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Jim O'Rourke: Abstrakt, aber greifbar

Plattenbau. Die CD der Woche: »Hands That Bind« von Jim O'Rourke

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Film ist hierzulande leider noch nicht zu sehen, Kyle Armstrongs »Hands that Bind« lief seit seiner Premiere 2021 nur auf Festivals außerhalb von Deutschland und Europa. Der Trailer verspricht ein Provinzdrama, angesiedelt im US-Farmer-Universum. Karge Landschaften, weite Himmel, Bruce Dern und Will Oldham vor der Kamera. Der Soundtrack, den der Multiinstrumentalist Jim O’Rourke für »Hands that Bind« geschrieben hat, ist einerseits abstrakt und andererseits ungemein atmosphärisch. Kargheit auch auf der Tonspur: poröse, trotzdem vehemente Drones (»Go Spend Some Time With Your Kids«, »Wasn’t There Last Night«), die sich langsam aufbauen, aber nie ins Konfrontative kippen.

Tracks wie »That’s Not How The World Works« ergeben so etwas wie eine sanfte, einhüllende, gleichwohl auch bedrohliche Krisenmusik. Die Dinge gehen auseinander, aber nicht mit einem Knall, sondern in sanftem unaufhaltsamen Fluss. Filmmusik (oder auch Musik generell), die ohne Text auskommt, semantisch aufzuladen, ist natürlich immer etwas heikel, gerade wenn man die dazugehörigen Bilder nicht kennt. Die Musik auf »The Hands That Bind« aber ist bei all ihrer Abstraktheit doch so greifbar, dass sie unmittelbar in der Herzgegend landet und sich mit Eigenem verbinden lässt.

Plattenbau

Die CD der Woche.

Weitere Texte unter:


dasnd.de/plattenbau

Zur Mitte hin und am Schluss wechselt Jim O’Rourke dann das Register: »A Man’s Mind Will Play Tricks On Him« und »One Way Or Antoher I’m Gone« sind jazzige Ambient-Stücke, die an die Musik des kanadischen Trios The Necks erinnern. Die beiden längsten Tracks, »Here is Where I Seem to Be / The Good Lord Doesn’t Need Paperwork« und »You Have No Idea What I Want« kommen langsam um die Ecke und tauchen den Raum in sanftes Schwarz.

»Hands That Bind« fügt sich in die unüberschaubare Diskografie Jim O’Rourkes wunderbar ein. O’Rourke, der nach Stationen in Chicago und New York inzwischen in Japan lebt, ist neben John Zorn der wohl vielseitigste Musiker im globalen Avantgarde-Treiben. Die Alben und Kooperationen sind zahllos: Tape-Collagen, Drone-Musik, Akustik-Gitarren-Improvisationen mit Loren Mazzacane Connors, Adult-Rock-lastiger Avant Rock (mit Loose Fur und auf diversen Solo-Alben), Gitarre und Sound für Sonic Youth und Wilco, Kunstfolkelektronik zusammen mit David Grubbs als Gastr del Sol, Noise mit Otomo Yoshihide und Oren Ambarchi, inzwischen 61 in der Steamroom-Serie auf Bandcamp veröffentlichte Alben, vollends entrückte Electronica gemeinsam mit Christian Fennesz. Und damit hat man dann nur den Fuß einmal ins Meer gesteckt.

Was all das zusammenhält, ist ein intuitives und einzigartiges Gespür für Atmosphären, das die Musik Jim O’Rourkes vor selbstzweckhaften Avantgarde-Gesten bewahrt. Auch die Musik auf »Hands that Bind« ist avanciert, durchdacht – und direkt spürbar. Sicher einer der schönsten Soundtracks des Jahres, der mit den Bildern genauso gut funktioniert wie für sich allein stehend.

Jim O’Rourke: »Hands That Bind« (Drag City/Indigo)

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