind Menschen mit Behinderungen zudem auch erheblich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Und das, obwohl sie gut qualifiziert sind und öfter eine abgeschlossene Berufsausbildung haben.

Dennoch ist die Zahl der Inklusionsbetriebe überschaubar. Deutschlandweit gibt es etwa 1000 solcher Betriebe mit rund 30 000 Beschäftigten, etwa 12 500 von ihnen haben eine Schwerbehinderung; in Mecklenburg-Vorpommern sind es nur 15 solcher Betriebe. Ein Grund dafür dürfte sein, dass immer noch eine Reihe von Berührungsängsten gegenüber Beschäftigten mit Behinderungen existieren. Immer noch hält sich das Vorurteil, sie würden weniger leisten. Und immer noch wird der besondere Kündigungsschutz als ein Ausschlusskriterium für eine Beschäftigung angesehen.

»Wenn wir eine Veränderung wollen – weg von den Werkstätten, hin zu mehr Inklusionsbetrieben, so muss diese Initiative aus den Werkstätten heraus auf großer Ebene vorangetrieben werden«, ist Björn Kozik überzeugt. Das dürfe aber nicht dazu führen, dass die Fittesten unter den Menschen mit Behinderungen den Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt schaffen, jene aber, die viel zu schwer behindert sind, in den Werkstätten zurückgelassen werden. Das würde die Spaltung in der Gesellschaft weiter vorantreiben. Kozik ist Geschäftsführer der Integra Güstrow GmbH und Ansprechpartner für Mecklenburg-Vorpommern in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Inklusionsfirmen. Sie berät in allen relevanten Fragen der Beschäftigung von Menschen mit schweren Behinderungen, auch zur finanziellen Unterstützung. Die Menschen, so Kozik, müssten sich ausprobieren, gegebenenfalls auch in die Werkstätten zurückgehen können. Dieser Weg sei bisher versperrt geblieben.

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