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»Dogman«: Ein Rudel solidarischer vierbeiniger Kämpfer
Regisseur Luc Besson erzählt in seinem neuen Film »Dogman« von Hunden, Drag-Queens und Gewalt in der Familie
Hunde gibt es in Luc Bessons neuem Film »Dogman« wirklich jede Menge. Egal, ob klein oder groß, niedlich, aggressiv die Zähne fletschend und sich festbeißend, geheimnisvoll durch die Dunkelheit schleichend, anhänglich kuschelnd, frech herumspringend, laut bellend, langhaarig oder kurz geschoren. Aber sie alle gehorchen aufs Wort dem Titel gebenden »Dogman« namens Doug Monrow (Caleb Landry Jones). Der sitzt im Rollstuhl, ist wie Marilyn Monroe geschminkt und gekleidet, als er zu Beginn des Films blutüberströmt von der Polizei wegen Mordverdachts festgenommen wird. In der Untersuchungshaft befragt die Psychiaterin Evelyn (Jonica T. Gibbs) Doug alias Dogman – wie er in seiner Nachbarschaft genannt wird. Und er gibt, eine Zigarette nach der anderen rauchend und immer wieder mal Shakespeare zitierend, bereitwillig Auskunft über sein Leben. Von der Gefängniszelle aus fächert der Film so in Form zahlreicher ineinandergeschobener Rückblenden die Biografie dieses außergewöhnlichen Menschen und seine absurde Leidensgeschichte auf. Als Kind wird der Hunde liebende Doug von seinem gewalttätigen und autoritären Vater, der Hundekämpfe organisiert, in einen Hundezwinger gesperrt. Dort vegetiert der Junge monatelang vor sich hin, bis ihm irgendwann die Flucht gelingt, nachdem sein Vater, ein brutaler und widerlicher christlicher Redneck, ihn außerdem angeschossen hat.
Es folgen Heimaufenthalte, wobei der verstörte Junge durch eine Betreuerin bald Shakespeare und das Theater kennen und lieben lernt. Die enge Beziehung zu Hunden, die Doug für die einzigen vertrauenswürdigen Wesen hält, bleibt all die Jahre bestehen, sodass er schließlich mit einem ganzen Rudel zusammen in einem Abbruchhaus lebt. Seinen Lebensunterhalt verdient sich Dogman als Performerin und Sängerin in einem Drag-Club. Nebenbei lässt er seine Hunde in die Häuser reicher Leute einbrechen, um diese zu bestehlen. Eine gerechtfertigte Umverteilung von Wohlstand, so bezeichnet Dogman das. Aber plötzlich hat er Ärger mit dem Versicherungsdetektiv Ackerman (Christopher Denham), der ihm und seiner Hunde-Diebesbande auf die Schliche kommt. Doch wer Ärger mit Dogman sucht, läuft Gefahr, von seinen Hunden zerfleischt zu werden.
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»Dogman« ist eine eigenwillige Genre-Mischung aus Thriller, Coming-of-Age-Geschichte, Tierfilm, auch ein wenig Fantasy und drastisches Sozialdrama, in dem es vor allem um Missbrauch und Gewalt in der Familie geht. Wobei die Figur von Dogman insgesamt zu eindimensional als deviante, von der Gesellschaft im Stich gelassene, von der Familie verratene, von der romantischen Liebe enttäuschte und sich schließlich mit brachialer Gewalt zur Wehr setzende Person in Szene gesetzt wird. Einzig seinen Hunden kann Dogman vertrauen. Und der einzige Fehler der treuen und äußerst begabten Vierbeiner ist, wie er der Psychiaterin Evelyn einmal erklärt, dass sie Menschen vertrauen. Dabei entwickelt der Film »Dogman« seine ganz eigene Ästhetik zwischen Drag-Club, Shakespeare-Aufführungen in der Schule, der horrorartigen White-Trash-Herkunft Dougs, den heruntergekommenen Ecken amerikanischer Innenstadt-Peripherien und actionlastigen Gewaltszenen. Dieser Anti-Lassie-Film, der nicht einen wohlerzogenen und hilfsbereiten Saubermann-Hund, sondern ein ganzes Rudel solidarischer vierbeiniger Kämpfer in Szene setzt, ist ein absurdes postmodernes Märchen, das in seiner bizarren Eigenwilligkeit und dem eher vorsichtigen Spiel mit fantastischen Elementen immer wieder an Luc Bessons 80er-Jahre-Kultfilm-Erfolg »Subway« erinnert.
Wenn Dougs Hunde im Rififi-Stil über Dachluken in Villen und schicke Wohnungen einbrechen, ganz selbstständig mit ihren Schnauzen die auf dem Küchentisch und dem Nachtkästchen achtlos abgelegten Juwelen schnappen und zu dem draußen auf der Straße wartenden Dogman bringen, entwickelt dieser sonst so düstere und mitunter äußerst gewalttätige Film seine ganz eigene Ironie und parodiert sich geradezu selbst. Luc Bessons neuester Spielfilm lässt sich wahrscheinlich am ehesten als absurde Tragikomödie labeln. Aber dennoch ist dieser Film immer wieder ernsthaft und schmerzlich. Neben Dogmans Schicksal spielt auch die Geschichte der Psychiaterin Evelyn eine wichtige Rolle, die als alleinerziehende Mutter und geschiedene Frau mit ihrem gewalttätigen Ex-Mann konfrontiert wird. Gewalt in der Familie ist das immer wiederkehrende Kernmotiv von »Dogman«, in dem es viel um Vertrauen, um Einsamkeit und vor allem um die Unfähigkeit zu lieben geht. Dennoch fehlt diesem knapp zweistündigen Film, der sich mit seinen durchkomponierten Bildern sehr um erzählerische Wucht bemüht und stellenweise geradezu verstörend ist, ein konziser Faden, der dieses wilde Genre-Crossover zusammenhält. Das wird noch einmal beim symbolisch überfrachteten und dann doch etwas beliebig wirkenden Ende dieses Films mehr als deutlich.
»Dogman«; Frankreich, USA, 2023. Regie und Buch: Luc Besson. Mit: Caleb Landry Jones, Jonica T. Gibbs, Clemens Schick, Christopher Denham. 113 Min. »Dogman« ist der Eröffnungsfilm des Fantasy-Filmfestes, das vom 13. bis 20.9. in Berlin stattfindet. Bundesweiter Kinostart: 12. Oktober.
Mehr Infos unter: www.fantasyfilmfest.com
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