Putsch im Niger: Dschihad, Uran, Gaddafis Waffen

Mehrere destabilisierende Faktoren führten zum Putsch im Niger. Ein Blick zurück bis zum Bürgerkrieg in Libyen 2011

  • Bernard Schmid
  • Lesedauer: 7 Min.
Sieht auf den ersten Blick ganz friedlich aus: Die Einfahrt zum Flughafen von Niamey, der Hauptstadt des Niger am 6. August
Sieht auf den ersten Blick ganz friedlich aus: Die Einfahrt zum Flughafen von Niamey, der Hauptstadt des Niger am 6. August

Die Drohkulisse ist aufgebaut, die Interventionstruppe steht bereit, doch zumindest vorläufig soll es bei der Drohung mit dem militärischen Knüppel bleiben. Auf diese kurze Formel lässt sich die Beschlusslage des Sondergipfels der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas am Donnerstag in der nigerianischen Hauptstadt Abuja bringen. Punkt k) ihrer Abschlusserklärung enthält die Ankündigung, die für militärischen Druck zuständige Eingreiftruppe aufzustellen und bereitzuhalten; der folgende Punkt l) läuft darauf hinaus, es zunächst einmal mit friedlichen Mitteln zu probieren, um dieselben Ziele zu erreichen. Das Hauptziel wäre dabei die Wiedereinsetzung des am 26. Juli durch einen Armeeputsch gestürzten Staatspräsidenten Mohamed Bazoum im Niger.

Es handelt sich nicht um den ersten Putsch in Niamey, auch nicht um den ersten erfolgreichen. Sofern es nicht zur Wiedereinsetzung Bazoums kommt, war der jüngste Staatsstreich dort der vierte von Erfolg gekrönte, seit Niger im Jahr 1960 formal von Frankreich unabhängig wurde – wobei die frühere Kolonialmacht politisch, ökonomisch und mit eigenen Truppen stets präsent im Land blieb. Nun könnte sich eine außenpolitische Umorientierung in Richtung Russland vollziehen, wie das bereits seit 2020 respektive 2022 in den Nachbarländern Mali und Burkina Faso stattfindet.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Doch bezüglich solcher Voraussagen ist Vorsicht geboten. Auch die USA sind und bleiben militärisch im Niger präsent. Derzeit haben sie dort 1000 Soldaten und eine Drohnenbasis stationiert, was mit dem Kampf gegen dschihadistische Aktivitäten in der Sahelzone gerechtfertigt wird. Wie auch zum Beispiel in Syrien seit 2013 dürften sich beide Großmächte zwar Rivalitäten, aber keinen unmittelbaren militärischen Showdown gegeneinander liefern.

Im Übrigen sind die Strukturen und Hintergründe der neuen Militärregierungen in Bamako und Ouagadougou einerseits und in Niamey andererseits doch recht unterschiedlich. Während in Mali und Burkina Faso jüngere Militärs aus den unteren und mittleren Rängen die alte Generalität umwarfen und die früheren Staatspräsidenten absetzten, übernahm in Niger die obere Armeeführung die Macht.

Aber warum geschah das? Ein Rückblick zeigt, dass es in jüngerer Zeit im Niger einige destabilisierende Faktoren gegeben hat, die zu einer politisch explosiven Lage führten.

Einen Faktor, der zunächst zwar nicht Niger, wohl aber die ganze Region destabilisierte, bildeten die Auswirkungen des libyschen Bürgerkriegs und der französisch-britischen Intervention in Libyen von Februar bis September 2011. Staatsangehörige der Sahel-Staaten Mali und Niger, die zur Sprach- und Bevölkerungsgruppe der Tuareg zählen und im Norden der beiden Länder ansässig waren, hatten sich oft von ihren jeweiligen Zentralstaaten vernachlässigt gefühlt. Sie waren vom 42 Jahre lang amtierenden libyschen Staats- und – jedenfalls laut eigener Darstellung – »Revolutionschef« Muammar al-Gaddafi für dessen »Afrikanische Legion« rekrutiert worden.

Nach Sturz und Tod Gaddafis strömten die Tuareg in ihre Herkunftsländer zurück. Zugleich befanden sich in Libyen, das unter Gaddafi stark militarisiert worden war, größere Waffenlager unter freiem Himmel, die ungeschützt blieben, da sich weder die intervenierenden Mächte noch die an die Macht drängenden Rebellen um die Absicherung bemühten.

Insbesondere nach Mali sickerten daraufhin vormalige Libyen-Kämpfer von Nordosten her mitsamt ihren Waffen ein. Dies hatte auch damit zu tun, dass der damalige Staatschef in Mali, Amadou Toumani Touré, genannt ATT, seinerzeit von einer dritten Amtszeit träumte. Zu dieser Verfassungswidrigkeit hatten ihn Teile der Familie gedrängt, die sich unermesslich bereichert hatten und im Falle eines Präsidentenwechsels strafrechtliche Folgen für sich befürchteten. Ein bisschen Krieg im Norden des Staatsgebietes, wo sich Tuareg-Rebellen und Dschihadisten rührten, ein Stückchen Ausnahmezustand – und man würde die Wahlen verschieben können.

Doch es lief anders als geplant: Tuareg und Dschihadisten verbündeten sich zunächst, bevor ihre Allianz im Juni 2012 schnell wieder zerfiel. Sie spalteten durch eine von niemandem anerkannte »Unabhängigkeitserklärung für das Land Azawad« die Nordhälfte Malis im April 2012 vom Rest des Staatsgebietes ab und errichteten dort eine Heimstatt für Scharia-Anhänger und bewaffnete Abenteurer.

Die französische Militärintervention in Mali ab Anfang 2013 setzte dem insofern ein Ende, als die radikal-islamistischen Regionalregierungen der Städte Gao und Timbuktu in Nordmali vertrieben wurden. Seitdem wurden jedoch der Norden Malis, jener des Nachbarlands Burkina Faso und im Anschluss auch der westliche Landesteil Nigers zu Brandherden, die nicht zur Ruhe kommen. In den ländlichen Gebieten konnten sich dschihadistische Gruppen festsetzen, auch mit einem gewissen Rückhalt bei frustrierten Teilen der Bevölkerung, die sich vom Zentralstaat vernachlässigt fühlten. Frankreichs Versuch der antidschihadistischen Aufstandsbekämpfung fiel ebenso wenig erfolgreich aus wie jener der USA und anderer westlicher Staaten in Afghanistan. In Mali und Burkina Faso übernahmen jüngere Militärs unter anderem deswegen die Macht.

Im Februar 2022 musste Staatschef Emmanuel Macron den Abzug seiner unerwünschten Armee aus Mali verkünden und ihn bis zum Sommer letzten Jahres abschließen. Frankreich verlagerte seine Streitkräfte für den Sahelraum in den Niger und versuchte, das Land zur neuen regionalen Drehscheibe für seine Truppenbewegungen und militärischen Aktivitäten aufzubauen.

Präsident Bazoum unterstützte Frankreich dabei. Doch auch in seinem Land begann der Unmut zu wachsen, und die öffentliche Meinung drehte sich weiter gegen Frankreich – munitioniert auch durch eine russische Propagandaoffensive in den sozialen Medien. Vorgeworfen wird dem Land übrigens in der gesamten Sahelzone nicht, dass es die Dschihadisten bekämpfe. Behauptet – und inzwischen in breiten Kreisen geglaubt – wird vielmehr, dass es mit ihnen unter einer Decke stecke und sie insgeheim bewaffne. Man sehe ja, dass sie zehn Jahre nach Beginn der französischen Intervention nicht schwächer geworden seien.

Ein letzter Faktor, der das bisherige Regime im Niger destabilisierte, war die ökonomische Lage. Hierzulande wird seit dem Putsch vermehrt wahrgenommen, dass das Land wegen seiner Uranerz-Vorkommen erheblich zur Nuklearindustrie Europas beiträgt – im Umfang von rund 25 Prozent des in die EU gelieferten Natururans. Die nigrische Elite wirft Frankreich indessen weniger vor, dass es diesen Rohstoff ausbeutet, sondern erstens, dass es nicht genug dafür zahlt, und zweitens sogar, dass die Europäer das Uranerz zu wenig ausbeuten.

Tatsächlich wurde der Uranabbau im Niger in der jüngeren Vergangenheit eher gedrosselt denn ausgebaut. So wurde die jahrzehntelang betriebene Mine in Arlit zu Beginn des Jahrzehnts wegen Erschöpfung der Vorkommen geschlossen. Die Eröffnung eines neuen Uranbergwerks in Imouraren wurde im vergangenen Jahr mehrfach verzögert, aufgeschoben und zuletzt Anfang 2023 wieder angekündigt.

Kennlernabo: 9 Ausgaben für nur 9€

Analytischer, hintergründiger und mit noch mehr Tiefgang: »nd.Die Woche« nimmt Geschehnisse in Politik und Gesellschaft unter die Lupe.

  • Kritisch: Hintergründe, politische und wirtschaftliche Analysen, Interviews, Reportagen und Features
  • Mikroskop: 8 Seiten zu Wissen und Wissenschaft
  • Bequem: Kein langer Weg zum Kiosk – das »nd.Die Woche« landet druckfrisch in Ihrem Briefkasten
  • Fair: Das Abo endet automatisch! Keine Kündigung nötig.

Hier geht’s zum Wochenend-Miniabo

Der Grund war keineswegs, dass Nichtregierungsorganisationen wie die französische Survie kritisierten, der Abbau des radioaktiven Metalls könnte gravierende gesundheitliche Folgen für die örtliche Bevölkerung haben. Das trifft zwar zu, veranlasste die örtliche Elite aber nicht zur Kritik an Extraktivismus und Atomenergie. Der Grund war schlicht, dass die französische Atomfirma Orana (ehemals Areva) kein den Preis drückendes »Überangebot« haben wollte. In einem Interview brachte die frühere tschadische Präsidentengattin Hinda Déby den Unmut im Nachbarland jüngst auf den Punkt: Die Franzosen wollten den Rohstoff gar nicht abbauen und dafür zahlen, sondern ihn, jedenfalls vorläufig, im Boden lassen. »Nur sollen andere ihn auch nicht bekommen.«

Da nach dem Zusammenbruch der UdSSR riesige Uranvorkommen aus Kasachstan und Russland auf den Weltmarkt drängten, hatte sich Frankreich vor allem in den 2000er Jahren umorientiert und die Einfuhren aus dem Niger reduziert. Man wollte weniger auf diesen Lieferanten angewiesen sein. Zwar lag der Preis für Uran, den man Niger zahlte, weit unter dem allgemein üblichen – ein Kilo kostete 2007 auf dem Weltmarkt 192 Euro, ein Kilo aus Niger wegen langfristig geschlossener Verträge nur 41,60 Euro –, doch Niger wollte den Preis neu aushandeln. Erst etwa ab 2015, mit dem Beginn der Russland-Sanktionen nach der Annexion der Krim, wandte man sich wieder stärker dem Niger zu.

Ökonomische Frustration der einheimischen Eliten, eine Bevölkerung, die nach vernünftig bezahlten Arbeitsplätzen verlangt, politischer Unmut und die militärische Erfolglosigkeit des französischen »Kampfes gegen den Dschihadismus«: Es ist letztlich eine Mischung all dieser Faktoren, die den Militärs den Putsch und damit auch die Option auf einen internationalen Bündniswechsel attraktiv erscheinen ließ.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.