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  • Buch »Liebeserklärung an Komödianten«

Ein Suchender, kein Verkünder

Hans-Dieter Schütt wird 75 – und schenkt sich und uns ein neues Buch mit Schauspielerporträts

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Wie unterscheidet sich das Distanzspiel Christian Grashofs (hier 2. v. l. in »Dantons Tod« von Alexander Lang, 1981) von dem Ulrich Mühes? Hans-Dieter Schütt weiß es.
Wie unterscheidet sich das Distanzspiel Christian Grashofs (hier 2. v. l. in »Dantons Tod« von Alexander Lang, 1981) von dem Ulrich Mühes? Hans-Dieter Schütt weiß es.

»Dieser hochmütige Schärfeschimmer«, so Hans-Dieter Schütt zum Tode von Eberhard Esche 2006. Da waren sich zwei einig darin, dass Sprache von Nuancen lebt, beim Schreiben ebenso wie beim Sprechen. Man presst den Worten keine Wahrheiten ab, man darf sie nicht in Geiselhaft für seine alltäglichen Absichten nehmen. Der Autor ebenso wie der Schauspieler soll diese dazu verführen, sich selbst neu zu entdecken. Schärfe ja, aber sie soll nur schimmern, nicht grell aufblenden. Alles eine Maßfrage, auch die Übertreibung ist bei Minimalisten in den besten Händen!

Bei Esche waren es die berühmten »leichten Verschleppungen« im Sprachrhythmus, die Altbekanntes plötzlich altbacken aussehen ließen. Die neue Tonlage als Frischzellenkur fürs Dichtermuseum! Esche ist lange tot, jene aber, die ihn auf der Bühne erlebten, behalten seine Stimme im Ohr. Diesen Singsang, der sich wie ein Stachel einbohrte in lauter falsche Gewissheiten, durchdringend bis dorthin, wo das Wort nackt und fremd vor uns steht.

Diesen Mut zum Artifiziellen nannten seine Gegner gern manieriert. Aber, so Schütt: »Die Wunde sucht das Salz – damit der Schrei gehört wird.« Geht es um Esche, wenn Hans-Dieter Schütt jetzt 75 wird? Ja, und um hundert andere auch, die er wie ein Teil von sich selbst befragt und behütet vor jener Zudringlichkeit, die aus einem Mangel an Ehrfurcht resultiert.

In der von Jens-Fietje Dwars herausgegebenen Ornament-Reihe des Quartus-Verlags ist – als Geburtstagsgabe – nun Schütts »Liebeserklärung an Komödianten« (mit Zeichnungen von Kay Voigtmann) erschienen. Ein Kritiker, der liebt, worüber er schreibt, den Schauspielern gleichsam mit Bertha von Suttners Ruf »Die Waffen nieder!« entgegentritt, wo er sie doch kritisieren soll, was heute gemeinhin heißt, sich von der Kunst nicht (jedenfalls nicht allzu sehr) beeindrucken zu lassen.

Wer jedoch glaubt, ein Kritiker wie Schütt sei harmlos, weil er auf harsche Zurechtweisungen derer verzichtet, die ihn unberührt ließen, der irrt. Nichts ist so vernichtend wie enttäuschte Liebe! In diesem seltenen Verständnis von Kritik, in dem ich Schütt gern folgen möchte, aber nicht immer kann, steht er ganz aufseiten Rainer Maria Rilkes. Dieser notiert in seinem »Florenzer Tagebuch«: »Solange die Kritik nicht Kunst neben anderen Künsten ist, bleibt sie kleinlich, einseitig, ungerecht und unwürdig.«

Dieses schöne kleine Buch zeigt den ganzen Schütt, wie er ist und noch werden will, denn das Unfertige gehört zum Selbstverständnis des Essayisten, der im Vorläufigen lebt. Wenn nicht jetzt, dann eben beim nächsten Mal; die Wahrheit braucht viele Anläufe. Es ist ein Selbstverständnis, das aus gelebten Brüchen erwächst. Aus Niederlagen schöpfen heißt lebendig bleiben. Das ist die Demut derer, die es wagen, für sich zu stehen, wenn nötig auch im Abseits, und darum hochmütig genannt werden, von jenen, die selbst nur im Plural auftreten.

»Liebeserklärung an Komödianten« versammelt etwa 128 knappe Schauspielerporträts. In Schütts Falle kann man sagen: Weggefährten der eigenen Kunstfertigkeit. Dass diese nichts Abgehobenes hat, jedoch Aufmerksamkeit einfordert, zeigt seine Hommage an die legendären Kleindarsteller des Berliner Ensembles. Der »legendärste« unter ihnen, erinnert Schütt, war Carl Heinz Choynski, ein »schillernd Vertrackter« (was mehr kann man sein auf der Bühne als solch Rätselfigur?), der sich damit einst den Zuschauern von Sean O’Caseys »Purpurstaub« ins Gedächtnis grub, weil er als Pfarrer im Hintergrund ständig zu niesen hatte. Er tat diese auf so grandiose Weise, dass Schütt noch im Rückblick applaudiert: »Er nieste sich in die DDR-Theatergeschichte.«

Seine Neugier auf andere Menschen, auf gelebte Tragikomödie, scheint unstillbar. In diesem Jahr erschienen bereits Interview-Bücher mit dem Schauspieler Charly Hübner und dem Regisseur B. K. Tragelehn, ebenso ein umfangreicher Essay zu Stephan Hermlin. Das Nachdenken über Lebenswege weitet sich hier zu einem Geschichtsdiskurs. Ohne Schütts Gespräche mit Gerhard Gundermann von Mitte der 90er Jahre, als sich kaum einer für diesen zu expressivem Ausdruck fähigen Querulanten interessierte, gäbe es heute nicht Andreas Dresens Gundermann-Film, der Maßstäbe setzte für DDR-Geschichtsschreibung.

Den Texten von Hans-Dieter Schütt, mit denen er seit 1992 das Feuilleton dieser Zeitung stark prägte, merkt man bis heute eine innere Befreiung an. Denn noch zum Ende der DDR sah es so aus, als müsste er als Politiker (Chefredakteur der »Jungen Welt« und FDJ-Zentralratsmitglied war er schon) Karriere machen und das Beste von sich unbeschrieben zurücklassen. Doch diese Zurichtung im falsch Eindeutigen, im bloß Nützlichen und Verwertbaren ist ihm erspart geblieben.

Seine frappierende Schreiblust seit diesem Absturz ins eigene Ich, zeitgleich mit dem Staatsuntergang von 1989, ist eine einzige Feier des Vieldeutigen, des Paradoxen, des Mysteriösen auch, das abseits vom Wege der Entdeckung harrt. Beim »Neuen Deutschland« wurde er, der er sein konnte: ein Unfertiger, ein Essayist. Ein Suchender, kein Verkünder!

Das prägte entscheidend den Geist des Nachwende-Feuilletons dieser Zeitung, zu der ich 1998 nicht zuletzt wegen eines getriebenen Freigeistes wie Schütt kam. Gelegentlich fragt man mich, ob ich die Schütt-Konkurrenz nie gefürchtet, gar den omnipräsenten Vordermann gehasst habe? Seltsame Frage. Offenbar glaubt man heute immer weniger daran, dass Konkurrenz etwas Beflügelndes haben kann – wie es das legendäre Schauspielerensemble des Deutschen Theaters in den 80er Jahren vorlebte, das Kurt Böwe heiterer Miene ein »Haifischbecken« nannte. Das wünscht man sich doch: jemand Starkes an seiner Seite, den man zu bewundern bereit ist – an dem man selber wächst! Wer nur kleine Geister neben sich duldet, wird selber klein.

Die Mehrzahl der im Buch vorkommenden Schauspieler ist inzwischen gestorben oder steht längst nicht mehr auf der Bühne. Theater ist grausam, denn notorisch gegenwärtig. Schütt schafft mit seinen Porträts jedoch ein Erinnerungstheater, in dem die Magie des Augenblicks auflebt. Das ist seine Kunst, mit der er die besondere Nuance erfahrbar macht, die das Spiel eines Schauspielers bestimmt. Christian Grashofs eisige Distanzerklärung an den Rausch etwa, der sich dennoch auf gefährliche Weise Bahn bricht als Danton und Robespierre (in einer Doppelrolle) in Alexander Langs Theaterrevolution »Dantons Tod« von 1981. Wie unterscheidet er sich von einem anderen Distanzspieler als Ekstatiker, Ulrich Mühe, der als Osvald in Ibsens »Gespenster« für Furore sorgte? Schütt kann solcherart Unterschiede auf engstem Raum vermessen.

Erschütterungen, die bleiben. Oder, wie der in seiner Singularität tatsächlich unvergleichliche Theaterliebende Hans-Dieter Schütt in seinem Einleitungsessay zu diesem kostbaren Büchlein schreibt: »Theater schürt durch seine grenzenlose Phantasie auch Angst vor der Freiheit, aber es macht nicht ängstlich, sie zu leben.«

Hans-Dieter Schütt: Liebeserklärung an Komödianten. Schauspielerporträts. Edition Ornament im Quartus-Verlag, 160 S., geb., 20 €.

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