Neukölln-Komplex: Berufung gegen Nazi Tilo P.

Nach seinem Freispruch im Dezember 2022 Tilo P. muss sich erneut wegen des Vorwurfs der Brandstiftung vor Gericht verantworten.

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 3 Min.
2018 brannte das Auto des Linke-Politikers Ferat Koçak. Die Berliner Staatsanwaltschaft ging nun im Verfahren gegen Tilo P. in Berufung.
2018 brannte das Auto des Linke-Politikers Ferat Koçak. Die Berliner Staatsanwaltschaft ging nun im Verfahren gegen Tilo P. in Berufung.

Tilo P. muss erneut wegen des Vorwurfes der Brandstiftung vor Gericht. Die Generalstaatsanwaltschaft hat Berufung beim Amtsgericht Tiergarten eingelegt, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft Sebastian Büchner bestätigte. Zuerst berichtete die »B.Z.«. Das Gericht hatte den rechtsextremen P. im Dezember 2022 wegen volksverhetzender Schmierereien und Sticker zu einer Geldstrafe verurteilt, ihn aber vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen. Der mitangeklagte und ebenfalls freigesprochene Sebastian T. muss voraussichtlich nicht mit einem Folgeverfahren rechnen. Laut Pressestelle der Berliner Strafgerichte ist in seinem Fall keine Berufung verzeichnet.

Die Brandstiftungen, die nun am Landgericht verhandelt werden sollen, fanden in der Nacht des 1. Februar 2018 statt. Sie richteten sich gegen die Autos des Linke-Politikers Ferat Koçak und des Buchhändlers Heinz Ostermann und zählen zu einer rechtsextremen Anschlagserie in Neukölln. Koçak hat angesichts der Berufung gemischte Gefühle, wie er gegenüber »nd« erzählt. »Es liegt natürlich eine Chance darin, das Thema sichtbar zu halten, auch bezüglich anderer Fälle, wie der Mord an Burak Bektaş«, bezieht sich der Politiker auf die große Dimension rechter Gewalt in Neukölln. Gleichzeitig werde der Prozess voraussichtlich nicht die notwendige Gesamtbetrachtung leisten. Dafür sei der Untersuchungsausschuss zuständig; doch solange Straftaten im Zusammenhang mit dem Neukölln-Komplex vor Gericht verhandelt würden, stünden diese Akten dem Ausschuss nicht zur Verfügung.

Am 1. September startet der Untersuchungsausschuss nach der Sommerpause wieder. In der ersten Sitzung soll es um die Rolle des Landeskriminalamtes und den ehemaligen Leiter der »BAO Fokus« gehen, einer Einheit, die speziell politisch motivierte Kriminalität von rechts ermitteln sollte. »Wir werden den ganzen Bereich rechter Verstrickungen von Beamten behandeln, da gibt es viel zu ergründen«, sagt Niklas Schrader, ebenfalls Linke-Politiker im Abgeordnetenhaus und Mitglied der Untersuchungsausschusses.

Einen Eindruck vom strukturellen Rechtsextremismus innerhalb der Berliner Sicherheitsbehörde vermitteln die aktuellen Zahlen zu Prüffällen und Strafermittlungen: 136 Polizeimitarbeiter*innen stehen derzeit unter Rechtsextremismusverdacht, alle übrigen »Extremismen« rangieren im einstelligen Bereich. Das zeigt die Antwort auf eine schriftliche Anfrage von Schrader und Koçak an die Innenverwaltung. Demnach laufen 136 Prüf- oder Strafermittlungsverfahren gegen Polizeibeamt*innen und -beschäftigte, 30 mehr als noch im Vorjahr. »Es ist ein strukturelles Problem, das zeigt sich an den regelmäßig hohen Zahlen«, sagt Schrader zu der Erhebung.

Hamid Mohseni von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin betont, dass rechtsextreme Tendenzen in der Polizei ernstgenommen werden sollten: »Die Polizei als autoritäre, staatliche Institution hat das Gewaltmonopol, der Zugang ihrer Mitglieder zu Waffen und Munition kann eine Bedrohung für die Gesellschaft werden«, so Mohseni zu »nd«. Eine sinnvolle Bekämpfung hält auch er nur für möglich, wenn menschenfeindliche Einstellungen innerhalb der Behörde als strukturell anerkannt werden, »anstatt in die immer gleichen Abwehrreflexe zu verfallen und sich auf das Narrativ der ›Einzelfälle‹ zu versteifen.«

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