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  • Aki Kaurismäki: »Fallende Blätter«

Das Einfachste und Schwierigste zugleich

In seinem proletarischen Liebesfilm »Fallende Blätter« gelingt es Aki Kaurismäki, die Vermittlungen zwischen Menschen und Dingen aufzuzeigen

  • Erik Hanzlicek
  • Lesedauer: 4 Min.
Ansa (Alma Pöysti, links) und Holappa (Jussi Vatanen) erkennen möglicherweise in Jim Jarmuschs Leinwand-Zombies sich selbst.
Ansa (Alma Pöysti, links) und Holappa (Jussi Vatanen) erkennen möglicherweise in Jim Jarmuschs Leinwand-Zombies sich selbst.

Der deutsche Titel des neuen Films von Aki Kaurismäki könnte besser nicht gewählt sein: »Fallende Blätter«, passend zur Jahreszeit seines Erscheinungsdatums, passend zur Stimmung des Films, passend zum Zeitgeist. Und trotz der Melancholie oder gar der manifesten Depression, die der Herbst und seine Bilder evozieren können, erfahren die beiden Hauptfiguren der finnischen Tragikomödie, Ansa (Alma Pöysti) und Holappa (Jussi Vatanen), das Einfachste und Schwierigste zugleich: Liebe. Ansa arbeitet in einem Supermarkt als Regalauffüllerin, Holappa verrichtet staubige Arbeit auf Montage.

Ansa wird entlassen, verraten von einem Security-Denunzianten wegen der Weitergabe abgelaufener Lebensmittel, die für den Müll bestimmt waren. Als sie sich von ihrer Misere in einer Karaoke-Bar ablenken will, erregt sie die Aufmerksamkeit Holappas, der dort mit seinem singfreudigen Arbeitskollegen und Freund Huotari (Janne Hyytiäinen) seiner Alkoholsucht frönt. Wegen dieser wird auch Holappa seinen Job verlieren, denn sie bedeutet ein Versicherungsrisiko und ist für den Chef ein potenzieller Störfaktor im Arbeitsprozess. Es ist ein Chef, der es sonst, zum Beispiel mit der Schutzausrüstung, nicht allzu genau nimmt und nur das staatlich gesetzte Minimum erfüllt, um seine menschlichen Arbeitskraftbehälter vor allzu schneller Vernutzung zu schützen.

Über Umwege schafft es Holappa, Ansa zu daten. Zunächst erfolgt ein etwas behäbiger Cafébesuch, bei dem Ansa schon Holappas starke Affinität zum Hochprozentigen mitbekommt. Dann kommt eine besser laufende Kinoverabredung, bei der Jim Jarmuschs Zombie-Filmsatire »The Dead Dont’t Die« läuft. Beiden gefällt der Film, wohl auch, weil die Zombies als klassische Filmmetapher für Einsamkeit und Entfremdung der Arbeiter*innen in der bürgerlichen Gesellschaft ihnen die Augen öffnen für ihren eigenen sozialen und psychischen Zustand. Eine bittere Erkenntnis vielleicht, aber eine, die einen Raum schafft für gemeinsame Erfahrung.

Die beiden machen also eine dritte Verabredung aus. Beide müssen bis dahin durch ihren prekären, von Jobsuche, Geldsorgen und dem Krieg in der Ukraine geprägten Alltag hindurchmanövrieren. Der Krieg wird von Kaurismäki klug nicht ins Zentrum des Geschehens gesetzt, sondern immer wieder beiläufig über Nachrichten aus dem Radio vermittelt. Bei der dritten Verabredung wird Ansa zu den Nachrichten »Dieser verdammte Krieg!« ausrufen und das Radio ausschalten. Diese eigentlich banale Äußerung drückt im Film weder die Verhärtung einer bürgerlichen Pazifistin noch die einer Bellizistin aus – stattdessen ist sie so wenig zynisch, dass sie gar nicht in diese Gesellschaft zu passen scheint.

Schon früher im Film schaltet Ansa immer wieder das Radio aus, aus dem Berichte über das Leid der ukrainischen Bevölkerung dringen – weil sie sich den Strom dafür nicht mehr leisten kann. Enorm gestiegene Lebenshaltungskosten, Arbeitslosigkeit und die existenzielle Verzweiflung angesichts des Schreckens in der Ferne sind also die Gründe für das Ausschalten des Radios, nicht Ignoranz. Kaurismäki gelingt es hier, das internationale Proletariat über die politökonomischen Verhältnisse zu verklammern. Um Nationalismus jedweder Art geht es hingegen nicht.

Ihre dritte Begegnung schließlich belastet das Verhältnis der beiden Hauptfiguren. Holappa wird von Ansa dabei ertappt, wie er heimlich seiner Sucht nachgehen will. Sie offenbart ihm, dass sie ihre Eltern direkt und indirekt an den Alkohol verloren hat und stellt ihn vor die Entscheidung, entweder trocken zu werden oder sie nicht wiederzusehen. Holappa quält sich mit der Entscheidung. Schon ganz zu Beginn des Films rauchte er unter einem Rauchverbotsschild und auch im weiteren Verlauf der Handlung widersetzt er sich immer wieder biopolitischen Richtlinien von Staat und Kapital. Doch droht diese Widerständigkeit in selbstdestruktive Sturheit zu kippen. Es sei so viel vorweggenommen: Holappa wird sich für Ansa und damit für die Liebe entscheiden. Und mag es auch so klingen, als würden hier Klischees von der sorgenden Frau bedient, die den Destruktionstrieb des Mannes zum Erliegen bringen muss, so ist es Ansa, die am Ende ironischerweise im Stahlwerk arbeitet, dem Zentrum männlichen Proletkults. Traditionelle Rollenbilder werden im Film also nicht aktualisiert.

Wie so oft schafft es Kaurismäki auch in »Fallende Blätter«, Kitsch und einfache Antworten zu umschiffen, ohne die minimalistische Form aufzugeben. Zu seinen vielen Haupt- und Nebenthematiken bezieht der Film jeweils keine plumpen Schwarz-Weiß-Positionen. Stattdessen zeigt er, wie Dinge und Menschen miteinander vermittelt sind. Das ist große Kunst – und vielleicht handelt es sich hier um das bisher beste Werk des 66-Jährigen, der schon auf vier Jahrzehnte Filmschaffen zurückblickt.

»Fallende Blätter«: Finnland 2023. Regie und Buch: Aki Kaurismäki. Mit: Alma Pöysti, Jussi Vatanen, Janne Hyytiäinen. 81 Min. Jetzt im Kino.

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