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Machtmissbrauch: Weitere Vorwürfe an Berliner Humboldt-Uni
MeToo an Berliner Universitäten: Professor unterrichtet vorerst nicht mehr
Nachdem Ende vergangenen Monats mehrere Studierende Vorwürfe gegen einen Geschichtsdozenten an der Humboldt-Universität erhoben haben, weil sie sich von ihm belästigt fühlten, wird inzwischen auch Anschuldigungen gegen einen weiteren HU-Mitarbeiter nachgegangen. Sowohl die HU als auch die Freie Universität, wo der Professor an einem Studienprogramm beteiligt war, haben entsprechende interne Ermittlungen aufgenommen. Das geht aus einem Schreiben der Fachschaft am Institut für Afrika- und Asienwissenschaften sowie des Referent*innenrats der HU an die Studierenden hervor, das »nd« vorab vorlag.
An der FU hat sich der betroffene Professor inzwischen bis zur Klärung der Vorwürfe von allen Positionen zurückgezogen. Zuletzt gab er in dem Studiengang »Global History« zwar keine eigenen Vorlesungen, trat aber in anderen Lehrveranstaltungen als Gastdozent auf. Im Zuge der vom Institut angestoßenen Ermittlungen wurden die Studierenden bei einer Veranstaltung im Juli über die Vorwürfe informiert, zudem gab es eine Rundmail. Der Professor ist auf der Website des Studiengangs inzwischen als ehemaliger Mitarbeiter gelistet. Dies geht aus einem internen Mailverlauf hervor. Auf Anfrage bestätigte FU-Sprecher Goran Krstin, dass es eine »Überprüfung« gebe.
An der HU, wo der Dozent Professor am Institut für Afrika- und Asienwissenschaften ist, läuft derweil ein Disziplinarverfahren. Dies bestätigte die HU-Pressestelle »nd« bereits zu Monatsbeginn. Bislang wurden an der HU allerdings noch keine Sanktionen ergriffen. Ob sich dies ändern wird, nachdem die Maßnahmen an der FU bekannt geworden sind, wollte die HU-Pressestelle auf neuerliche Anfrage weder bestätigen noch dementieren.
Ausgangspunkt der Vorwürfe ist ein im Mai veröffentlichter Beitrag in einem Sammelband. In dem Beitrag greift eine ehemalige HU-Mitarbeiterin eine Situation im Sommer 2019 auf: Ihr Vorgesetzter habe sie am Rande einer Betriebsfeier in sein Büro gebeten, um sie dort gegen ihren Willen zu küssen und an den Brüsten zu berühren. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin habe den Übergriff abgewehrt, aber aus Scham und Angst, ihre Karriere zu gefährden, niemandem von dem Vorfall erzählt. Die Autorin verweist zudem darauf, dass sie als politisch verfolgte Ausländerin mit Abschiebung hätte rechnen müssen, wenn sie ihren Arbeitsplatz verloren hätte.
Der Text ist anonymisiert, aus den genannten Zeiträumen und Orten lässt sich aber schließen, um welchen Professor es geht. Das Forschungsprojekt, in dem die Autorin und der Professor zusammenarbeiten, ist inzwischen ausgelaufen, beide sind mittlerweile nicht mehr beruflich verbunden. Ob sich nach der Veröffentlichung noch weitere Frauen mit Vorwürfen gemeldet haben, ist nicht bekannt. Der Aufsatz machte allerdings schnell die Runde unter HU-Mitarbeitern und -Studierenden. Während manche HU-Mitglieder angeben, dass es bereits vor dem Bekanntwerden des Beitrags entsprechende Gerüchte über das Verhalten des Professors gegeben habe, zeigen sich andere von den Vorwürfen überrascht. Eine Anfrage von »nd« ließ der Professor bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
In ihrer Stellungnahme begrüßen Fachschaft und Referent*innenrat jetzt die an der FU ergriffenen Maßnahmen und fordern die HU auf, die Vorfälle »ernst zu nehmen und umfassend aufzuarbeiten«. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, solle dem Professor gekündigt werden. Die Universitätsleitung solle über das Verfahren transparent informieren, fordern die Studierendenvertreter.
Nach dem Willen der Studierendenvertreter soll es aber nicht bei der Einzelfalluntersuchung bleiben: Der Fall solle zum Anlass genommen werden, um Machtmissbrauch an den Universitäten breiter zu thematisieren. Der Buchbeitrag zeige »die vielschichtigen Herausforderungen im Zusammenhang mit Machtstrukturen und -missbrauch im akademischen Umfeld sowie mit intersektionaler Diskriminierung«, heißt es in dem Beitrag. Intersektionale Diskriminierung ist eine Form von Diskriminierung, bei der eine Person wegen mehrerer persönlicher Eigenschaften benachteiligt wird, etwa wenn eine Person als Frau und als Migrantin diskriminiert wird. »Wir sind überzeugt, dass nur durch kollektive Anstrengungen und offene Kommunikation eine Veränderung im Umgang mit Machtmissbrauch und Diskriminierung an unserer Universität erreicht werden kann«, heißt es weiter in dem offenen Brief.
Betroffene sollen sich an die studentische Selbstverwaltung wenden. »Kein Vorfall ist zu klein oder unbedeutend, dass ihr euch nicht an uns wenden dürft«, schreiben die Studierendenvertreter.
Ende Juli war bekannt geworden, dass die HU ein Disziplinarverfahren gegen einen Geschichtsdozenten führt. Dieser soll sich jahrelang anzüglich und demütigend gegenüber Studentinnen geäußert haben, in einem Fall soll er eine Studierende gegen ihren Willen berührt haben. Der Dozent durfte zunächst Sprechstunden nur noch in Anwesenheit der Frauenbeauftragten abhalten, inzwischen wurde ihm verboten, Lehrveranstaltungen an der HU abzuhalten.
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