Unterkünfte für Geflüchtete: Kein Ort für Kinder

In vielen Unterkünften werden die Rechte junger Geflüchteter verletzt

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 4 Min.

Überrascht sei er nicht gewesen von den Ergebnissen der Studie zur Situation von geflüchteten Kindern in Deutschland, sagt Radwan Al Hammadeh bei der Vorstellung der Untersuchung am Dienstag. Dass Kinderrechte bei geflüchteten Kindern und Jugendlichen verletzt werden, so das Fazit der Studie von Unicef und dem Deutschen Institut für Menschenrechte, wisse er aus eigener Erfahrung. Trotzdem »war das natürlich schrecklich für mich«, berichtet Al Hammadeh, der den Forschungsprozess kritisch begleitete und sicherstellte, dass Fragen kindgerecht gestellt werden.

Das war nämlich Ziel der Studie: Kinder selbst zu Wort kommen zu lassen, um ihre Lebensrealitäten und Bedürfnisse zu ermitteln. Die Studie sei nicht repräsentativ, betont Silke Borgstedt. Sie ist Geschäftsführerin des Sinus-Instituts, das 50 Kinder, acht Mitarbeitende und vier Unterkunftsleiter*innen in vier Geflüchtetenunterkünften in Deutschland interviewt hat. Vielmehr sollte es darum gehen, »die Perspektive der Kinder zu vermitteln«. Die Interviews seien in verschiedenen Sprachen geführt und um Mal- und Fotoaufgaben ergänzt worden.

Der Titel der Studie »Das ist nicht das Leben« ist das Zitat eines 15-jährigen Mädchens. Weiter soll sie gesagt haben: »Das ist sozusagen ein Stopp für das Leben«, berichtet Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland. Gemeint ist die monate- oder sogar jahrelange Unterbringung in Unterkünften, »die aus Sicht von Unicef vor allem eines nicht sind: kindgerecht«, kritisiert Schneider.

2022 seien etwa 430 000 asyl- und schutzsuchende Kinder und Jugendliche nach Deutschland gekommen, hinter denen oft ein jahrelanger Ausnahmezustand von Krieg, Angst und größter Armut liege. »Und dann erleben sie auch hier häufig keine Kindheit, die diesen Namen wirklich verdient«, so Schneider. Er habe eine Familie getroffen, die seit zehn Jahren auf der Flucht ist. Einer der Söhne sei nun zehn Jahre alt und lebe in einer Unterkunft hinter einem Zaun. Schon seit 2014 habe Unicef immer wieder angemahnt, dass die Rechte geflüchteter Kinder in Deutschland nicht richtig geachtet werden – das habe sich bis heute nicht wesentlich geändert.

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Michael Windfuhr, stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, weist auf unzureichende oder fehlende Beschulung geflüchteter Kinder hin. »Dabei ist das Recht auf Bildung ein Menschenrecht, das in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben ist. Deutschland hat das 1992 unterschrieben«, erinnert er. Die Vereinten Nationen empfehlen den Regierungen, entsprechende Daten zu erheben, doch solche fehlten hinsichtlich geflüchteter Kinder weitgehend.

Auch Kindern zuzuhören und ihnen eine Stimme zu geben, stehe in der Kinderrechtskonvention. »Nur werden Kinder bislang kaum angehört und einbezogen«, sagt Windfuhr. Obwohl viele von ihnen ganz pragmatische und einfach umzusetzende Wünsche hätten, zum Beispiel Privatsphäre oder Kontakt zu Gleichaltrigen. Unicef-Chef Schneider berichtet, dass sich viele Kinder nach der Studie bei ihnen bedankt hätten, »weil es das erste Mal war, dass sich jemand wirklich für sie interessierte«.

Zentral sei das Thema Wohnen gewesen, erklärt Silke Borgstedt vom Sinus-Institut. Viele der Befragten hätten beengte Verhältnisse und fehlende Rückzugsmöglichkeiten beklagt. Manche müssten sogar von ihren Familien getrennt oder mit fremden Familien zusammenwohnen. Große Angst hätten die Kinder vor Diskriminierung und Ablehnung. Borgstedt zitiert einen 17-Jährigen mit den Worten: »Wenn ich in der Bahn bin, haben die Leute irgendwie Angst. Ich spüre das, ich habe das gesehen. Keiner wollte neben mir sitzen. Ich verstehe nicht, warum.«

Bildung sei dagegen ein »Sehnsuchtsthema«. Die meisten geflüchteten jungen Menschen würden mit sehr großer Energie Deutsch lernen. Borgstedt findet die große Zuversicht und den Optimismus vieler Kinder beeindruckend. »Kinder versuchen immer, das Beste daraus zu machen und finden zum Beispiel trotz strenger Ausgangsbeschränkungen Möglichkeiten, miteinander zu spielen.«

Das Fazit von Unicef: »Große Unterkünfte sind keine Orte für Kinder«, so Schneider. Er fordert, junge Geflüchtete möglichst dezentral in richtigen Wohnungen unterzubringen. Windfuhr schlussfolgert aus der Studie, es brauche ein Ressort, das sich um menschenwürdige Lebensbedingungen von Kindern kümmert. »Kinderrechte sind nicht optional oder nice to have«, betont er. Radwan Al Hammadeh ergänzt, er hoffe, »dass das bei der Politik ankommt und dass sich was ändert«.

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