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Tandem-Silber in Glasgow für Förstemann/Ulbricht

Ex-Bahnradprofi Robert Förstemann wird mit seinem sehbehinderten Partner Thomas Ulbricht Zweiter im Sprint der Para-Athleten

  • Thomas Juschus, Glasgow
  • Lesedauer: 4 Min.
Erfoldsduo: Robert Förstemann (l.) und Thomas Ulbricht
Erfoldsduo: Robert Förstemann (l.) und Thomas Ulbricht

Der Traum vom Gewinn einer paralympischen Medaille lebt bei Robert Förstemann – nach dem Sprintrennen am Montag bei den Paracycling-Weltmeisterschaften 2023 in Glasgow mehr denn je: Zusammen mit seinem Partner Thomas Ulbricht gewann der Berliner Silber im Tandem-Sprint der Para-Athleten – Medaille Nummer zwei nach Bronze im paralympischen 1000-Meter-Zeitfahren mit dem Tandem (Startklasse B). Als Profi hatte Förstemann 2012 bei den Olympischen Spielen im Teamsprint bereits eine Bronzemedaille geholt.

Paralympisches Edelmetall im nächsten Jahr könnte für den 37-Jährigen der krönende Abschluss einer langen Karriere auf den Radsport-Ovalen dieser Welt werden – inklusive einer beachtlichen Wandlung in den vergangenen Jahren. 2006 fuhr Förstemann, der mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Neuenhagen bei Berlin lebt, seine erste WM und feierte danach im Teamsprint große Erfolge. Neben Platz drei bei Olympia in London ragt der WM-Titel 2010 heraus.

Der schwere Unfall von Doppel-Olympiasiegerin Kristina Vogel im Sommer 2018 in Cottbus, die seitdem querschnittgelähmt im Rollstuhl sitzt, führte bei ihm zu einem Umdenken. »Ich habe damals gemerkt, dass es vielleicht ganz cool wäre, den Radsport noch einmal aus einer anderen Perspektive zu erleben«, sagt Förstemann und bereitete den Umstieg zum Tandem-Pilot vor. Der Schweriner Stefan Nimke und internationale Top-Fahrer wie der Franzose Francois Pervis oder der Niederländer Teun Mulder hatten zuvor ähnliche Wege eingeschlagen.

Mit Kai Kruse aus Rangsdorf, der schon Silber im Rudern und Bronze im Radsport bei paralympischen Spielen gewinnen konnte, war schnell ein adäquater Partner gefunden. Bei der WM 2020 holten Förstemann/Kruse Bronze im Zeitfahren über die 1000 Meter. Bei den Paralympics in Tokio fehlten 0,082 Sekunden zum Sprung auf das Podest. Kruse beendete nach dieser Enttäuschung seine Leistungssportlaufbahn und arbeitet seitdem als Physiotherapeut. Für Bundespolizist Förstemann war Aufhören keine Option: »Ich habe immer noch Spaß am Radsport und bin absolut konkurrenzfähig«, erklärte er damals.

Im Kraftraum am Olympiastützpunkt in Berlin kreuzten sich dann die Wege mit Thomas Ulbricht. Der gebürtige Salzwedeler, der wie Kruse sehbehindert ist und nur noch eine Sehleistung von drei Prozent hat, hatte zuvor schon eine erfolgreiche Para-Leistungssportkarriere als Leichtathlet hingelegt. 2004, 2008, 2012 und 2016 war der 38-Jährige bei den Paralympics und holte Silber (Fünfkampf) und Bronze (100 Meter). Anhaltende Achillessehnenbeschwerden verhinderten den Tokio-Start und bewegten Ulbricht, der halbtags bei der Bundesanstalt für den Digitalfunk arbeitet, zum Umstieg auf das Tandem.

Nach Bronze bei der WM 2022 über die 1000 Meter reichte es für Förstemann/Ulbricht jetzt erneut zu Platz drei. Weltmeister wurden die Briten Neil Fachie und Matthew Rotherham (1:00,287 min), die auch den Teamsprint am Montag gewannen. »Im Endeffekt wollten wir mit einer Medaille nach Hause gehen, das Ziel haben wir erreicht«, sagte Förstemann, nachdem das Duo nach einem Fehler bei der Übersetzung am Tandem in der Qualifikation nur mit Mühe und Not als Sechster das Finale in der Sir-Chris-Hoy-Arena erreicht hatte. Vor allem die Zeit im Endkampf von 1:01,180 Minuten stimmte beide positiv. »Als wir angefangen haben, hatten wir zwei Sekunden Rückstand auf die Briten. Jetzt sind es nur noch sieben Zehntel«, so Förstemann. »Wir arbeiten hart und viel an uns – nächstes Jahr wollen wir unter einer Minute fahren. Das ist das Ziel für Paris 2024. Dafür ackern wir noch 13 Monate«, sagt Ulbricht.

Förstemann ist ebenfalls immer noch hoch motiviert, arbeitet so viel wie früher im Kraftraum an seinen »Monster-Oberschenkeln«. Im Vorfeld der WM hatten diese fast einen Umfang von 80 Zentimetern, mehr als je zuvor: »Ich hatte noch nie so viel Power wie jetzt. Wir müssen 200 kg aus dem Stand beschleunigen und dann 42 Sekunden weiterfahren. Das ist nicht ohne«, sagt Förstemann mit einem verschmitzten Lächeln.

Seine Oberschenkel stellt Förstemann gern auf Instagram zur Schau. Er hat dort fast 400 000 Follower. Viel mehr als im Internet geht Förstemann aber mittlerweile in seiner Rolle als Tandem-Pilot, Mentor und Aushängeschild des deutschen Para-Radsports auf. »Ich muss sagen, mittlerweile macht der Sport fast noch mehr Spaß als früher. Früher bin ich mehr oder weniger allein gefahren. Jetzt bin ich Teamplayer geworden«, sagt er. »Die Arbeit mit Thomas, die Materialentwicklung am Tandem, den gesamten Para-Radsport mehr in den Fokus zu rücken – das macht einfach Spaß. Und wenn man am Ende des Tages auf dem Treppchen stehen kann, ist das ein tolles Gefühl«, so Förstemann.

Der einst verbissene Sprinter ist lockerer geworden, ohne seinen Ehrgeiz zu verlieren. »Durch den Parasport hat sich mein Horizont extrem erweitert«, sagt Robert Förstemann, der weiterhin ein klares Ziel vor Augen hat. »Letztendlich war diese WM eine Zwischenstation – unser Ziel ist eine Medaille bei den Paralympics 2024. Dem ordnen wir alles unter.«

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