Der Görli braucht feministische Politik!

Auf die Gewalt im Berliner »Görli« reagieren Verantwortliche mit patriarchaler Mentalität. Das muss ein Ende haben, findet Thuy-An Nguyen

  • Thuy-An Nguyen
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Angstraum ist er verschrien, der berühmt-berüchtigte Görlitzer Park. Doch Angst macht mir weniger eine Grünanlage, die Menschen in einer Großstadt als Naherholungsgebiet dienen soll. Sondern vielmehr eine Politik, die daran versagt, diesen Ort als lebenswerten Raum zu gestalten.

Es ist allseits bekannt, dass sich rund um den Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg seit Jahren soziale Probleme aller Art anhäufen: von Drogen- und Kleinkriminalität bis hin zu Obdachlosigkeit. Darüber ist ausführlich genug geredet worden.

Worüber weniger geredet wird, ist der Umstand, an wie vielen Orten sich das Phänomen »Angstraum« wiederholt. Sei es am Kottbusser Tor, am Leopoldplatz oder am Alexanderplatz. Das sind Indizien dafür, dass soziale Probleme strukturell betrachtet werden müssen. Dealer, Junkies oder Wohnungslose gehören auch sonst zum Stadtbild. Es ist ein Status Quo, der oft ohne große politische Anstrengung von den verantwortlichen Akteur*innen hingenommen wird. Bis zum nächsten Ereignis, das die Gesellschaft besonders erschüttert. So wie bei der mutmaßlichen Vergewaltigung, die im Juli von einer Gruppe von Dealern an einer jungen Frau begangen worden sein soll.

Thuy-An Nguyen

Thuy-An Nguyen ist freie Journalistin und Autorin. Sie schreibt über Diversität und feministische Ökonomie.

Das Ausmaß der Gewalt hat alle besonders erschüttert. Wie vorherzusehen, folgt hier in so manchen Köpfen die Annahme, geflüchtete Menschen hätten die sozialen Probleme mitgebracht. Doch das ist ein fataler Fehlschluss. Wir müssen genau darauf schauen, was für Geschichten hinter jenen stehen, die hinter der mutmaßlichen Gewalttat vermutet werden. Sowie hinter jenen, die in Drogenkonsum, Kriminalität oder Wohnungslosigkeit verfallen. Oft handelt es sich dabei um Alleingelassene, Außenseiter*innen, Ausgestoßene.

Die gefühlt einzige Lösung, die von der Politik angeboten wird, verfolgt das Motto: Strafen und wegsperren. Aber damit werden Menschen, die bereits am Rande der Gesellschaft sind, nur noch weiter an den äußersten Rand gedrängt.

Es mutet fast makaber an, dass ausgerechnet eine sexuelle Gewalttat Verantwortliche dazu bringt, die Sicherheitslage am Görlitzer Park auch mal wieder zu »diskutieren«. Denn was an der jüngsten Tat verkannt bleibt, ist die strukturelle Voraussetzung, die zu so einem brutalen Vergehen führt: patriarchale Mentalität. Das ist übrigens kein Phänomen, das nur geflüchtete Menschen aus ihren Heimatländern mitgebracht haben. Sondern es ist auch in Deutschland weit verbreitet.

Welch bittere Ironie steckt dahinter, wenn staatliche Institutionen nur den wenig kreativen Einfall haben, ihre Bestrafen-und-Wegsperren-Strategie weiterzuverfolgen. Denn aus dieser Logik ist vor allem eines herauszulesen: Die Institutionen agieren in der Rolle des unnachgiebigen Patriarchen, der nichts anderes anstrebt, als seine Macht und Dominanz zu demonstrieren. Dass es an einer lösungsorientierten sozialpolitischen Strategie mangelt, liegt somit auch an den patriarchalen Denkmustern, die dem politischen Handeln hier zugrundeliegen.

Um die Situation an Orten wie dem Görlitzer Park zu lösen, führt kein Weg daran vorbei, statt einer patriarchal orientierten Politik eine des Füreinander-Sorgens einzuleiten. Zahlreiche Nachbarschaftsinitiativen setzen sich seit langer Zeit dafür ein, den Görlitzer Park und den angrenzenden Wrangelkiez als lebenswerten Ortsteil zu gestalten. Sie wünschen sich keinen Kiez, der bis auf den letzten Winkel von patrouillierenden Polizist*innen kontrolliert wird.

Doch die Initiativen sind zu dem von Bürgermeister Kai Wegner geplanten Berliner Sicherheitsgipfel im September nicht einmal eingeladen, obwohl der Vorfall im »Görli« ausschlaggebend dafür ist. Es ist an der Zeit, dass die verantwortlichen Akteur*innen den Belangen der Menschen vor Ort zuhören. Nur so können wir eine Gesellschaft schaffen, in der wir aufeinander achtgeben.

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