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Lothar Bisky, der Große
Gedenkveranstaltung der Linken zum zehnten Todestag des Parteivorsitzenden und Fraktionschefs
»Und ich hoffe, er schaut von wo auch immer auf uns und trinkt einen Schluck roten Wein auf das, was heute geschah.« Gregor Gysi waren diese letzten Worte vorbehalten, als die Veranstaltung »Mensch, Bisky« am Dienstagabend im Brandenburger Landtag endete. Rund 200 Weggefährten waren hier zusammengekommen, um an Lothar Bisky zu erinnern. Kaum eine der vielen Äußerungen entbehrte dabei eines Gedankens: Du fehlst uns.
Lothar Bisky hätte sich mit der 2014 auf dem Potsdamer Alten Markt eröffneten Kopie des preußischen Stadtschlosses als Landtag wohl weniger angefreundet, mutmaßte Sebastian Walter. Der 33-Jährige ist zurzeit, was Lothar Bisky einst einmal war: Vorsitzender der Linksfraktion im Landtag. Zu Biskys Zeiten thronte das Parlament noch auf dem Brauhausberg.
»Ich kann es kühn sagen: Er mochte noch manchen Gegner haben, aber kaum
noch einen persönlichen Feind.« Diese Worte von Friedrich Engels am Grab
von Karl Marx fanden in Walters Rede ihre Entsprechung: Nie ein schlechtes Wort habe er über Lothar Bisky gehört, weder innerhalb noch außerhalb der Partei. Walter würdigte Biskys integrative Kraft, dessen Fähigkeit, sanft und zugleich bestimmt aufzutreten. »Er war prägend für dieses Land und für diesen Landtag.« Die PDS war mit Bisky in Brandenburg eine verfassungsgebende Kraft, sie hat die brandenburgische Landesverfassung mitausgearbeitet. Dies schloss nicht aus, dass von Bisky später auch zu hören war: »Wir stellen die Systemfrage.«
Dieter Wiedemann, einstiger Rektor der Filmhochschule »Konrad Wolf« in Potsdam-Babelsberg, schilderte danach eine heute eher unbekannte Seite seines langjährigen Freundes und Vorgängers im Amt: den exzellenten DDR-Wissenschaftler Lothar Bisky, den Massenkommunikations- und Jugendforscher. Ferner den Rektor der Filmhochschule, der sich vor seine von Repression bedrohten Studenten stellte und zu einem Zeitpunkt die Zensurschere als Machtmittel an der Hochschule abschaffte, in dem dies sonst in der DDR alles andere als üblich war. Bisky hatte in der Wendezeit die Vertrauensfrage gestellt und wurde mit sämtlichen Stimmen der Studenten im Amt bestätigt. Seine Rede auf dem Berliner Alexanderplatz im November 1989 bezeichnete Bisky später als seinen größten politischen Erfolg. Den Wechsel des Wissenschaftlers Bisky in die Politik flankierte Wiedemann zufolge ein einfacher Satz: »Es tut mir leid, aber die Politik braucht mich mehr als die Hochschule.«
Müßig zu fragen, ob er dies später bereut hat. Bisky war laut Wiedemann mit Leib und Seele Wissenschaftler. Was auf ihn »in der Welt der belegten Brötchen« wartete, waren des Lebens gemischte Freuden im hohen Maße. »Ich habe mir Mühe gegeben. Es hat teilweise auch viel Freude gemacht.« In diese Worte kleidete Bisky rückblickend seine politische Karriere als Landtags-, Bundestags- und Europaabgeordneter sowie als Bundesvorsitzender seiner Partei. Sie standen am Anfang und am Ende einer szenischen Lesung, deren Texte Franz Sodann zusammengestellt hatte. In einem gleichsam griechisch-antiken Wechsel- und Sprechgesang ließen dabei die Politiker Gregor Gysi, Dietmar
Bartsch, Dagmar Enkelmann, Bettina Fortunato und Isabelle Vandré das Leben Biskys Revue passieren.
Weil es das Gedenken an einen großen Mann nicht an sich gibt, sondern immer nur in einer konkreten Situation, konnten Anspielungen auf den prekären Zustand der Linken in der Gegenwart dabei nicht ausbleiben. Zerbricht gerade das politische Lebenswerk Lothar Biskys, der seine Partei in Brandenburg von 13 Prozent zu einer 28-Prozent-Stärke im Landtag geführt hatte? Er »hätte uns den Kopf gewaschen«, hatte eingangs Linksfraktionschef Walter gesagt und trotz der nicht beendeten Querelen seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass es die Linkspartei bei der nächsten Landtagswahl am 22. September kommenden Jahres wieder auf mehr als die derzeit zehn Abgeordneten bringen werde, die sie bei nur noch 10,7 Prozent der Stimmen bei der Landtagswahl 2019 erhalten hatte.
Bei der Lesung wurde deutlich, dass die Richtungskämpfe und die inneren
Differenzen so alt sind wie die Linkspartei, beziehungsweise vorher die PDS. Gleichwohl war die Zerrüttung noch nie so tiefgreifend wie jetzt. Nicht zuletzt war es die Autorität Biskys, die viele Jahre einen zeitweiligen Konsens herstellen konnte, der heute ausgeschlossen erscheint.
Umstritten war der Kurs der Sozialisten auch zu Zeiten, da Bisky die Partei prägte und sogar als Vorsitzender anführte. »Man kann nicht in einer Gesellschaft leben und gleichzeitig frei von ihr sein«, hatte er sich brav marxistisch gegen Vorwürfe verwahrt, die reine Lehre zu verletzen. Dabei hatte er schon genug Schläge seitens der politischen Konkurrenz zu parieren: Unbewiesene Stasi-Vorwürfe gehörten dazu wie auch das deprimierende Erlebnis, viermal bei der Wahl zum Vizepräsidenten des Bundestags gescheitert zu sein. Und das, obwohl die Vorsitzenden der übrigen Bundestagsfraktionen zuvor Biskys Wahl zugesichert hatten, wie sich Gregor Gysi erinnerte. »Wenn ich ein Mensch wäre, der leicht zu kränken ist, wäre ich nicht PDS-Vorsitzender geworden«, hatte Bisky rückblickend gesagt. Auf die Frage, welche Angriffe ihn stärker verletzt hätten, die aus dem Westen oder die aus dem Osten, hatte Bisky völlig sicher geantwortet: »Die aus dem Osten. Denen im Westen halte ich zugute, dass sie wie meine Tanten sind und die DDR nicht gekannt haben.«
Gregor Gysi hob bei der Feierstunde in seinen abschließenden Worten hervor: »Er war eben kein Politiker, wie es sie heute vielfach gibt, die für eine Schlagzeile eigene Grundsätze und Erkenntnisse aufgeben.« Und nichts habe einem Mann wie Lothar Bisky ferner gelegen, als sich auf Kosten der Partei zu profilieren.
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