- Kultur
- Theater
Margit Bendokat: Wahrhaftig getrieben
Zum 80. Geburtstag der Schauspielerin Margit Bendokat
Diese Schauspielerin erleben: Das ist ein Sehen, bei dem auch das Hören nicht wieder vergeht. Es schleift, es kratzt, es leiert – in betörender Unablässigkeit. Das Klageweibliche hat wie das Skurrile einen sehr besonderen Platz in Margit Bendokats Kunst-Wesen. Sie kann melancholisch werden und gleichzeitig knochentrocken bleiben. Zwischen Kopf und Hirn und Seele und Körper scheint sie auf der Kippe zu irrlichtern. Lächelnd im ganz Eigenen – einem Reich des »Alles oder nichts«. Frei, offen. Freiheit ist Schmutz, und Offenheit reißt dich in Stücke – die das Theater dann aufführt.
Technische Zeichnerin war Margit Bendokat, 1943 geboren in Templin, sie wollte unbedingt zur Bühne. Seit 1965 arbeitete sie am Deutschen Theater Berlin. Vertrackte Aufsässigkeit, schreikräftiges Überspanntsein, stille wie nervquälende Bodenständigkeit. Sie spielte kaum Titel- oder Hauptrollen, aber sie ist eine Hauptspielerin geworden; wenn sie auf der Bühne steht, muss jemand neben ihr gehörig was tun, um weiter als protagonistisch zu gelten. Die Regisseure? Vor allem Alexander Lang (»Stella«, »Dantons Tod«, »Sommernachtstraum«) – Theater mit Ausschließlichkeitsansprüchen, irgendwo zwischen Kafka und Kleinem Prinzen.
Ihren Namen fand man zunehmend, wie sie selber sagte, bei den »Verrückten«. Den Zornsanften, den Witztraurigen, den Gossefeinen. Deshalb ist sie auch Spielerin Einar Schleefs gewesen. Die russische Revolutionärin Spiridonowa, weit oben, in einer Art Fensteröffnung im riesigen weißen Rundhorizont, im Wuchtwerk »Verlorenes Volk«: ein monologischer Halbstundentext, von Margit Bendokat gleichsam durchwühlt, durchpflügt, monoton hochgezogen, als sei der Rote Oktober eine Dichtung Homers. Im brachial stolzesten Sinn: langatmig.
Nicolas Stemann sagt, seine Inszenierungen teilten sich in Phasen vor und nach Bendokats Auftritt. In seiner Inszenierung der »Heiligen Johanna der Schlachthöfe« spielte sie die Proletarierin Luckerniddle, mit Trainingsanzug und Lidl-Beutel: leidende Ausgebeutete, kernige Agitatorin, lederne Ideologin. Da wird ein Weibsherz gleichsam zum kalt keifenden Parteiorgan.
Bendokat tat dem Brecht gut. Denn ein Teil seines Werkes sagt bekanntlich wahr, und wir nicken. Mit dem Kinn voran zur Brust. Weil wir über dem Pädagogik-Metronom der Lehr(er)-Stücke sanft eingenickt sind. Noch das Schnarchen soll dann als Ruf nach einem politischen Theater gelten, das unbedingt gebraucht würde. Bendokat tut mit ihrer Art allen Dichtern gut, als fielen Textblätter herab, und es scheppert.
Konstanze Lauterbach inszenierte Genets »Die Zofen«. Mit Simone von Zglinicki als Claire, Margit Bendokat als Solange. Und Inge Keller als Gnädige Frau. Die Zofen: Zwei Strickjacken auf Beinen tapsen durch ritualisierte Abläufe einer traurigen Maskerade. Sie spielen Übernahme der Herrschaft, als sei es der wirkliche Aufstand. Ein Gleichnis: Wer Revolutionen durchspielt, hält sie lebendig; wer sie durchführt, verrät sie. Die Inszenierung war dicht bei Hölderlin, der nur in den Verzweifelten die wahrhaftigen, weil getriebenen Spieler sieht.
In Dimiter Gotscheffs »Persern« gab Bendokat eine tief getroffene Botin des Gemetzels, die um Fassung ringt, dann selber eine Hörende der schlimmen blutigen Berichte – wellengleich durchjagt ein Erzittern ihren Körper. Eine Gestählte und Gewalkte.
Bei diesem knurrdunklen Regisseur des so menschennah Bitteren war sie auch die Linda Loman in Arthur Millers »Tod eines Handlungsreisenden«, Ehefrau eines trostlosen Vertreters: großartig in ihrem Einfaltsschicksal, in dem die Emanzipation nicht mal seufzen darf. Aufwühlend, wie die Bendokat dann plötzlich doch aus einem glühenden Kern der Liebe heraus ihren Mann gegen die hassenden Söhne verteidigt. Wie sich eine heiße Herzsprache auf Wegen zur Zunge in Lava verwandelt.
Ein Spiel an der Seite von Christian Grashof, einem anderen Großen des legendären DT-Ensembles, der in diesen Tagen ebenfalls 80 wurde. Der Schauspieler grandios als plusternd-trotziges Akrobatlein der Nichtigkeit. Bendokat, wie Grashof auch, repräsentiert einen Schönheitsbegriff der Abweichung. Es ist nämlich schön, wenn sich etwas nicht einfügen lässt. Vielleicht ist der Preis, den solche Sperrigkeit kostet, das Schönste an der Schönheit. Am Leben.
Bendokats Spiel erzählt böse (das wird man in dieser Welt) oder möglichst irre (das wird man an dieser Welt) oder möglichst sanft (das wünscht man dieser Welt). Sie spielt, dass Kunst nicht klug ist, sondern umhertappt in den Fallen vielstimmig gesammelter Erfahrung. Fallen so, wie Licht einfällt: schräg.
An diesem Sonnabend wird die Schauspielerin 80 Jahre alt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.