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Demokratische Bildung in Berlin: Zwischen Vertrauen und Respekt
Der Bildungsverein Duvia leistet demokratische Bildungsarbeit an Berliner Schulen. Nun ist er von Kürzungen durch den Haushaltsentwurf bedroht
Cool und lässig möchten sie wirken, gleichzeitig aufmerksam, seriös und motiviert. Doch in der Realität werden sie als streng, unfair, verklemmt oder nervig wahrgenommen. Mit Hashtags sollen angehende Trainer*innen während einer Weiterbildung beim Bildungsverein Duvia einen sogenannten Reality-Check machen. Die Aufgabe lautet: Sie sollen in vier Hashtags aufschreiben, wie sie bei Workshops an Schulen von Jugendlichen gesehen werden möchten. In vier weiteren Hashtags sollen sie notieren, wie sie vermutlich wirklich wahrgenommen werden. Die Übung bereitet die angehenden Workshop-Leiter*innen darauf vor, in Schulklassen über Themen wie demokratische Meinungsbildung, Diversität und Konfliktfähigkeit aufzuklären. Die Bildungsorganisation Duvia aus Berlin-Kreuzberg bildet 38 Trainer*innen zu diesem Zweck aus. Gefördert wird ihre Arbeit aus einem Topf des Senats für die Demokratiebildung – doch im Haushaltsentwurf 2024/25 sind Streichungen für ihr Projekt vorgesehen. Ihre demokratiefördernde Arbeit ist damit gefährdet.
Von den vorgesehenen Streichungen ist nicht nur Duvia betroffen. Es trifft sieben weitere Berliner Bildungsorganisationen. In einem offenen Brief wandten sich die Projektträger an Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) und deren Staatssekretärin Christina Henke. Bei ihren Projekten sind Kürzungen oder Streichungen von Mitteln durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie vorgesehen. Betroffen sind insbesondere Projekte, die sich gegen Gewalt und Diskriminierung und für Demokratiebildung einsetzen. Bei Duvia bedeutet das eine Vollzeitstelle sowie eine Stelle für eine Aushilfskraft.
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Der Verein Duvia leistet politische Bildungsarbeit und bietet zu diesem Zweck Workshops an Schulen an. »Wir haben seit der Gründung 2019 unsere Arbeit lediglich ehrenamtlich neben unseren Hauptberufen gestemmt«, sagt Gründungsmitglied Reina-Maria Nerlich im Gespräch mit »nd«. Die Bildungswissenschaftlerin Nerlich hat den Verein zusammen mit ihrem langjährigen Kollegen Stipo Zeba gegründet. Motiviert durch die Zusage der Förderung durch den Senat im Oktober 2022 holten sie sich knapp 20 neue Mitarbeiter*innen an Bord, die sie in einer einjährigen Fortbildung für den Einsatz an Schulen ausbilden. Die Workshops werden von Duvia selbst konzipiert, der Verein arbeitet mit 38 freiberuflichen Trainer*innen zusammen, die durch einen Eigenanteil der Schulen honoriert werden. Seit der Zusage im Oktober 2022 konnte Duvia sich eine Vollzeitstelle sowie ein ordentliches Büro in Kreuzberg leisten. Nun steht, was der Verein seitdem aufgebaut hat, auf der Kippe.
Die Nachfrage nach dem Angebot ist hoch. »Duvia hat sich vorgenommen, 2023 90 Workshops durchzuführen, 60 sind bereits umgesetzt«, sagt Gründungsmitglied Stipo Zeba im Gespräch mit »nd«. Mit seinen Workshops ist der Verein an Schulen in ganz Berlin im Einsatz: in Kreuzberg, Neukölln, Marzahn-Hellersdorf, Wedding, Moabit und Pankow. Oft handelt es sich dabei um Schulen mit hohem Anteil an Schüler*innen mit Migrationsgeschichte. In ihren Workshops vermitteln die von Duvia ausgebildeten Trainer*innen Wissen zu Social Media, Antidiskriminierung und Antirassismus, Gerechtigkeit oder Liebe und Beziehungen. Das sind Themen, die sich Jugendliche selbst ausgesucht haben. »Wir haben die am meisten nachgefragten Themen in einer Umfrage unter 200 Schüler*innen unter zwei Jahrgängen der Sekundarstufe I ermittelt. Die Themen, zu denen wir arbeiten, sind somit partizipativ aus den Interessen der Schüler*innen gewachsen«, sagt Nerlich. Oft seien das Themen, für die Lehrkräfte im regulären Schulunterricht keinen Raum hätten. »Am beliebtesten ist unser Antirassismus-Workshop«, so die Duvia-Vorständin.
Um die Qualität des Angebots zu sichern, legt Duvia großen Wert auf eine fundierte Ausbildung und Vorbereitung der Workshop-Leitenden. Für den Einsatz im neuen Schuljahr treffen sie sich am vergangenen Donnerstag ein letztes Mal in den Büroräumen von Duvia – und üben gleich selbst. Zeba leitet während des Treffens eine Gruppenübung an: Etwa 15 Personen wandern im Schritttempo über den hellen Parkettboden in einem Raum mit weißen Wänden und hohen Decken. Die Teilnehmenden sollen sich zunächst eine Person auswählen, auf die sie beim Laufen ihren Fokus richten. Dann sollen sie eine weitere Person heraussuchen und den Fokus auf beide Personen beim Laufen behalten. Schließlich sollen sie sich mit einer Armlänge Abstand neben beide ausgewählte Personen positionieren – was sich als eine knifflige Aufgabe herausstellt. »Es war schwierig, sich im Raum selbst wahrzunehmen und gleichzeitig die anderen Personen«, sagt eine Teilnehmende im Anschluss. »Bei der Übung mit dem Namen ›gleichschenkliges Dreieck‹ ist die Herausforderung, sich zu orientieren und den Überblick zu behalten,« erklärt Zeba. »Sie kann als flexible Methode an den Schulen eingesetzt werden.« Die Übung diene dazu, Jugendlichen erfahrbar zu machen, wie Gruppendynamik funktioniert. Zur Vorbereitung der angehenden Trainer*innen sei es jedoch relevant, dass sie die Übung auch an sich selbst erführen, erläutert Zeba.
Die Rolle der Workshop-Leitenden stellt sich als ein Balanceakt heraus und Duvia bereitet im Detail darauf vor, mit dieser Gratwanderung umzugehen: Dazu gehört, sowohl Vertrauen zu den Jugendlichen aufzubauen, als auch von ihnen als Respektsperson akzeptiert zu werden. Bei der Übung zum Reality-Check sollen die Teilnehmenden der Weiterbildung Hashtags auswählen, die beschreiben, wie sie wahrgenommen werden wollen und wie sie voraussichtlich wahrgenommen werden. Oftmals wichen die eigenen Vorstellungen von der Selbstwahrnehmung von der realen Situation ab, erläutert Nerlich der Runde. »Aber wenn ihr euch dessen bewusst seid, könnt ihr gestärkt reingehen«, sagt Nerlich. Während des Vorbereitungstreffens bekommen die Teilnehmenden weiterhin Ratschläge, die ihnen dabei helfen, den Jugendlichen soziale Geschlechter zu erklären und mit Störungen umzugehen, sowie Ratschläge zur Verwendung von Pronomen.
Viele der Workshop-Trainer*innen haben selbst eine Migrationsgeschichte, so auch Sabo Aktas, die bereits im Vorjahr für Duvia im Einsatz war. Dadurch fällt es der angehenden Grundschullehrerin leichter, einen Zugang zu den Schüler*innen aufzubauen. »Es motiviert mich, dass die Schüler*innen mich als Vorbild sehen«, sagt die 25-Jährige. Gleichzeitig befürchtet Aktas beim Reality-Check, dass die Jugendlichen sie als nervig und spießig ansehen könnten. Denn damit die Lernqualität in den Workshops erhalten bleibe, betont Duvia-Vorständin Nerlich, sollten die Workshop-Leitenden Jugendliche bei Fehlverhalten ermahnen. Da es für die Workshops keine Noten gebe, bestehe die Gefahr, dass Schüler*innen sich zu viele Freiräume nähmen. Nur indem die Workshop-Leitenden zwischen der Rolle als Vertrauens- und Respektsperson balancieren, kann eine gute Lernatmosphäre aufrechterhalten werden.
Wegen steigender Zahlen rechter Angriffe sowie häuslicher und sexualisierter Gewalt betrachtet der Bildungsträger Duvia die angekündigten Kürzungen im Bereich der Demokratiebildung mit Sorge. »Demokratie ist Arbeit und Demokratiefähigkeit muss gelernt werden. Der Bedarf an unseren Angeboten steigt stetig«, heißt es in dem offenen Brief, den Duvia zusammen mit sieben weiteren Berliner Projektträgern verfasst hat. Die endgültige Entscheidung über ihre künftige Finanzierung ist noch offen und wird derzeit im Abgeordnetenhaus diskutiert. Von der SPD-Fraktion setzen sich die Abgeordneten Maja Lasić und Marcel Hopp dafür ein, dass die Kürzungen zurückgenommen werden. Auch wenn die Zukunft ungewiss ist, versichert Nerlich den angehenden Trainer*innen: Ihre Ausbildung werde Duvia im Falle von Kürzungen weiterhin ehrenamtlich übernehmen.
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