Explodierende Energiekosten belasten Mieter

Mieterverein und Sozialverband in Hamburg berichten von teilweise absurd hohen Nachzahlungsforderungen

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Tausende Hamburger Mieter stöhnen derzeit über teilweise horrend hohe Nachzahlungsforderungen für Betriebskosten, die ihnen seit einigen Wochen ins Haus flattern. Vor allem die infolge des Kriegs in der Ukraine extrem gestiegenen Energiekosten belasten auch Haushalte mit durchschnittlichen Einkommen stark. Dazu erläuterten der Mieterverein Hamburg und der Sozialverband SovD am Dienstag auf einer Pressekonferenz Beispiele aus ihrer Beratungspraxis.

Als Jürgen B. etwa einen Brief mit seiner Betriebskostenabrechnung 2022 geöffnet habe, seien demnach seine Heizkosten im Vergleich zum Vorjahr um 250 Prozent gestiegen. Seine kleine, idyllisch in den Elbvororten gelegene Wohnanlage, wird mit Öl beheizt. B. soll laut Abrechnung pro Liter Brennstoff 2,36 Euro zahlen. Seine Vermieterin hatte im März des vergangenen Jahres offenbar 5 308 Liter für 12 514 Euro gekauft – und das, obwohl der Tank zu diesem Zeitpunkt noch gut gefüllt war und der Ölpreis damals Rekordhöhen erreicht hatte. Laut Statistischem Bundesamt lag der Preis für einen Liter Heizöl in der Hansestadt zu diesem Zeitpunkt im Durchschnitt aber nur bei 1,25 Euro. Obwohl die Zahl seiner gemessenen Verbrauchseinheiten im Vergleich zum Vorjahr sank, sollte der Mieter 1 356 Euro nachzahlen.

B. wandte sich an den Mieterverein. Der empfahl, die Rechnung nicht zu begleichen und pro Liter nur 1,25 Euro zu zahlen. »Die Geschichte ist noch nicht ausgestritten, solche Fälle werden die Gerichte demnächst beschäftigen«, sagte Rolf Bosse, der Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzende des Mietervereins. Sollte sich der Verdacht erhärten, dass trotz günstigerer Alternativen teure Lieferungen bezogen wurden, wäre dies ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot.

Der Mieterverein registriert derzeit einen erheblichen Anstieg von Anfragen zum Wohngeld und zu Betriebs- und insbesondere Heizkostenabrechnungen. »Vorsichtig geschätzt melden sich in der Regel etwa 10 000 Mitglieder, in diesem Jahr dürften es deutlich mehr werden«, so Bosse. Auch Klaus Wicher, Hamburger Vorsitzender des Sozialverbands SovD, berichtet von einem stärken Beratungsbedarf: »Allein 600 Anfragen im ersten Halbjahr, so viele wie nie zuvor – ein klares Zeichen dafür, dass die soziale Spaltung zugenommen hat.«

Wicher erzählt von Mieterhaushalten mit durchschnittlichem Einkommen, die Nachzahlungen in vierstelliger Höhe nicht mehr stemmen könnten, und empfiehlt die Inanspruchnahme staatlicher Hilfen. Sobald die Betriebskostenabrechnung im Briefkasten liege, so der SovD-Chef, sollten die Betroffenen beim zuständigen Amt umgehend einen Antrag auf Übernahme des Betrags stellen. Für Arbeitnehmer und Bürgergeldempfänger ist das Jobcenter zuständig, für Rentner ist das Grundsicherungsamt der richtige Ansprechpartner.

Besonders bitter: Von extrem hohen Nachzahlungsforderungen sind viele Saga-Mieterhaushalte betroffen – also vor allem weniger begüterte Menschen: Der städtische Großvermieter Saga mit 135 000 Wohnungen hat für seine 55 000 mit Gas beheizten Einheiten einen langfristigen Vertrag mit einem Flensburger Energieunternehmen abgeschlossen, der keinen Fest- sondern den jeweiligen Marktpreis zur Grundlage hat. Deshalb ist der Brennstoff nun viermal so teuer wie vor zwei Jahren.

Doch nicht nur gestiegene Energiekosten führen zu hohen Betriebskostenabrechnungen. Neben üblichen Abrechnungsfehlern, die Hamburgs Mieterhaushalte jährlich mit zwölf Millionen Euro belasten, sind es nicht berücksichtigte Dezemberhilfen oder nicht eingehaltene gesetzliche Vorgaben.

Jutta und Helmut Asmussen können ein Lied davon singen. Das Ehepaar wohnt in Steilshoop über einem Einkaufszentrum mit großem Leerstand. Beide sind seit vielen Jahren Mitglied im Mieterverein, dessen Dienste sie jedes Jahr beanspruchen, denn die Betriebskostenabrechnungen sind fast immer falsch. Unter anderem legt der Vermieter schon jahrzehntelang Kosten des Einkaufszentrums auf die Mietparteien um. Allein für 2022 sollen die Senioren 3 625 Euro nachzahlen.

»Unserer Erfahrung nach ist jede zweite Nebenkostenabrechnung falsch«, betont Bosse vom Mietervereins. Deshalb sei es immer sinnvoll, die Abrechnung genau zu prüfen. »In Anbetracht der letztjährigen Explosion der Energiekosten müssen Mieterinnen und Mieter besonders kritisch sein.«

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