Film »Alaska«: Folgenloser Kreisverkehr

Regisseur Max Gleschinski stellt uns in seinem Film »Alaska« vor das Geheimnis einer Frau mit ihrem roten Paddelboot

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.
Schöner rauchen auf der Mecklenburgischen Seenplatte: Nur wo ist der Plot?
Schöner rauchen auf der Mecklenburgischen Seenplatte: Nur wo ist der Plot?

Eine Frau paddelt. Sie hat kein Ziel, fährt immer im Kreis. Flüchtet sie vor etwas oder ist sie auf der Suche? Oder ist es gar ein Ritual: Ich paddele, also bin ich? Man möchte es gern wissen und folgt anfangs Kerstin aufmerksam in ihrem roten Boot über die Mecklenburgische Seenplatte. Zwei Stunden lang fährt sie, leider nicht ohne banale Unterbrechungen, die die Magie der monotonen Tätigkeit schließlich erheblich stören.

Die junge Frau und der labyrinthische See, das ist ein Sujet wie von Hemingway. Der ließ seinen alten Mann auf dem Meer der Zeit einen Kampf kämpfen, der an die Wurzeln seiner Existenz ging. Auch Kerstin ist nicht mehr jung, Mitte 40. Sie hat jahrelang ihren kranken Vater gepflegt, einen ehemaligen Kanu-Leistungssportler aus der DDR. Nun ist er tot und sie allein. Etwas in ihrem Leben ist kaputt gegangen, sie steht an einer Schwelle und kommt nicht darüber hinweg. Darum paddelt sie ganze Tage, fährt immer im Kreis und übernachtet nachts in ihrem kleinen Zelt auf Campingplätzen. Ist das Trauerarbeit oder eine bloße Manie? Andere Menschen lässt sie nicht an sich heran. Man fragt sich, wo und wie diese Reise einmal zu Ende gehen soll.

So weit, so konsequent. Gern bin ich bereit, jemandem zu folgen, der schweigend durch dicht bewachsene Kanäle gleitet. Sie wirken wie enge grüne Gänge, die sich mitunter plötzlich zu Baum-Kathedralen weiten. Immer in Bewegung bleiben, ohne zu wissen warum? Auch das ist Leben im Übergang. Man weiß nicht warum. Regisseur Max Gleschinski stellt uns in seinem Film, der den eisigen Titel »Alaska« trägt, vor das Geheimnis einer Frau mit ihrem roten Paddelboot. Wohin tendiert diese Monotonie, in Richtung Meditation oder Stumpfsinn?

Leider bleibt Kerstin (Christina Große, die sich eigenschaftslos gibt) nicht dabei, still vor sich hin zu paddeln und den Zuschauer in den Bann der Bilder (starke Kamera von Jean-Pierre Meyer-Gehrke) zu ziehen. Nein, der Regisseur hat auch das Buch zum Film geschrieben und das erweist sich mehr und mehr als unbeholfenes Stückwerk. Kerstin meidet auf ihrer endlosen Reise jeden Kontakt zu Männern, die ihre Bekanntschaft suchen. Sie möchte lieber allein bleiben, gibt sie diesen bündig zur Antwort. Kann sie nicht aus dem Schatten ihres toten Vaters heraus, hat sie ihn so geliebt oder so gehasst? Vielleicht beides zugleich auf unauflösliche Weise?

Das wäre doch ein starkes Thema im Stile von Christine Wolters »Alleinseglerin«, die in der Erinnerung Heimat beschwört und praktisch doch die Ferne sucht. Ein Paradox, das Poesie birgt. Aber leider löst »Alaska« das magische Dreieck von Frau, Boot und Schatten des Vaters auf, flüchtet in Nebenhandlungen, die nicht überzeugen. So ist da Alima (Pegah Ferydoni), die in einer lärmigen Gruppe unterwegs ist, zu der auch ihr Ex-Mann gehört, der sie schließlich so nervt, dass sie die Gruppe verlässt – und sich Kerstin anschließt, die sich das überraschenderweise gern gefallen lässt. Von anderen Paddlern wird Kerstin bereits hämisch »die Lesbe« gerufen. Die beiden verbringen eine Liebesnacht, aber auch das bleibt folgenlos.

Die Dialoge stören in ihrer hölzernen Penetranz, die so gar nicht zum ruhigen Fluss der stummen Bilder passt. Immerhin wissen wir nun, das hat Kerstin Alima anvertraut, warum sie hier immer im Kreis fährt. Leider hat auch diese Antwort etwas Entzauberndes: Ihr Vater habe immer den ganzen Yukon River in Alaska entlangfahren wollen – dreitausend Kilometer. Nun mache sie für ihn diese Reise auf der Mecklenburgischen Seenplatte.

Und dann taucht überflüssigerweise auch noch Kerstins Bruder samt Ehefrau auf, die von ihr Geld aus der Erbschaft ihres Vaters fordern, obwohl Kerstin ihn jahrelang allein pflegte und der Vater alles andere als reich war. Nun setzt gar eine Verfolgung ein, die Geschwister treffen schließlich aufeinander, aber auch das bleibt unbeholfen – und unglaubwürdig. So verliert »Alaska« immer mehr von jener konzentrierten Atmosphäre, die das Sujet Frau allein mit rotem Paddelboot in einer Zeitschleife gefangen, hätte erlangen können. Am Ende ist dann nicht bloß Kerstins Paddelboot zerstört worden, vom Bruder in einem unmotivierten Racheakt, sondern auch ein durchaus verheißungsvoll beginnender Film.

»Alaska«, Deutschland 2023. Regie und Buch: Max Gleschinski. Mit: Christina Große, Pegah Ferydoni, Karsten Antonio Mielke, Milena Dreißig. 124 Min. Jetzt im Kino.

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