Putsch im Iran 1953: Blaupause des Staatsstreichs

Vor 70 Jahren wurde die demokratische Regierung des Iran durch einen Putsch gestürzt

  • Rouzbeh Taheri
  • Lesedauer: 8 Min.
Auf den Straßen Teherans: Unruhen nach dem Sturz des Premierministers Mossadegh
Auf den Straßen Teherans: Unruhen nach dem Sturz des Premierministers Mossadegh

Im Jahr 2000 veröffentlichte die »New York Times« Auszüge aus einem Dokument, das später als »Wilber-Papier« bekannt wurde. Es hatte den nüchternen Titel »Der Sturz von Mossadegh, Irans Premierminister« und analysierte die Operation, die zum Sturz des demokratisch gewählten iranischen Premierministers – Dr. Mohammad Mossadegh – am 19. August 1953 geführt hatte. Im Vorwort des im Original über 170 Seiten langen Textes wird erwähnt, dass dies »ein Ratgeber zur Verwendung bei Durchführung von ähnlichen Operationen« sei. Der Autor des Papiers war Donald Newton Wilber, Hauptplaner der »Operation Ajax«, mit der die CIA die angebliche »Rote Gefahr« spurenlos beseitigen wollte.

Warum aber musste Mossadegh gestürzt werden? Die Antwort auf diese Frage führt uns zur Lage im Iran in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Iran war das erste Land im sogenannten Mittleren Osten, in dem Erdöl entdeckt und kommerziell gefördert wurde. Die Rechte zur Förderung und Verarbeitung des Öls lagen ab 1908 ausschließlich bei der Anglo-Persian Oil Company (APOC, später AIOC, heute BP), die sie sich durch die Bestechung des damaligen Schahs und einer Handvoll Politiker für Jahrzehnte gesichert hatte. Als Konzessionsabgabe erhielt der iranische Staat etwa sechs Prozent des Gewinns. Der größte Anteilseigner der APOC war seit 1912 der britische Staat, der eine verlässliche Treibstoffversorgung für seine Marine brauchte. Auf der Halbinsel Abadan am Persischen Golf wurde in den folgenden Jahren die größte Raffinerie der damaligen Welt aufgebaut.

»Feuer des Klassenkampfes«

Die AIOC war der größte industrielle Arbeitgeber in Iran, im Jahr 1948 arbeiteten 63 000 Personen für das Unternehmen. Die Arbeitsbedingungen für die iranischen Arbeiter waren fürchterlich. Tausende mussten jahrelang in Zelten hausen, die Versorgung mit Trinkwasser war mangelhaft und es gab kaum Krankenhäuser für sie. Diese Verhältnisse führten zu mehreren Streikwellen, worauf die Briten immer gleich reagierten: Sie schickten Kriegsschiffe, drohten mit der Invasion und zwangen die iranische Regierung, das Kriegsrecht zu verhängen. Die Anführer des Streiks wurden entweder getötet oder verhaftet, tausende Arbeiter wurden entlassen.

Trotz aller Repressalien schritt die Organisation der Arbeiterschaft aber immer weiter voran. Zehntausende der Streikenden waren in Gewerkschaften organisiert, die der Staat für illegal erklärt hatte, die aber zunächst durch die Kommunistische Partei Irans und nach 1942 durch die Tudeh-Partei (Die »Partei der Massen«) unterstützt wurden. Die iranische Regierung geriet ab Ende der 1940er Jahre immer mehr unter öffentlichen Druck und in dieser Situation erschütterte ein weiterer Generalstreik in der Ölindustrie das Land. Mehr als 60 000 Arbeiter traten im Frühjahr 1951 in den Ausstand. Die Hauptorganisatorin des Streiks war die kommunistische Gewerkschaft, die zu diesem Zeitpunkt mehr als 35 000 Mitglieder zählte. Selbst der britische Konsul schrieb an seine Regierung, dass die Arbeiter*innen die Tudeh-Partei als ihre »einzige Verteidigerin« ansehen.

Die Angst, dass ein »verheerendes Feuer des Klassenkampfes«, wie Premierminister Ala die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen nannte, das Land in Brand setzen könnte, erschütterte die herrschende Klasse. Der Streik beunruhigte das Parlament und die Regierung so sehr, dass innerhalb von wenigen Tagen ein Gesetz zur Nationalisierung der Ölindustrie beschlossen wurde. Der Urheber des Gesetzes war ein Abgeordneter mit dem Namen Dr. Mohammad Mossadegh.

Turbulente Zeiten

Mossadegh, der zu diesem Zeitpunkt schon 68 Jahre alt war, stammte aus einem alten Geschlecht des Amtsadels. Gestartet als liberaler Reformer, radikalisierte sich der frühere Justiz- und Finanzminister mit der Zeit. Doch der alte, chronisch kranke Mann wurde nicht besonders ernst genommen. Der britische Botschafter hatte ihn noch Monate zuvor als »Wichtigtuer« bezeichnet, der allerdings »bis an die Grenze der Sturheit unbestechlich« sei. Um Mossadegh hatten sich in den Jahren zuvor einige Dutzend junge Technokraten und Akademiker versammelt, die die Modernisierung des Landes vorantreiben wollten. Aus diesem Kreis entstand später die Nationale Front, eine Partei des Linksnationalismus.

Auch nach dem Beschluss zur Nationalisierung der Ölindustrie erkannten viele Mossadegh nicht wirklich an. Er wurde vom konservativen Parlamentspräsidenten aufgefordert, das Amt des Premierministers zu übernehmen und vom Schah nominiert. Das Ziel war, ihn zum Scheitern zu bringen, wie es schon vielen vor ihm in dieser Aufgabe ergangen war. Die gesellschaftliche Stimmung hatte sich allerdings verändert. Mossadegh griff diesen Wandel auf und stützte sich nach und nach mehr auf die Bevölkerung als auf die klassischen politischen Institutionen.

Die nächsten 28 Monate sollten die bis dahin turbulenteste Zeit der jüngeren iranischen Geschichte werden. Großbritannien, das als imperialistische Großmacht die iranische Politik seit über 100 Jahren maßgeblich bestimmte, setzte alle Hebel in Bewegung, um die demokratisch gefassten Beschlüsse des Parlaments zu unterlaufen und die Regierung zu stürzen. Zunächst wurden alle britischen Spezialisten der Ölindustrie abberufen. Während die Klagen Großbritanniens gegen die Nationalisierung vor dem internationalen Gerichtshof und dem Sicherheitsrat der Uno scheiterten, nahm die britische Marine das Recht in die eigenen Hände. Um einen Export des iranischen Öls zu verhindern, wurden mehrfach Tanker neutraler Staaten von britischen Kriegsschiffen aufgebracht und konfisziert. Die iranischen Häfen wurden blockiert, ein Wirtschaftsembargo trat in Kraft.

Putsch um jeden Preis

Der Schah und seine Anhänger waren paralysiert. Einerseits wollten sie sich nicht offen auf die Seite der ausländischen Macht schlagen, die bei der Bevölkerung zutiefst verhasst war, andererseits hatten sie große Angst vor den Folgen der Politik Mossadeghs. Ein Versuch, ihn abzusetzen, war im Juli 1952 am Widerstand der Bevölkerung gescheitert, die von der Nationalen Front und der Tudeh-Partei mobilisiert worden war. Die Briten schätzten den Schah als zu schwach ein, um einen Umsturz zu organisieren. Im Herbst 1952 beschloss die britische Regierung – nun wieder unter Winston Churchill als Premierminister – selbst etwas zu unternehmen. Ohne die Beteiligung der USA, die sich bis dahin in dem Konflikt vergleichsweise moderat verhalten hatten, waren die Briten in Iran aber nicht mehr operationsfähig. Die diplomatischen Beziehungen hatten sie abgebrochen, die Botschaft in Teheran war geschlossen.

Die zögerliche Haltung der US-Regierung endete, als im Januar 1953 Dwight D. Eisenhower die Präsidentschaftswahlen gewann. Nun ging es Schlag auf Schlag: Das diplomatische Personal der US-Botschaft in Iran wurde verdoppelt, das Budget für »landwirtschaftliche Hilfe«, die als Tarnung für Bestechungsgelder diente, verzehnfacht. Iran wurde geflutet mit Agenten und Dollars. Zur Vorbereitung eines Putsches durch das Militär wurde General Afschar Tus, den die Regierung mit der Reform des Militärs beauftragt hatte, unter direkter Beteiligung US-amerikanischer Agenten entführt und zu Tode gefoltert.

Anfang Juli 1953 stimmten Churchill und Eisenhower endgültig dem Putschplan zu, als Datum wurde der 16. August festgesetzt. Mossadegh erfuhr aber durch die Führung der Tudeh-Partei, die Informanten im Militär hatte, bereits am Vorabend von den Plänen. Die Putschisten wurden am nächsten Tag festgesetzt und Massendemonstrationen der Teheraner Bevölkerung blockierten ihre Verstärkung. Der Schah floh heimlich aus dem Land.

Aber die CIA und der britische Geheimdienst MI6 hatten einen Plan B. Die zweite Welle der Putschisten stand bereit. Am 18. August bat der amerikanische Botschafter Henderson um ein Treffen mit dem iranischen Premierminister. Er beklagte sich bei dem Gespräch über die Unsicherheit auf den Straßen und drohte damit, die Botschaft zu schließen und das Personal aus dem Land abzuziehen. Gleichzeitig deutete er die Möglichkeit eines Kompromisses in der Nationalisierungsfrage an.

Blutiges Ende

Hier beging Mossadegh einen verhängnisvollen Fehler: Er ging davon aus, dass die USA seine Regierung nach dem Scheitern des Staatsstreichs tatsächlich anerkennen und einen friedlichen Weg zur Beilegung des Konflikts wählen würden. Er nahm immer noch an, dass hauptsächlich die Briten hinter den Intrigen steckten. Den Rollenwechsel der USA vom Junior- zum Seniorpartner des Imperialismus wollte er nicht wahrhaben.

Noch während des Treffens mit Henderson rief Mossadegh zur Beendigung der Demonstrationen auf, am nächsten Tag sollten die Straßen wieder frei, die allgemeine Ordnung wiederhergestellt sein. Doch die freien Straßen wurden am 19. August von einem bezahlten Mob aus Schlägern und Berufsverbrechern gefüllt. Unter der Führung einer Unterweltgröße mit dem bezeichnenden Namen »Schaban der Hirnlose« griffen sie Büros und Versammlungsräume der Regierungsanhänger an, später schlossen sich ihnen Militärverbände der zweiten Welle der Putschisten an. Das Wohnhaus vom Mossadegh, wo er sich mit seinem Kabinett traf, wurde umstellt und nach stundenlanger Schießerei zerstört. Er ergab sich nachdem er durch die Flucht in das Nachbarhaus das Leben von Kabinettsmitgliedern und sich selbst rettete. In diesen Stunden wurde er mehrfach von der Führung der Tudeh-Partei und seinen eigenen Ministern gebeten, zum allgemeinen Widerstand aufzurufen und die Bevölkerung zu bewaffnen. Doch aus Angst vor einem Massaker durch die überlegenen Kräfte der Gegner weigerte er sich, diese Anweisungen zu erteilen.

Während Mossadegh den Rest seines Lebens im Gefängnis und unter Hausarrest verbrachte, wurden Hunderte seiner Anhänger eingesperrt. Den höchsten Blutzoll zahlten die Mitglieder der Tudeh-Partei. Der Schah war sofort zurückgekehrt und hatte sich grausam an seinen Gegnern gerächt. Er festigte seine Macht, gestützt durch den mit Hilfe der USA und Israels neu gegründeten Geheimdienst SAVAK, der in den darauf folgenden Jahrzehnten ein Terrorregime etablierte.

Der Sturz der demokratisch gewählten Regierung Irans wurde zur Blaupause für Staatsstreiche in vielen Ländern. Die CIA setzte ähnliche Pläne in Guatemala und Indonesien, in Argentinien und Chile um, in der Regel noch blutiger als im Iran. Die neue imperialistische Großmacht aber strich den Lohn für ihre Bemühungen ein Jahr später ein: In einem neuen Konsortialvertrag wurde das iranische Öl geschwisterlich zwischen Großbritannien und den USA geteilt.

Rouzbeh Taheri war während der 1990er Jahre in der parteipolitischen Linken aktiv, zuletzt Mitinitiator und Sprecher des Bündnisses Deutsche Wohnen & Co enteignen. Heute ist er Geschäftsführender Vorstand der nd.Genossenschaft. Er wurde im Iran geboren und verließ das Land mit 14 Jahren nach West-Berlin. Sein Onkel floh Ende der 1950er Jahre nach dem Putsch aus dem Iran.

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