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Letzte Generation: Der Straßenkampf geht weiter
Auch bei ihren aktuellen Protesten in Berlin erntet die Letzte Generation Hass und Gewalt
In der Mollstraße, nahe des Alexanderplatzes in Berlin, staut sich der Verkehr, bis Autos die Kreuzung Otto-Braun-Straße blockieren. Im vorderen Teil des Staus, an der Prenzlauer Allee, wird minutenlang gehupt. Der Grund: Sieben Aktivist*innen der Letzten Generation sitzen über die vierspurige Fahrbahn verteilt auf der Straße. Drei von ihnen haben je eine Hand mit Sekundenkleber auf den Asphalt geklebt. Wie üblich tragen sie orange Warnwesten und halten den Auto- und Lkw-Fahrenden Banner entgegen. Auf dem einen steht »Mehr Demokratie: Gesellschaftsrat jetzt!«, auf dem anderen »Weg von Fossil, hin zu gerecht«.
Einige Menschen steigen aus ihren Autos und beschimpfen die Klimaaktivist*innen, auch manche Fahrradfahrende lassen, obwohl sie an der Straßenblockade vorbeifahren können, Beleidigungen fallen. »Geht arbeiten!«, schnauzt einer sie an. »Haben Sie gesehen, was gerade in Griechenland los war mit den Waldbränden?«, entgegnet Julia Schönknecht. »Ist mir egal, wir sind hier nicht in Griechenland«, lautet die Antwort des Radfahrers, bevor er weiterfährt.
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Dabei sei Deutschland ebenfalls von der Klimakrise betroffen, auch in Brandenburg brenne regelmäßig der Wald, in Berlin werde das Wasser knapp, sagt Schönknecht zu »nd«. Deshalb hat die Letzte Generation am Montag eine als dauerhaft angekündigte Protestwelle gegen die unzureichende Klimapolitik der Bundesregierung in der Hauptstadt gestartet. Ihre aktuelle Hauptforderung: der Ausstieg aus fossiler Energie. Den zweiten Tag in Folge stören die Aktivist*innen am Dienstag ab 7 Uhr morgens an zahlreichen Stellen den Berufsverkehr. Nach Angaben der Polizei sind rund 500 Beamt*innen im Einsatz.
Für Schönknecht ist es erst die zweite Straßenblockade. »Ich bin sehr aufgeregt. Das ist nichts, was man gerne tut«, sagt sie mit Blick auf ein schwarzes Auto, das wenige Zentimeter dicht an sie herangefahren ist. Die Reaktionen der Autofahrenden und Passant*innen seien zwar »bedrohlich«, aber sie vertraue darauf, dass die meisten Menschen aufs Allgemeinwohl bedacht seien.
Das klingt optimistisch angesichts der zahlreichen Angriffe, denen die Letzte Generation permanent ausgesetzt ist. Erst am Vortag sollen Autofahrende Protestierende mit Pfefferspray besprüht und mit Cola überschüttet haben. Videos belegen, dass Polizist*innen Schmerzgriffe anwendeten, um die Aktivist*innen von der Straße zu entfernen. Dennoch: »Wir wollen nicht aufgeben«, betont Schönknecht.
Seit dem Frühjahr engagiert sich die 43-jährige Braunschweigerin bei der Letzten Generation. Außerdem ist sie beim Naturschutzbund (Nabu), bei der Initiative German Zero und den Parents for Future aktiv. Nun wolle sie zusätzlich zivilen Ungehorsam leisten, weil sie von den Erfolgen der Kämpfe ums Frauenwahlrecht oder gegen die Segregation in den USA inspiriert sei.
Das überzeugt nicht alle: Der Protest der Letzten Generation sei kontraproduktiv, sagt eine Passantin mit Hund, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, zu »nd«. »Die machen alles kaputt, was Fridays for Future erreicht haben«, schimpft sie. Sie arbeite freiberuflich, und wenn sie durch solch eine Straßenblockade zu spät käme, dann sei sie ihren Job los. Später kommt sie noch einmal zurück und entreißt der Autorin dieses Textes ihren Notizblock, »damit Sie wissen, was ich meine«. Die Aktivist*innen, die sie wohl eigentlich adressieren sollte, spricht sie nicht an.
Auch wenn die Gegner*innen der Letzten Generation sehr laut sind: Genauso kommen immer wieder Radfahrende und Fußgänger*innen vorbei, die sich bei den Demonstrierenden bedanken oder »Macht weiter so!« rufen. Die Solidarität wachse stetig, sagt Aktivist Torben Ritzinger zu »nd«. Auch gebe es seiner Ansicht nach keinen Konflikt mit Fridays for Future, kommentiert er eine Aussage des »Tagesspiegel-Checkpoint«. Demnach habe die Farbattacke der Letzten Generation aufs Brandenburger Tor am Sonntag »dem nicht-strafbaren Protest von Fridays for Future am Freitag die Show gestohlen«. »Es geht nicht um Show, sondern darum, die Klimakatastrophe zu verhindern«, stellt Ritzinger klar.
Bis Anfang September hatte die Letzte Generation noch in Bayern protestiert, wofür 29 Personen, teils über mehrere Wochen, in Präventivhaft genommen wurden. Viele von ihnen seien nun »ausgebrannt«, sagt Ritzinger. Die Tatsache, dass das in anderen Bundesländern nicht möglich sei, »zeigt, wie absurd das ist«. In Berlin sind bislang nur 48 Stunden Präventivhaft erlaubt. Nach den Blockaden am Montag sind laut Berliner Polizei 274 mutmaßliche Beteiligte identifiziert und 158 Strafanzeigen gestellt, es sei jedoch niemand über Nacht festgehalten worden.
Dafür wurde am selben Tag die Wohnung eines 25-jährigen Aktivisten durchsucht. Die Letzte Generation kritisiert, dass die Polizei gekommen sei, als der Betroffene nicht zu Hause war und sich geweigert habe, einen Durchsuchungsbeschluss vorzuzeigen. Auf der Plattform X gibt sich die Gruppe trotzdem kämpferisch: »Hauptsächlich Kleber wurde beschlagnahmt. Den werden wir nachkaufen und morgen geht’s weiter.«
Sogar das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) hat Klimaaktivist*innen bereits im Visier: Im bisherigen Jahr 2023 sind hier 163 Handlungen, zum Beispiel Protestaktionen, thematisiert worden, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von AfD-Abgeordneten und -Fraktion zu »möglichen radikalen Tendenzen innerhalb der Klimaprotestbewegungen« von September hervorgeht.
Zur Blockade in der Mollstraße am Dienstag kommen nach knapp einer Stunde zehn Polizist*innen hinzu. Nach und nach leiten sie den Verkehr entgegen die Fahrtrichtung um und tragen die nicht angeklebten Aktivist*innen an den Straßenrand – darunter auch eine über 80-jährige Frau. Zuletzt lösen sie die Hände der Festgeklebten mit Pflanzenöl wieder vom Asphalt ab. Allen sieben wird Nötigung vorgeworfen, letzteren außerdem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Nichtsdestotrotz: Sie sei zufrieden, sagt Julia Schönknecht.
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