Hockey-EM 2023: Die deutschen Frauen starten ganz entspannt

Während die DHB-Auswahl der Männer vom Titel träumt, wollen die deutschen Frauen von Spiel zu Spiel schauen und sich weiterentwickeln

  • Andreas Morbach, Mönchengladbach
  • Lesedauer: 5 Min.
Deutschlands Kapitänin Nike Lorenz geht die Hockey-EM im Heimatland ganz entspannt an.
Deutschlands Kapitänin Nike Lorenz geht die Hockey-EM im Heimatland ganz entspannt an.

Zweimal hat Nike Lorenz bisher an Olympischen Spielen teilgenommen – mit sehr unterschiedlichem Erfolg: 2016 in Rio gewann sie mit den deutschen Hockey-Frauen Bronze. Bei den Tokio-Spielen vor zwei Jahren strandete die Auswahl des Deutschen Hockey-Bundes (DHB) dagegen bereits im Viertelfinale. Bei der Heim-EM in Mönchengladbach bietet sich nun die Chance, zumindest mal die Eintrittskarte für die Fünf-Ringe-Ausgabe im kommenden Sommer in Paris zu ergattern. Ein Szenario, über das Lorenz im Gespräch mit »nd« allerdings lässig sagt: »Die mögliche Olympia-Quali ist nice to have.«

Die charmante Zurückhaltung der gebürtigen Berlinerin ist nachvollziehbar: Zum einen gibt es das Direkt-Ticket in die französische Metropole nur für Platz eins – und auch für Deutschlands Kapitänin sind die Niederlande als »beste Mannschaft der Welt« der Topfavorit. Zudem sei der lockende Durchfahrtsschein an die Seine schlicht kein Ziel, das sich das Team stecke.

Schließlich findet die EM, in die das DHB-Team am Freitagabend gegen Schottland startet, im eigenen Land statt. »Der Fokus«, erklärt Lorenz deshalb, »liegt für uns ganz klar auf dem Turnier selbst«. Etwas Hockeyfaszination zu verbreiten und dabei vor allem die jüngere Generation zu inspirieren, darum gehe es ihr und dem Team in starkem Maße. »Und auf dem Platz«, ergänzt Lorenz, »wollen wir einfach in jedem Spiel den Ball jagen, den Gegner jagen. Und dann gucken wir, wo wir am Ende stehen.«

Diese entspannte Haltung passt gut zum Grundgefühl, das die DHB-Frauen unter Bundestrainer Valentin Altenburg entwickelt haben. Der gebürtige Hamburger, seit Januar 2022 im Amt, propagiert einen »humanen Leistungssport«, fördert innerhalb des Teams eine ausgeprägte Streitkultur und vermeidet es, Entscheidungen auf der Basis vorgegebener Hierarchien zu treffen. Bei der Mannschaft kommt das gut an. »Vorher wurde sehr stark das Kollektiv betont – und wenig Rücksicht auf Einzelne genommen. Jetzt ist das anders, da wird mehr auf Individualität geschaut«, erzählt die 26-jährige Lorenz.

So macht die eine Nationalspielerin beispielsweise dreimal in der Woche Krafttraining, die andere einmal Krafttraining und zweimal Yoga. Und auf Lehrgängen kommen nun auch private Sorgen und Nöte stärker zur Sprache. »Vorher gab es dafür nicht so viel Platz. Da war vielleicht auch unser eigener Anspruch immer, uns sehr auf den Sport zu konzentrieren. Dabei haben wir die anderen Sachen eher weggeschoben. Aber solche Dinge rauslassen zu können – genau dafür wollen wir einen sehr offenen Raum schaffen. Weil wir fest daran glauben, dass wir auf diese Weise die beste Hockeyspielerin auf dem Platz sein können«, betont Lorenz.

Weit entfernt von diesem »ganz großen Ziel« war die Spielerin von Rot-Weiss Köln, die freiberuflich für eine Unternehmensberatung mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit arbeitet, mit ihren Teamkolleginnen bei Olympia in Tokio. In Japan hatte sie durchgesetzt, mit Regenbogenbinde auflaufen zu dürfen. Sportlich machte ihr das klare Viertelfinal-Aus gegen Argentinien (0:3) und die für ihr Gefühl geringe Wertschätzung bei der Rückkehr nach Deutschland aber gewaltig zu schaffen.

»Da hat man gerade sein ganzes Leben darauf ausgelegt, bei Olympia erfolgreich zu sein«, rekapituliert Lorenz. »Und dann war es ein bisschen so, als wäre man gerade von einer Hobbysportreise nach Hause gekommen, und der Chef sagt: ›Es wäre cool, wenn du morgen wieder arbeiten könntest.‹« Bei ihrem Einjahres-Master in BWL in Nottingham fand sie anschließend einen persönlichen Schutzraum – und die Freude am Hockeysport wieder.

Platz vier und die knapp verpasste erste WM-Medaille seit 24 Jahren für die deutschen Hockey-Frauen bedeuteten für Altenburgs Individualistinnen beim globalen Turnier im letzten Sommer dann die Rückkehr an die Weltspitze. »Das waren auch ziemlich leere Hände damals. Aber im Vergleich zu Olympia war das Gefühl definitiv ein ganz anderes. Auch weil die Erwartungen besser gesteuert wurden«, erinnert sich Nike Lorenz. Und die konsequente interne Vorgabe für die anstehende Heim-EM lautet daher nun: »Ein wirkliches Ergebnisziel haben wir nicht.«

Etwas offensiver ist die Grundhaltung ihrer männlichen Kollegen, die Ende Januar immerhin als Weltmeister aus Indien zurückkehrten. 15 von ihnen stehen nun auch im 18-köpfigen EM-Kader der DHB-Auswahl, deshalb gibt Bundestrainer André Henning im Gespräch mit »nd« auch zu bedenken: »Ich finde es schon eine wahnsinnig große Herausforderung, sieben Monate nach einer WM direkt eine Europameisterschaft zu spielen. Und durch diesen Weltmeistertitel ist die mental noch größer geworden.«

Vor der WM, sinniert der 39-Jährige, sei die Innensicht seines Teams sicher etwas selbstbewusster gewesen als die Außenwahrnehmung. Und jetzt sei es vielleicht genau umgekehrt. Fest steht für Henning vor der ersten Partie am Samstag gegen Wales jedenfalls: »Wir werden von Anfang an auf heftige Widerstände stoßen, da sind ganz viele 50:50-Spiele dabei. Natürlich ist ein Titelgewinn absolut möglich. Aber mit Belgien, den Niederlanden, England und uns gibt es vier absolut realistische Europameister. Da fällt keiner vom Stuhl, wenn das passiert.«

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