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Komplizierter Neuanfang für die Linke nach Bartsch-Rückzug
Nach dem Rückzug von Dietmar Bartsch steht die Linke-Bundestagsfraktion vor einem komplizierten Neuanfang
Gregor Gysi hat alles versucht. Erst bemühte er sich wochenlang, Sahra Wagenknecht von ihren Plänen abzubringen, Die Linke zu verlassen und eine eigene Partei gründen. Das ist misslungen. Dann wollte er Dietmar Bartsch dazu bewegen, bis zur nächsten Bundestagswahl Vorsitzender der Linksfraktion zu bleiben. Auch das hat sich erledigt.
Bartsch, im März 65 geworden, wird nicht mehr für das Amt kandidieren, nach acht Jahren. Er habe, sagte er in dieser Woche, diesen Schritt zu seinem Geburtstag vollziehen wollen, sei dann aber von Freunden überredet worden, das angesichts der Parteikrise zurückzustellen. Einer der engsten Freunde ist Gysi, und im Lichte dieser Erklärung liest sich Gysis Vorschlag in einem Beitrag für das »nd« von Ende Juli, Bartsch möge »als stabiler Ausgangspunkt« die Fraktion weiter führen, wie ein verzweifelter Appell zum Durchhalten.
Mit Dietmar Bartsch verlässt der Letzte aus einer Generation die Führungsebene der Linken, die seit dem Umbruch von der SED zur PDS mit dieser Partei durch Höhen und Tiefen ging. Bartsch war Schatzmeister der PDS, als diese sich mit der Parteienkommission um das Altvermögen der SED stritt. Er trat in den Hungerstreik, als sich die PDS-Führung mit drastischen Mitteln gegen eine existenzbedrohende, willkürliche Steuerforderung der Finanzbehörden wehrte.
Er war Bundesgeschäftsführer, als 1998 der erste vollwertige Einzug in den Bundestag gelang und als die Partei vier Jahre später wieder rausflog. Nach einer Pause war er wieder zur Stelle, als die Linkspartei entstand, wurde im Streit mit Oskar Lafontaine zurückgestutzt und kam erneut zurück, zuletzt als Fraktionschef. Auch hier wieder vom Höhenflug als stärkste Oppositionskraft bis zum derzeitigen Tiefpunkt.
Acht Jahre lang stand Bartsch für den Versuch, die wachsenden Differenzen in der Linksfraktion zu überbrücken. Manche sagen auch: zu überdecken. Sein Fraktionsvorsitz – erst gemeinsam mit Sahra Wagenknecht, dann mit Amira Mohamed Ali – stand im Zeichen, vielleicht auch im Schatten der Flüchtlingsdebatte seit 2015, des Streits um das Wagenknecht-Projekt Aufstehen, später der Auseinandersetzungen um die Coronakrise und zuletzt um die Haltung zum Ukraine-Krieg. Bei all diesen Themen entzündeten sich Auseinandersetzungen, in denen sich Wagenknecht und ihre Unterstützer deutlich gegen Mehrheits- und Beschlusslagen in der Linken stellten.
In der Partei und auf Parteitagen führten diese Debatten zu Richtungsentscheidungen und Vorstandswahlen, die nicht zugunsten von Wagenknecht ausgingen. Die Bundestagsfraktion blieb eher vage, um nicht das sensible Kräftegleichgewicht der Flügel und Grüppchen zu gefährden. Die formale Stabilität der Fraktion wurde zu einer machtpolitischen Schraubzwinge, die zusammenhalten sollte, was nun offensichtlich nicht mehr zusammengehört. Alle Appelle, sich auf das Gemeinsame in der Linkspartei zu besinnen, sind folgenlos verhallt.
Dabei hätte es durchaus noch früher noch schlimmer kommen können. Denn im Bundestagswahlkampf 2021 setzte Die Linke, angetrieben durch die damalige Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow, auf Rot-Grün-Rot im Bund. Angesichts der schwierigen Fragen von Pandemie und Klimagerechtigkeit sowie vor allem des Ukraine-Kriegs wäre ein solches Bündnis wohl längst Geschichte – oder es hätte Die Linke bereits zerrissen.
Insofern kann die Partei heilfroh sein, dass es dazu nicht kam; am Scheidepunkt steht sie nun dennoch. Den Generalvorwurf der internen Kritiker kann man so zusammenfassen: Die Linke kümmere sich um Flüchtlinge und Klimafragen, aber nicht mehr um die Sozialhilfeempfänger aus der Nachbarschaft. An diesem Eindruck ist etwas dran. Er hat damit zu tun, dass sich in den letzten Jahren neue politische Großkonflikte entwickelt und zugespitzt haben. Und damit, dass eine neue Generation in der Linken mehr und mehr das Wort und die Ämter übernimmt, die nicht ins traditionelle Raster einer sozialistischen oder gar Arbeiterpartei passt. Dass die Generation, die noch Infostände und Hausbesuche gewöhnt war, auf dem altersbedingten Rückzug ist. Dass die Jungen viel übers Internet regeln statt über Straßenaktionen. Dass die Partei nicht mehr viel Kraft für klassische Kampagnen hat.
Wer ehrlich ist, muss allerdings einräumen: Auch auf den neuen politischen Feldern – Klimaschutz etwa, Geschlechtergerechtigkeit, digitale Arbeitswelt – drehen sich die linken Debatten um den Gerechtigkeitsbegriff und das Soziale. Man kann das bestreiten und ignorieren, wie es Wagenknecht und andere tun. Aber davon wird es nicht wahr. Die Frage ist nur, ob und wie das bei denen ankommt, für die Die Linke da sein will. Manchmal könnte man meinen, die Welt dreht sich zu schnell für diese Linke, die es nicht mehr schafft, mit all den neuen politischen und gesellschaftlichen Problemen klarzukommen, auf die die alten Schablonen nicht mehr passen. Und dann muss sie sich ja auch noch um sich selbst kümmern.
Diese Selbstbeschäftigung wird durch den Rückzug von Dietmar Bartsch noch forciert. In aller Eile muss eine neue Führung gefunden werden für eine Fraktion, in der es hoch hergeht. Und praktisch aus dem Nichts muss ein so genannter Parteikonvent organisiert werden; der Abgeordnete Sören Pellmann hat ihn vorgeschlagen, die Parteivorsitzenden haben zugestimmt, aber niemand weiß genau, was das eigentlich sein soll, denn es steht in keinem Regularium.
Wahrscheinlich wird es ein Stimmungstest für die Frage, ob Fraktion und Partei noch gemeinsam etwas erreichen wollen. Das distanzierte, fast schon zerstörte Verhältnis zwischen ihnen muss repariert werden, was nur insofern nicht schwierig ist, weil es schlimmer nicht werden kann. Und innerhalb der Fraktion? Dort kommt es darauf an, ob es noch ein paar Leute gibt, die über alle Differenzen hinweg ein wenig integrieren können. Pessimisten sagen, es geht zu Ende. Optimisten hoffen, dass in der Krise eine Chance steckt.
Viel wird davon abhängen, wie sich die Gruppe um Sahra Wagenknecht verhält, die mal auf fünf bis sieben, mal auf elf bis zwölf Abgeordnete taxiert wird. Sind sie, die den Kurs der Partei scharf kritisieren, noch bereit zu Kompromissen? Oder harren sie nur aus bis zum Signal aus dem Saarland für den Absprung? Mit Wagenknecht steht und fällt da alles, und es ist schon ein merkwürdiges, wenn nicht unwürdiges Schauspiel, dass lauter erfahrene Politiker und wortgewaltige Abgeordnete auf das Zeichen einer Person warten, statt selbst den Mumm aufzubringen, für klare Verhältnisse zu sorgen. Das sagt auch etwas über die vermeintliche Substanz eines Wagenknecht-Projekts.
Die Vorbereitungen dafür laufen längst. Es gibt Gespräche über Gründungsstrukturen, Gedankenspiele über den Parteinamen und die Frage, ob für den Start ein Minimalprogramm genügt. Mitstreiter werden angeworben. Und es wird die Erzählung gepflegt, die Linke-Führung nötige einen Teil der Partei geradezu zur Abspaltung. Man braucht einige Fantasie, um die seit Langem währende Abnabelung Wagenknechts und anderer von der Linkspartei und ihre Überlegungen zu einer neuen Partei so umzudeuten. Dass nun Vorstandskritiker den Rückzug von Bartsch, der sich immerhin um Zusammenhalt bemühte, als Beweis für die vermeintliche Zerstörungswut der Parteiführung benutzen, ist eine zynische Fußnote. Aber letztlich Ergebnis der Tatsache, dass die Fraktion ihre Differenzen oft nur ausgesessen hat, statt eine Klärung zu suchen.
Was Bartsch selbst von den Auseinandersetzungen hält, ließ er bei seiner Abschieds-Pressekonferenz offen. Er werbe für Menschlichkeit, Solidarität und Herzlichkeit und wolle sich deshalb »jetzt auch nicht negativ über die aktuelle Situation äußern«. Kein Kommentar ist auch ein Kommentar.
Noch – niemand weiß, wie lange – gehören Wagenknecht und ihre Gefolgsleute zur Linksfraktion. Sie könnten sie durch Austritt jederzeit pulverisieren. Die neue Führung zu bestimmen wird schwierig genug, zumal auch noch die Meinung des Parteikonvents einfließen soll. Die Vorsitzenden der Linken, Janine Wissler und Martin Schirdewan, haben für die Personalentscheidung ein Vorschlagsrecht – jene Vorsitzende also, die von Wagenknecht und Gefährten mehrfach für unfähig erklärt und zum Rücktritt aufgefordert wurden. Und die einen Vorstand leiten, von dem Wagenknecht-Freund Klaus Ernst sagt, dort säßen jede Menge »politikunfähige Clowns«.
Eine denkbare Variante: Janine Wissler, die auch Bundestagsabgeordnete ist, übernimmt den Vorsitz gemeinsam mit Sören Pellmann, dem Leipziger. Dafür spräche, dass in Gestalt von Wissler der Konflikt zwischen Fraktion und Partei wenigstens teilweise aufgelöst werden könnte. Und dass mit Pellmann jemand dabei wäre, der schon zwei Mal ein Direktmandat holte und den Anstoß zum Parteikonvent gab. Die Geschlechter- und die Ost-West-Parität wären gewahrt, und mit Pellmann, der bestimmte Positionen Wagenknechts teilt, wäre ein Teil dieses Flügels berücksichtigt.
Konkrete Auskünfte sind dazu derzeit nicht zu bekommen. Man sondiert intern eine tragfähige Lösung, von der Janine Wissler spricht. Bis dahin mag für nicht wenige in der Linken gelten, was Bertolt Brecht in »Der gute Mensch von Sezuan« schrieb: »Wir stehen selbst enttäuscht und seh’n betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.«
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