Kontroverse in Neuseeland

Abgeordneter plädiert für Vereinigung mit Australien – Aldi freut sich auf die Expansion im Nachbarland

  • Barbara Barkhausen
  • Lesedauer: 5 Min.
Ist der neuseeländische Abgeordnete Jamie Strange schon auf dem Weg nach Australien?
Ist der neuseeländische Abgeordnete Jamie Strange schon auf dem Weg nach Australien?

Als sich der neuseeländische Labour-Abgeordnete Jamie Strange im August aus dem Parlament verabschiedete, fielen nicht die üblichen Abschieds- und Dankesworte. Vielmehr sprach er sich dafür aus, dass sein Heimatland Neuseeland seine Unabhängigkeit aufgeben und dem Nachbarland Australien beitreten sollte. Neuseeland als siebter Bundesstaat Australiens, das sei eine Idee, die ihm immer dann in den Kopf schieße, wenn er in Australien zu Besuch sei, so Strange.

Als Argumente für seinen Vorschlag führte der Sozialdemokrat nicht zuletzt Kosteneinsparungen an. Beispielsweise könnte eine Vereinigung der Länder dazu führen, dass die deutsche Supermarktkette Aldi, die sich in Australien erfolgreich neben den großen einheimischen Marken etabliert hat, auch nach Neuseeland expandieren würde.

Seit der Rede des Abgeordneten wird dessen Idee in den sozialen Medien heftig diskutiert – von denen, die sie kategorisch ablehnen, bis hin zu einigen Befürwortern, die durchaus gute Argumente für eine Vereinigung der Länder oder zumindest eine politische Union anbringen. So schrieb der X-Nutzer Remiel Pollard beispielsweise, dass er »ein gewisses Maß an Einheit nicht völlig unangemessen« fände, vor allem wenn man bedenke, »wie viele kulturelle Überschneidungen wir haben«. Neuseeland sollte aber nicht Teil Australiens werden und Australien nicht Teil Neuseelands. Vielmehr könnten die Länder etwas Neues »wie eine Republik des Kreuzes des Südens« werden.

Schon jetzt leben rund 670 000 Neuseeländer in Australien – fast 15 Prozent der neuseeländischen Bevölkerung – und diese Zahl könnte nochmals deutlich anwachsen, nachdem die derzeitige australische Regierung es erst vor Kurzem einfacher für Neuseeländer gemacht hat, die australische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Der Abgeordnete Strange war zudem nicht der erste Befürworter, der die Idee offiziell zur Diskussion gestellt hat. Tatsächlich empfahl ein australischer Parlamentsausschuss 2006 eine politische Union, doch die damalige neuseeländische Premierministerin Helen Clark lehnte die Idee ab.

Erst im April lieferte auch der neuseeländische Datenwissenschaftler Rory Bunker, der an der Universität Nagoya in Japan arbeitet, in einem Meinungsstück für das neuseeländische Nachrichtenmagazin »Stuff« ein weiteres Plädoyer für eine Union ab. Bunker verwies dabei vor allem auf die »erheblichen wirtschaftlichen Vorteile«, die der Schritt für Neuseeland bringen würde: »Handel und Investitionen würden reibungsloser werden«, schrieb der Forscher. »Auch die Volkswirtschaften der Länder würden sofort diversifizierter: Neuseeland in Bezug auf Ressourcen und Australien in Bezug auf Milchprodukte.« Auch Bunker erwähnte in seinem Artikel den Einzelhändler Aldi, der es so leichter hätte, sich auf dem neuseeländischen Markt zu etablieren. Das wiederum würde zu niedrigeren Preisen für Grundnahrungsmittel für neuseeländische Verbraucher führen.

Wenige Tage vor dem Plädoyer von Bunker waren Regierungsdaten veröffentlicht worden, die zeigten, wie extrem die Preise in Neuseeland im Jahresvergleich gestiegen waren. So hatten die Preise für Lebensmittel um über zwölf Prozent zugelegt. Am stärksten betroffen waren frische Lebensmittel: Obst und Gemüse waren um 22 Prozent teurer geworden, Eier kosteten im Vergleich zum Vorjahr 63 Prozent mehr.

Dass die Idee von Strange und Bunker nicht völlig unrealistisch ist und auch früher bereits in Erwägung gezogen wurde, zeigt auch ein Abschnitt in der australischen Verfassung, der es Neuseeland ausdrücklich erlaubt, ein australischer Bundesstaat zu werden. Die Option ist in den Abschnitten 6 und 121 der australischen Verfassung enthalten. In den 1890er Jahren erwog Neuseeland schon einmal ernsthaft, der australischen Föderation beizutreten. Und nach der Unterzeichnung des Vertrages von Waitangi zwischen dem Vertreter der britischen Krone und 45 Maori-Chiefs im Jahr 1840 wurde das Land ungefähr ein Jahr lang tatsächlich als Teil der damaligen Kolonie New South Wales (einem heutigen australischen Bundesstaat) verwaltet. Regen Handel hatten die Bewohner der beiden Länder zuvor schon gepflegt.

In einem Artikel für das akademische Magazin »The Conversation« schrieb der Wissenschaftler Dominic O’Sullivan, der für eine neuseeländische wie eine australische Universität tätig ist, dass eine solche Union im 21. Jahrhundert einige interessante Fragen darüber aufwerfen würde, wie ähnlich – oder unähnlich – die beiden Länder seitdem geworden sind. »Eine politische Union würde die Beziehungen vereinfachen«, schrieb er. »Der Handel wäre effizienter, soziale und kulturelle Bindungen könnten gestärkt werden, Pässe würden nicht benötigt und Bankgeschäfte würden einfacher.«

Doch obwohl die beiden Länder heute schon freundschaftlich miteinander verbunden sind und militärisch wie nachrichtendienstlich zusammenarbeiten, gibt es durchaus signifikante politische Differenzen. So verfolgt Neuseeland eine atomwaffenfreie Politik und sieht den Sicherheitspakt Aukus, den Australien mit Großbritannien und den USA geschlossen hat, eher kritisch, weil Australien nuklear betriebene U-Boote erhalten soll.

Auch mit der indigenen Bevölkerung gehen beide Länder unterschiedlich um. Während die Maori in Neuseeland eine wichtige Rolle in Gesellschaft und Politik spielen, kämpfen die australischen Ureinwohner nach wie vor um mehr Anerkennung. Dies zeigt auch die derzeitige Debatte um ein indigenes Gremium (»Eine indigene Stimme«), das das Parlament bei Fragen zu Ureinwohnern beraten soll. Sollte Neuseeland ein Teil Australiens werden, würde der Einfluss der Maori »mit Sicherheit abnehmen«, so O’Sullivan.

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