Werbung

John Ford: Stinkstiebel und Gesetzesbeuger

Vor 50 Jahren starb der neben Chaplin bedeutendste Kinoregisseur der USA: John Ford

  • Stefan Ripplinger
  • Lesedauer: 5 Min.
Fords Kino glaubt nicht an das Gute im Menschen.
Fords Kino glaubt nicht an das Gute im Menschen.

Es gibt unendlich viele Mittel, Moralisten von Materialisten zu scheiden, aber die Filme von John Ford sind ein probates. Moralisten mögen sie selbstverständlich nicht. Es schaudert sie, dass der bekannte Reaktionär John Wayne in ihnen spielt, der Maureen O’Hara im »Quiet Man« (Der Sieger; 1952) an den Haaren zerrt und in »The Searchers« (Der Schwarze Falke; 1956) gar ein Rassist ist. Materialisten dagegen schätzen an Ford, dass seine Filme fast immer von Institutionen handeln: Armee, Kirche, Gericht, Fabrik, Familie. Es geht nicht um Einzelne, es geht um Verhältnisse, und selten sind sie erfreulich.

Schon sein erster großer Film erweist es, »The Iron Horse« (Das Feuerross; 1924). Ein weniger dickköpfiger Regisseur hätte sich für ein solches Mammutprojekt, das die damals enorme Summe von 280 000 Dollar verschlang, ein zugkräftiges Thema gewählt, wohl am ehesten eine Liebes- oder eine Abenteuergeschichte. Ford wählte sich eines der größten Infrastrukturprojekte des Landes, den Bau der Interkontinentalbahn (1865–1869). Dass der Held des Films nicht sein Hauptdarsteller, der bezaubernde George O’Brien, ist, zeigt sich allein daran schon, dass dieser in dem zweieinhalbstündigen Film erst nach einer knappen Stunde auftritt. Aber wer ist der wahre Held? Die Eisenbahn wie in »La Roue« (Das Rad; 1923) von Abel Gance? – Nein, Ford neigt nicht zum Fetischismus und ist auch, anders als die meisten großen Regisseurinnen und Regisseure der Zeit, kein Expressionist. Einmal abgesehen von der Zeltwand eines Saloons, auf der sich schattenhaft wie auf einer »dämonischen Leinwand« ein tödlicher Zweikampf abzeichnet, bietet er keine ehrfurchtgebietenden Bilder wie Friedrich Wilhelm Murnau oder dessen Schüler Alfred Hitchcock und er wird auch später nur einmal, in »The Informer« (Der Verräter; 1935) von seinem nüchternen Stil abweichen.

Die Heldin von »The Iron Horse« ist die Arbeit. In minutenlangen Einstellungen verfolgt die Kamera die einzelnen Arbeitsschritte der Verlegung von Schienen. Es geht um die Bedingungen, unter denen die Arbeiter – darunter viele chinesische Einwanderer – schuften. Manchmal bleibt der Lohn aus, es kommt zu Versorgungsengpässen, ganze Herden von Rindern müssen herangetrieben werden, um die vielen Arbeiter zu verköstigen. Ford erfasst die ökonomischen und politischen Aspekte der Geschichte, die Spekulation mit Land und Abraham Lincolns Kampf mit seinen Generälen, die das Geld für die Bahn lieber in Waffen investiert hätten. Allerdings verklärt er hier wie später Lincoln, der »das Unausweichliche«, also das mit dem Bau verbundene immense Leid, etwa der Ureinwohner, vorausgesehen, jedoch in Kauf genommen hätte, um »mit Blut und Eisen Osten und Westen« zu verschmelzen.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Es ist aber nicht der Staat, der Ford hier als Institution interessiert, sondern es sind Armee und Gericht. Beide zeigt er in einem denkbar primitiven Zustand. Am Bau arbeiten frühere Soldaten von Union und Konföderation mehr oder weniger einträchtig zusammen. Es kommt zu Wiederbegegnungen. »Erkennen Sie mich denn nicht, Herr General? Ich habe doch seinerzeit für Sie das Hühnchen gestohlen«, bringt sich Corporal Casey in Erinnerung. Die mit J. Farrell MacDonald glänzend besetzte Rolle des rauflustigen und prahlerischen irischen Trunkenbolds wird in sämtlichen Armeefilmen und Western Fords wiederkehren, dargestellt meist von Victor McLaglen, aber auch von Fords Bruder Francis, selbst Regisseur, der ihn überhaupt erst nach Hollywood brachte.

Gericht hält in »The Iron Horse« der Wirt des Saloons (James A. Marcus) und zwar nach alter Väter Sitte. »Ich werde hier für Ordnung sorgen, und wenn ich die gesamte Bevölkerung abknallen muss«, erklärt er gegenüber Buffalo Bill, der selbst kein Wort sagt und lieber Büffel schießt. In »Judge Priest« (1934), einem seiner drei wunderbaren Filme mit Will Rogers, hat Ford die Figur des Richters erneut gestaltet, ebenso dem Buchstaben des Gesetzes spottend, aber weniger rau, ja fast resigniert. Es ist der einzige Film, von dem Ford selbst ein Remake gemacht hat: In »The Sun Shines Bright« (Wem die Sonne lacht; 1953), der ihm unter seinen Filmen der liebste war, rechnet er mit den Moralisten ab.

Eine sterbende Hure kehrt in ihre Stadt zurück, um noch einmal ihre Tochter zu sehen. Als die Mutter gestorben ist, bittet die Bordellbesitzerin Richter Priest (hier: Charles Winninger) um eine würdige Bestattung. Die rechtschaffenen Bürger sind entsetzt, und da gerade Wahlkampf ist und auch Priest zur Wahl steht, wird das Ereignis von den Liberalen ausgeschlachtet. Die stumme Szene mit der von Priest angeführten Trauerprozession für die Verstorbene kann ich nicht anschauen, ohne in Tränen auszubrechen. Es ist ein Höhepunkt, den nur wenige andere Meisterwerke – von »How Green Was My Valley« (Schlagende Wetter; 1941) über »My Darling Clementine« (Faustrecht der Prärie; 1946) bis »Wagon Master« (Westlich St. Louis; 1950) – erreichen.

In »The Sun ...« geht es auch und vor allem um einen der bei Ford überaus häufigen Lynchmobs, der einem afroamerikanischen Jungen nach dem Leben trachtet. Der Film ist also ein klar antirassistisches Bekenntnis, dennoch könnte er heute nicht mehr gedreht werden. Grund dafür ist Richter Priests Diener, 1934 und 1953 gespielt von Stepin’ Fetchit. Fetchit strapaziert mit viel Lust das Klischee des stotternden, stierenden, schlurfenden schwarzen Faulpelzes. Er verfolgt die Strategie von »putting on old massa« und führt in der Manier von Schwejk den alten Herrn hinters Licht, um sich selbst das Leben zu erleichtern. Schon in den Fünfzigern protestierten die Humanisten heftig gegen diese Karikatur, und Fetchit wurde nicht mehr besetzt. Ford jedoch hat sich von solchen Vorwürfen nie beirren lassen. Er beschäftigte auch Kommunisten, die auf der Schwarzen Liste standen.

Fords Kino glaubt nicht an das Gute im Menschen. Seine Charaktere, von Doktor Bull über Richter Priest bis Tom Doniphon (der Mann, der Liberty Valance erschoss) sind fast durchweg reichlich dubiose Gestalten, alkoholabhängig, wahre Stinkstiebel und passionierte Gesetzesbeuger. Wenn sie etwas Gutes tun, dann selten ohne böse Absicht. Das Anrührende kommt bei Ford immer nebenbei, sehr trocken. In »The Iron Horse« werden zahllose Cheyenne vom Pferd geschossen. Wir sehen, wie einer von ihnen zu Boden geht, dann kommt sein Hund und legt sich trauernd neben den Kopf des Toten.

Vor 50 Jahren ist John Ford in Palm Desert gestorben.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -