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- Leichtathletik-WM 2023
Sprinter Noah Lyles ist bei der WM auf den Spuren von Usain Bolt
Noah Lyles will die Leichtathletik-WM in Budapest mit einem Triple zu seinen persönlichen Festspielen machen
Ganz schön eng war’s. Im prestigeträchtigen Finale über 100 Meter von Budapest standen mit Noah Lyles und Christian Coleman zwei US-Sprinter auf der Bahn, dazu zwei Jamaikaner, der Weltjahresbeste Zharnel Hughes aus Großbritannien und Letsile Tebogo (Botswana). Die Favoritenfrage war unbeantwortet, alle acht Finalisten mit ihren Saisonbestzeiten gerade mal 14 Hundertstel auseinander. Nach dem Rennen trennten den Sieger vom Viertplatzierten auch gerade einmal vier Hundertstel. Kein Dominator in Sicht wie noch zu Zeiten Usain Bolts.
Und doch: Da ist dieser Noah Lyles. Er steht wie einst der legendäre Jamaikaner für schnelle Zeiten, eine große Klappe und einen ebenso großen Unterhaltungswert. Im Vorfeld der WM kündigte der US-Amerikaner schon mal einen 200-Meter-Weltrekord an. »Ich bin hier, um 9,65 Sekunden und 19,10 Sekunden zu laufen«, tönte der 26-Jährige über seine geplanten Starts auf den kürzesten beiden Distanzen. Mit kraftvollen Schritten rannte der amtierende 200-Meter-Weltmeister vor 35 000 Zuschauern am Sonntagabend dann auch zu seinem ersten WM-Titel über die 100 Meter. Zwar nicht ganz so schnell, wie vorausgesagt, aber auch nach seinen 9,84 Sekunden tönte Lyles in der Manier eines Muhammad Ali: »Das hat mir keiner zugetraut. Ich bin der Größte«, in den Budapester Nachthimmel. Noah Lyles schwingt sich auf, bei den Titelkämpfen in Ungarn der neue Sprintstar zu werden.
Die 100 Meter sehen viele als die Königsdisziplin der Leichtathletik, auch wenn nach vielen unwürdigen Beispielen immer dann, wenn jemand weniger als zehn Sekunden für die Strecke braucht, ein Dopingzweifel mitschwingt. Seit 2009 hält Usain Bolt, der die Szene zwischen 2007 und 2017 wie keiner vor ihm beherrschte, die Weltrekorde. Lyles will nun in dessen Fußstapfen treten. Und wie Bolt hat er noch mehr Talente als nur schnell laufen zu können. In Zürich trat der US-Sprinter einst auf der Show-Bühne in der Mitte des Letzigrund-Stadions auf. Dort rappte er vor 25 000 Zuschauern zusammen mit Stabhochspringerin Sandi Morris (USA) und der Band Baba Shrimps den Song »Souvenir«. Zumindest musikalisch ist er damit an Bolt vorbeigezogen. »Ich bin mehr als Sport«, sagt Lyles über sich selbst.
Dabei war es in seiner Kindheit mit dem Selbstbewusstsein nicht immer bestens bestellt. Den jungen Noah Lyles plagten viele gesundheitliche Probleme. Er kämpfte mit Hustenattacken, hatte Asthma und dadurch auch Probleme mit der Ernährung. Er musste teilweise von der Schule fernbleiben, sodass ihn seine Mutter daheim selbst unterrichtete, Sport war damals kein Thema. Der Sprint hat ihn erst später geformt und ganz neue Möglichkeiten aufgetan. »Ich bin nicht Noah, ich bin Winboy«, sagte er irgendwann zu seiner Mutter.
In Zürich sprach dieser Gewinnerjunge erstmals von einem Traum. Er habe sich den Weltrekordlauf komplett ausgemalt und könne sich an die Details noch genau erinnern. »Ich lief auf einer blauen Bahn auf gleicher Höhe mit den Konkurrenten und dann einfach davon«, erzählte Lyles. Die Zeit auf der Uhr, die er neben der Ziellinie sah: 9,41 Sekunden. Das wären noch mal 17 Hundertstel schneller als Bolt. Ist dieser Lyles nur ein Träumer?
Bolts Zeiten (9,58 über 100 und 19,19 Sekunden über 200 Meter) sind seine Orientierung, denn sein Selbstbewusstsein ist inzwischen fast grenzenlos. »Das war Noah-Lyles-like«, tönte er nach seinem Titellauf über die kurze Distanz. Gina Lückenkemper, Trainingspartnerin von Lyles in Florida, zeigt sich ebenfalls beeindruckt von ihm: »Noah hat einen großen Willen.«
Wie schnell kann ein Mensch überhaupt laufen? Sind 9,4 Sekunden wirklich drin oder gar die 9,27 Sekunden, die der australische Wissenschaftler Jeremy Richmond in Studien errechnet haben will. 44,72 Stundenkilometer hat Bolt als Höchstgeschwindigkeit immerhin mal erreicht. Dabei lief erst 1896 erstmals ein Mensch erstmals 100 Meter in weniger als 11 Sekunden. 1968 durchbrach der US-Amerikaner Jim Hines dann die Zehn-Sekunden-Barriere. Nicht wenige haben versucht, ihre Beine mit unerlaubten Mitteln schneller zu machen. Dopingsünder von Ben Johnson, Dwain Chambers, Tim Montgomery, Justin Gatlin, Tyson Gay – die Reihe lässt sich weiter fortsetzen – bis ins Finale von Budapest, in dem mit Christian Coleman ein Weltmeister mitrannte, der nach drei verpassten Dopingtests für 18 Monate gesperrt war.
Die WM von Budapest aber ist auf dem Weg, zu »Lyles-Festspielen« zu werden. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dieser extrovertierte Sprinter, der fast jährlich seine Frisur wechselt, am Freitagabend das Double auf seiner Spezialstrecke über 200 Meter einfährt. Seinen Vorlauf am Mittwoch dominierte er nach Belieben. Und am Samstag will er mit der US-Staffel über 4 x 100 Meter das Triple perfekt machen, das zuletzt Bolt gelungen ist. Das Feuerwerk am ungarischen Nationalfeiertag mit einer Million Besuchern an der Donau nach seinem ersten Sieg hatte da schon etwas Symbolkraft für die frühe Krönung von Sprintkönig Noah Lyles.
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