Film »Luise« im Kino: Angst vor der weiblichen Versuchung

Matthias Luthardt erschafft in dem Liebesdrama »Luise« eine bäuerliche Welt im Nirgendwo zwischen Krieg und Frieden, Feindschaft und Liebe

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 4 Min.
»Luise« konzentriert sich auf die Beziehung der zwei Frauen und ihre Liebe zueinander.
»Luise« konzentriert sich auf die Beziehung der zwei Frauen und ihre Liebe zueinander.

Manche stillen Filme bohren sich einfach leise ins Herz. Das Drama »Luise« könnte einer dieser Filme sein, doch Regisseur Matthias Luthardt inszeniert den Film zu märchenhaft-entrückt, um zu berühren.

Luise (Luise Aschenbrenner) wohnt nach dem Tod ihrer Mutter allein auf einem Bauernhof im Elsass, nahe der französischen Grenze. Kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs, im Oktober 1918, stören zwei Fremde das Idyll im damaligen deutschen Reichsgebiet. Eines Tages steht die Französin Hélène (Christa Théret) in Luises Küche. Sie ist auf der Flucht vor dem deutschen Soldaten Hermann (Leonard Kunz), dessen Kameraden sie aus Notwehr getötet hat. Kurz darauf erscheint der Soldat hinkend auf der Schwelle von Luises Stube und bedroht Hélène mit seinem Gewehr. Luise macht sich schützend vor der Französin stark und hält Hermann davon ab, Hélène mit sich zu nehmen. Sie möchte seine Kriegswunde versorgen und gewährt dem jungen Soldaten und der Französin Zuflucht.

Matthias Luthardts »Luise« basiert auf D.H. Lawrences Novelle »Der Fuchs«. Das bedrohliche Hintergrundrauschen des Krieges und die spürbaren Spannungen zwischen den Figuren kündigen das Unheil an – wie ein Fuchs, der um die Häuser streicht, um das nächste Huhn zu reißen. Luthardt verlegt die Handlung von England in das Elsass und geht in seiner Adaption sehr frei vor. Im Original rücken zwei Frauen während des Krieges näher zusammen, bis ein Mann zu ihnen stößt und neue Begehrlichkeiten weckt. »Luise« konzentriert sich auf die Beziehung der zwei Frauen und ihre Liebe zueinander.

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Außerdem entscheidet sich der Regisseur für eine Sprachbarriere. Hélène spricht nur Französisch, versteht aber Deutsch, Hermann versteht die Französin nicht. Luise ist die Brücke zwischen den zwei konträren Welten und spricht beide Sprachen. Nur Hélène scheint in ihren Handlungen frei zu sein. Sie möchte nach Holland, um dort fernab von Liebeskonventionen ein neues Leben zu beginnen. Luise hingegen kämpft mit ihrem christlichen Glaubensbild, dem die Liebe zu Hélène widerspricht. Für Hélène gibt es keinen Gott. Hermann stellt sich auf die Seite der Gläubigen und spricht von einem »Virus«, das Hélène, »die Gottlose«, ins Haus gebracht habe.

Für Hermann ist Hélène der Stachel in Luises Fleisch, der entfernt werden muss. Mit verwundetem Bein beobachtet der Soldat aus dem Fenster, wie sich die beiden Frauen bei der Arbeit auf dem Hof annähern. Wie ein Schachspieler taktiert Hermann, doch das Spiel spielt er nicht allein. Je länger die Drei zusammenwohnen, umso aggressiver wirbt Hermann um Luise, für ihn durch ihre Frömmigkeit das schwächste Glied der Dreierkette, auch Hélène kämpft um die junge Frau.

Die Figurenzeichnung ist erwartbar, denn Luthardt verlässt sich auf stereotype Figuren und Situationen. Die Grautöne fehlen. Hélène ist verletzlich-zart, die Liebe zwischen Hélène und Luise sanft und leidenschaftlich. Hermann ist ein vom Krieg durch soldatische Härte gezeichneter Mann, der sich nie ohne den Schutz seines Gewehres durch das Haus bewegt. Das Bild von Hermann als Erwachsenem, der sich durch den Krieg zu früh von seiner Jugend verabschieden musste, wird nur suggeriert. Hermann lässt auf harte Worte harte Taten folgen. Der Akt zwischen Hermann und Luise wird vollzogen und wirkt schmerzhaft.

Der Film ist in natürlichen Erdfarben gehalten, durch die Farbgebung wirkt »Luise« wie ein lebendiges Ölgemälde. Es ist alles seltsam gedämpft. Der gedeckte Holztisch im Schein einer schwachen Glühlampe dominiert den kleinen Raum, der durch niedrige Decken und kleine Fenster beklemmend wirkt, auch die Szenen im Tageslicht wirken unnatürlich blass. Wie ein Gemälde betrachtet man die von Kamerafrau Lotta Kilian eingefangenen Bilder des einfachen Häuschens, das Luthardt in den Vogesen gefunden hatte.

Die Dialoge sind extrem reduziert. Gibt es einen Dialog, der durch ein Bild, eine Geste oder eine Handlung ersetzt werden kann, dann entscheidet sich Luthardt immer gegen das gesprochene Wort. Durch all die Reduzierungen wirkt »Luise« artifiziell. Auch die Streicher, welche die unheilvolle Stimmung verstärken sollen, verleihen dem Film etwas seltsam Entrücktes. Doch so artifiziell »Luise« auch umgesetzt ist, so authentisch beeindruckt Aschenbrenner mit ihrem stillen Spiel, das all die Verletzlichkeit, Ängste und Zweifel, all die Ambivalenzen ihrer Protagonistin offenbart, die sich letztlich in einem mutigen Akt der Selbstbehauptung für ihren eigenen Weg entschiedet.

»Luise«: Schweiz, Frankreich, Deutschland 2023. Regie: Matthias Luthardt. Buch: Sebastian Bleyl, Matthias Luthardt. Mit: Luise Aschenbrenner, Christa Théret, Leonard Kunz. 95 Min. Jetzt im Kino.

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