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»Ich bin überwältigt«
Von den Schwierigkeiten, dem Geld folgen zu wollen: Ein Abend in Frankfurt am Main zwischen Infotainment und Performance
Follow the money – dem Geld aus Erkenntnisinteresse zu folgen, anstatt ihm aus purer Not hinterherzurennen, das ist die aufklärerische Devise der Journalisten Carl Bernstein und Bob Woodward, wie sie im Film »All the President’s men« über den Watergate-Skandal dargestellt werden. Zitiert wird der Spruch auch in der legendären Polizeiserie »The Wire« und dann als Titel einer dänischen Krimiserie. Einen Haken hat die Sache aber: Die Spur des Geldes führt zwar zu richtigen Erkenntnissen und einer Anklage gegen Korruption, Kriminalität und skrupellose Bereicherung, aber auch zu einem ideologischen Trugschluss: Diese Erscheinungen gelten als Ausnahmen in einem System, dessen reguläre Funktionsweise wiederhergestellt werden soll.
»Follow the money« hieß auch eine Veranstaltung am vergangenen Samstag in Frankfurt am Main. Ein Abend ausgerufen für »performative Wissensaneignung«, beziehungsweise als »Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen« deklariert, im Frankfurt Lab, gelegen zwischen Aldi und Autohaus am Rande des Gallusviertels.
Das Ganze sieht dann so aus: 32 Tische stehen in der Mitte einer Halle, an drei Seiten von Sitztribünen umgeben. Über jedem Tisch baumelt eine Funzel, an jedem Tisch sitzt ein*e »Expert*in« und redet mit der Person, die ein Gespräch mit ihr gebucht hat, und zwar beim »Check-in« für einen Euro. Dort gibt es auch einen Informationsschalter und eine Ansagerin, die immer wieder einen Erklärtext vorliest oder einzelne Besucher*innen ausruft, die sich an ihre gebuchten Tische begeben sollen. Diese sind wie in einem Casino mit grünem Filz beklebt. Wir haben verstanden: ein marktförmiger Theaterabend über Geld, dessen Form und Inhalt. Aber deren Verhältnis wünscht man sich dann doch etwas komplexer, nicht als bloße Doppelung verhandelt. Dass jede Gesprächsrunde von einem Gong beendet wird und Nummerngirls (meist Frauen mittleren Alters in uniformartigen blauen Kleidern) zwischen den Tischen paradieren, weist inhaltlich in eine ganz andere Richtung.
Die rund 100 »Expert*innen« werden in einer »Enzyklopädie« unter verschiedenen Schlagworten vorgestellt. »Es ist für jeden etwas dabei«, sagt Kurator Florian Malzacher im marktwirtschaftlichen Hohlsprech. »Have it your way«, sagt Burger King, und wie bei Ikea kann man sich hier als Prosumer »ganz individuell« seine Bausteine zusammenstellen. Viele der Expert*innen sind tatsächlich »ganz, ganz spannende Leute«, wie Malzacher vielleicht sagen würde: Wenige aus der Finanzwelt oder der Politik, einige aus Aktivismus oder Wissenschaft und sehr viele aus Kunst und Kultur. Beim Lesen der »Enzyklopädie« stellt sich schnell das »Lost in the supermarket«-Gefühl ein: Überwältigt von einem riesigen Warenangebot verfällt man in eine Schockstarre; die schiere Zahl der Entscheidungsmöglichkeiten schwächt die Entscheidungsfähigkeit.
Um ein möglichst breit aufgestelltes Portfolio zu haben, suche ich mir Expert*innen mit unterschiedlichen Hintergründen aus. Zuerst eine Referentin für kritische Hilfe bei einer linken NGO, die, ausgehend vom Pestalozzi-Zitat »Wohltätigkeit ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade«, stringent und kompetent über Hilfe und Hierarchien referiert. Die junge Frau mit dem arabischen Namen lässt auch ihre Vertrautheit mit postkolonialen Diskursen erkennen. Wir sind uns in vielem einig, was das Gespräch etwas lähmt. Bevor es unangenehm wird, rettet uns der Gong.
Das Gespräch wurde per Radio übertragen und konnte von anderen Anwesenden, die alle mit Empfangsgeräten ausgestattet sind, verfolgt werden. Von dieser Möglichkeit mache ich in der nächsten Runde Gebrauch, in der Alexander Karschnia, Theatermensch und Weggefährte von Christoph Schlingensief und René Pollesch, mit einem 1995 geborenen schnurrbärtigen Tannenzäpfle-Trinker über die Aktionen von Schlingensiefs Partei »Chance 2000«, »Occupy Wall Street« und anderes spricht. Entsprechend seinem Beruf hat Karschnia interessante Ideen und kann gut darüber reden. Ganz anders der Informatiker und Digitalexperte einer großen Bank, dem ich als nächstes zuhöre. Der Mann nuschelt ganz schrecklich und zeigt die verheerende Kombination von Intelligenz und Wirrnis, die man teilweise aus linken Lesekreisen kennt – da gibt es meistens einen Typen, der genau so spricht. Er verliert sich in metaphysischen Überlegungen, denen seine Gesprächspartnerin geduldig lauscht, und kommt auffallend oft auf die romantische Liebe zu sprechen, an die heute niemand mehr glauben will. Ein sehr schüchterner Flirt?
Für den Mann ist Ethik auch ein Glaubenssystem, denn »nach dem Geld kommt ein anderes Geld«. Als sein Gegenüber ihn freundlich auf die Möglichkeit aufmerksam macht, aus diesem karmischen Kreislauf auszubrechen, fragt er erschrocken: »Warum diese Radikalität?« Seine Vermutung, dass an anderen Tischen viel kompetenter diskutiert werde, bewahrheitet sich aber nicht und ist nur ein Zeichen für sein fehlendes Selbstbewusstsein, was aber nicht unsympathisch ist: Als er angesichts der Komplexität der Welt konsterniert feststellt »Ich bin überwältigt!«, möchte ich ihn direkt unter meine Fittiche nehmen.
Aufmerksame Leserinnen und Leser werden bemerkt haben, dass ich nur einen »Experten« mit Namen genannt habe. Grund dafür ist ein problematischer Aspekt von Theaterformaten, die mit »echten Menschen« beziehungsweise »Experten des Alltags« arbeiten: Diese Formate rücken Menschen ins Licht der Öffentlichkeit, die dort nicht berufsmäßig stehen. Ihre Ausstellung ist oft eine Bloßstellung. Es gehört zu den Aufgaben der Kritik, die Arbeit von Schauspieler*innen zu kritisieren, nicht aber unbescholtene Menschen öffentlich bloßzustellen.
Angesichts des Formats ist es wenig überraschend, dass der Kurator Malzacher in Gießen angewandte Theaterwissenschaften studiert hat – ein Studiengang, der auch die Infotainmenttruppe Rimini-Protokoll hervorgebracht hat. Auch diese hat ähnliche Formate entwickelt, die überall auf der Welt mit einfachsten Mitteln replizierbar sind. Der Frankfurter »Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen« beispielsweise hat schon in vielen Orten von Bogotá bis Tel Aviv seine Zelte aufgeschlagen, und man ist stolz darauf, dass dieses die »Lizenz Nr. 12« ist, wie bei Aldi, dessen Angebot und Filialgebäude überall auf der Welt mehr oder weniger gleich sind – nur die Sprachen, in denen sich nach dem WC-Reiniger erkundigt wird, unterscheiden sich. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Marktförmigkeit mehr als nur ein netter Gimmick sein könnte.
Misst man die Veranstaltung an ihren formulierten Zielen, muss man sie für gescheitert erklären. Zwar habe ich mich in mehr als einem Sinne unterhalten, aber Wissen habe ich mir nicht angeeignet. Ästhetisch war der Abend eher armselig. Die ganze Veranstaltung erinnerte an einen »Markt der Möglichkeiten« oder an »Azubi-Speeddating«, wie ihn auch eine örtliche Industrie- und Handelskammer organisiert haben könnte. Die »Spur des Geldes« war eher verheddertes Wollknäuel als Ariadnes (roter) Faden.
Apropos: Der Ausspruch »Follow the money« fiel in der Realität nie. Er stammt auch nicht von einem »Experten des Alltags«, sondern vom Drehbuchschreiber William Goldman, also einem Künstler. Do you follow?
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