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Droht eine Entführung von Ngu­yen Thi Thanh Nhan?

Innenpolitischer Machtkampf setzt gesuchte Exil-Vietnamesin unter Druck

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war die einzige Entführung durch einen ausländischen Geheimdienst aus Deutschland seit der Ära des Kalten Krieges: Im Sommer 2017 entführte der vietnamesische Geheimdienst mitten in Berlin einen abtrünnigen vietnamesischen Wirtschaftsfunktionär. In einer geheimdienstlichen Aktion wurde er bis nach Hanoi gebracht. Dort sitzt der Mann, Trinh Xuan Thanh, eine lebenslange Haftstrafe ab.

In diesem Jahr könnte sich so etwas wiederholen. Denn erneut lebt jemand in Deutschland, der in Vietnam gesucht wird und von dem Politiker den Bürgern versprechen, die Person ins Gefängnis zu bringen. Diesmal ist es eine Frau, Nguyen Thi Thanh Nhan.

Die Rolle der 54-Jährigen kann man ein wenig vergleichen mit der von Alexander Schalck-Golodkowski für die DDR-Regierung: Sie brachte als Vorstandsvorsitzende der Außenhandelsfirma AIC Waren nach Vietnam, die das südostasiatische Land eigentlich nicht bekommen dürfte, hauptsächlich Rüstungsgüter.

Im Mai 2022 gab es Haftbefehle gegen die Außenhandelskauffrau, mehrere Mitarbeiter ihres Unternehmens AIC und lokale Gesundheitspolitiker. Es ging aber nicht um die Rüstungsgeschäfte, sondern um Betrug und Korruption bei den Ausschreibungen für den Bau eines Krankenhauses. Nhan und sieben ihrer Mitarbeiter schienen vorab informiert worden zu sein und waren da bereits auf der Flucht im Ausland. Ihr Hauptbuchhalter wurde im Juli 2023 von den Vereinigten Arabischen Emiraten, seinem Exilland, nach Vietnam ausgeliefert. Ein weiterer geflohener Mitarbeiter lebt in den USA, die einen Auslieferungsantrag Vietnams abschlägig entschieden haben. Der Verbleib der weiteren ist unbekannt.

Vietnam hat die Gesuchten im Januar in Abwesenheit zu langjährigen Haftstrafen verurteilen lassen. Nguyen Thi Thanh Nhan, die Chefin, wurde zu 30 Jahren Haft wegen Betrugs und Korruption verurteilt. Ihre nicht unerheblichen Vermögenswerte, darunter eine Villa in Hanoi, wurden eingezogen.

Israelische Medien vermuten hinter dem Haftbefehl allerdings einen Machtkampf zwischen dem Parteichef und dem Premierminister Vietnams – einen um Waffenkäufe. Israel hat sich zu einem wichtigen Waffenlieferanten Vietnams entwickelt, die Frau hatte die Geschäfte vermittelt. Parteichef Nguyen Phu Trong (79) würde allerdings Waffengeschäfte mit den traditionellen Partnern Russland und China präferieren, Premierminister Pham Minh Chinh (64) solche mit Israel, der Slowakei und anderen westlichen Staaten.

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Vor einem halben Jahr wurde der Autorin ein Papier aus Hanoier Verwaltungskreisen anonym zugespielt, das ebenfalls einen Machtkampf hinter der Verfolgung sieht. Dem Papier zufolge ist die gesuchte Frau die langjährige Mätresse von Vietnams Premierminister, der auf die Nachfolge des gesundheitlich angeschlagenen Parteichefs spekuliert. Die Verfolgung der nach Deutschland geflohenen Frau gehe dem Papier zufolge von Widersachern des Premiers um den Posten des mächtigen Parteichefs aus. Die außenwirtschaftlichen Kontakte der Frau seien ein wichtiger Pfeiler der Macht des Premiers.

Vietnam sucht die geflohene Frau mit Hochdruck, und die Fahndungsaufrufe in vietnamesischen Zeitungen erinnern an die Suche nach Trinh Xuan Thanh vor seiner Entführung 2017. Seit diesem Sommer weiß der vietnamesische Geheimdienst, dass sie in Deutschland ist. Die Bundesregierung hat nach Recherchen der »Taz« einen Auslieferungsantrag Vietnams abgelehnt. »Die vietnamesische Seite weiß ja nach der Geschichte von Trinh Xuan Thanh genau, dass sie aus Deutschland niemanden mehr ausgeliefert bekommen wird«, sagt jemand, der auf deutscher diplomatischer Seite damals damit zu tun hatte. Die vietnamesische Botschaft antwortete nicht auf Presseanfragen.

Doch wird Vietnam nach dem diplomatischen Desaster, das die Entführung Trinh Xuan Thanhs nach sich zog, noch einmal eine Entführung wagen? Dafür spricht, dass der vietnamesische Geheimdienst seitdem zwei vietnamesische Journalisten aus Thailand entführte. Beide sind in Vietnam inzwischen inhaftiert.

Dagegen spricht, dass die Mitarbeiter des vietnamesischen Geheimdienstes nicht mehr wie 2017 visafrei mit einem Diplomatenpass nach Deutschland einreisen können, um eine Entführung zu bewerkstelligen. Die Visafreiheit für Inhaber von Diplomatenpässen hat Deutschland 2017 aufgehoben.

Und: Die deutschen Sicherheitsbehörden wissen heute um die Gefahr, in der Nguyen Thi Thanh Nhan steckt, und schirmen sie ab. Mehrere Sicherheitsbehörden sind nach Recherchen der »Taz« mit dem Fall betraut und passen auf die Frau auf. Das Auswärtige Amt hat Vietnam bereits vor einem illegalen Eingriff auf deutschem Staatsgebiet gewarnt.

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