Claudia Roth: Werbung mit Musik

Bayrisch sehr bewegt: wie Claudia Roth beim Musikfest Berlin auftauchte

  • Berthold Seliger
  • Lesedauer: 4 Min.
Das müssen Staatsministerinnen einfach können: Lächeln.
Das müssen Staatsministerinnen einfach können: Lächeln.

Am vergangenen Montag war in Berlin alles angerichtet: Das Publikum war im Saal, die meisten hatten ihre Mobiltelefone ausgeschaltet, das famose Bayerische Staatsorchester saß auf dem Podium, und es fehlte nur noch der Dirigent. Doch dann kam aus dem Backstage nicht etwa der großartige Vladimir Jurowski, sondern eine böse Überraschung: Frau Claudia Roth. Was aber hat eine Politikerin als Rednerin bei einem Sinfoniekonzert zu suchen? In den etwa 50 Jahren, die ich mittlerweile Konzerte der »klassischen« Musik besuche, habe ich so etwas noch nicht erlebt.

Klar, als Staatsministerin für Kultur und Medien ist sie die oberste Dienstherrin der Berliner Festspiele und mithin auch Vorgesetzte des Musikfests Berlin, in dessen Rahmen das Konzert und auch ihr missglückter Auftritt stattfanden. Und ebenso klar: Wenn die durchaus umstrittene Chefin verlangt, in der Philharmonie zu reden, würde es eine Menge Rückgrat benötigen, diesem propagandistischen Ansinnen zu widersprechen. Aber was will, was soll eine Politikerin als Rednerin vor einem Sinfoniekonzert? Hat man ihre Vorgängerin Monika Grütters je in einer derartigen Pose erlebt?

Erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit das Publikum es hinnimmt, dass neuerdings Kulturpolitiker*innen die staatliche (und immer noch stattliche) institutionelle Kulturförderung dazu missbrauchen, sich als Kulturfreund*innen zu inszenieren und damit Wahlkampf in eigener Sache zu betreiben. Die Klimakämpfer*innen, die jüngst beim Lucerne-Festival in einem Konzert desselben Orchesters ihr Anliegen vortragen wollten, wurden dagegen mit heftigem Protest, teilweise gar Hass der Eliten konfrontiert, und erst Vladimir Jurowski sorgte dafür, dass sie kurz reden konnten und dann das Podium verließen, sodass das Konzert fortgesetzt werden konnte. In der anschließenden Presseerklärung des Lucerne-Festivals hieß es, er habe mit Blick auf die Überzeugungen seiner eigenen Kinder die Verpflichtung gefühlt, den jungen Menschen das Wort zu geben. Hier ging es um Politik – bei Claudia Roth dagegen geht es um hohle Phrasen und die Selbstinszenierung einer längst gescheiterten Politikerin.

Und was hat Roth in ihrer kindlich-überschäumenden Art von sich gegeben? Dass sie ja schließlich auch aus Bayern komme und daher »bewegt« sei davon, dem Bayerischen Staatsorchester zum 500-jährigen Jubiläum gratulieren zu können. Dass sie großer Fan von Richard Strauss’ »Alpensinfonie« sei – dass dieses Werk allerdings weniger von schöner Natur als von Nietzsches »Antichrist« und dessen »Umwertung aller Werte« handelt und erst spät den Titel »Eine Alpensinfonie« erhielt, konnte ihr Redenschreiber wissen. Aber von einer Staatsministerin für Kultur darf man erwarten, dass sie weiß, dass Richard Strauss 1933 zum Präsidenten der Reichsmusikkammer ernannt und somit zum führenden Kulturfunktionär des NS-Regimes wurde. Von Hitler wurde er auf die Liste der »Gottbegnadeten« und im August 1944 sogar auf die Sonderliste mit den drei wichtigsten Komponisten des »Dritten Reichs« gesetzt.

Ganz anders erging es Alban Berg, einem der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, für den der Aufstieg der Nationalsozialisten katastrophale Folgen hatte. Er wurde aus zahlreichen Ämtern gedrängt, Aufführungsverbote verschlechterten seine finanzielle Lage, und er starb 1935 isoliert und als Komponist »entarteter Musik« verfemt. Dass eine grüne Kulturpolitikerin über Alban Berg als einem der Komponisten des folgenden Konzerts kein Wort verliert, dagegen das schwülstige und von hohlem Pathos geprägte Werk eines Funktionärs des NS-Staates bejubelt, ist von besonderer Obszönität.

Ansonsten schwurbelte die Kulturpolitikerin munter daher, von der in ihrer bisherigen Amtszeit keinerlei sinnvolle Impulse ausgegangen sind, während sie sich gerade eine gewaltige Ohrfeige (auf Bairisch: »Watschn«) von 400 internationalen Filmemacher*innen, von Martin Scorsese bis Christian Petzold, angesichts ihres diktatorischen Eingriffs in die Struktur der Berlinale eingefangen hat. In ihrer Philharmonie-Rede waren nur die üblichen dürftigen Phrasen zu hören. Da ist Musik wieder »Nahrung« und dazu da, alle Menschen zu vereinen – was ahnungslose Kulturpolitiker*innen halt so daherplappern. Und als Höhepunkt soll Musik noch zum Kampf »gegen den Hass« beitragen – als ob Musik nicht auch dazu missbraucht werden könnte, wie nicht zuletzt die deutsche Geschichte belegt.

Musik soll für Frau Roth eine Funktion im Staat erfüllen. Aber sollte Musik wie alle Kunst nicht gerade auch dazu da sein, die Welt in Frage zu stellen, »gegen den Weltlauf zu plädieren« und »die mit der Welt Einverstandenen zur Wut aufzustacheln«, wie Adorno Mahlers Sinfonien interpretierte? Aber okay, das ist halt Mahler, nicht Richard Strauss. Dass Claudia Roth es nötig hat, ein Sinfoniekonzert als Propagandashow zu missbrauchen, zeugt letztlich davon, wie sehr die Staatsministerin für Kultur mittlerweile angeschlagen ist. Ausgesprochen erbärmlich das alles.

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