Flüchtlingsfeinde bekommen Oberwasser

Großdemo gegen Asylbewerberheim in Sachsen weckt ungute Erinnerungen an 2015/16

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
So fing es 2013 schon einmal an: Von Rechten organisierter »Lichtellauf« gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Schneeberg
So fing es 2013 schon einmal an: Von Rechten organisierter »Lichtellauf« gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Schneeberg

Die Flüchtlingsfeinde lassen sich nicht aufhalten, auch nicht von einem Zaun. Er umschließt das Schloss Friedrichstal in Berggießhübel, einem kleinen Ort mit 1500 Einwohnern zwischen Pirna und der sieben Kilometer entfernten tschechischen Grenze. Irgendwann heben Männer eines der Zaunfelder aus den Angeln. Danach strömt die Menge ohne zu zögern auf das Privatgelände. Die Szene wurde in einem Video festgehalten, das im Kanal des Szenebeobachters »vue.critique« auf dem Kurznachrichtendienst X (früher Twitter) zu sehen ist. Es zeigt eine rassistische Protestdemo zu Wochenbeginn, von der mancher bereits fürchtet, sie könnte zur »Initialzündung« für eine neue Welle flüchtlingsfeindlicher Aufzüge in Sachsen werden.

Gezielte Falschbehauptungen?

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An der Demonstration nahmen nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 2000 und 3000 Menschen teil, also womöglich zweimal so viele, wie der Ort Einwohner hat. Nach Einschätzung des Portals »Alternative Dresden News« (ADDN) dürfte der Aufmarsch »eine der größten Antiasyldemonstrationen der letzten Jahre in Sachsen« gewesen sein. Aufgerufen hatte der Neonazi Max Schreiber, der etwa auch schon im Oktober Proteste gegen ein am Dresdner Stadtrand geplantes Containerdorf für Geflüchtete organisierte. Schreiber ist in der NPD und bei den »Freien Sachsen« aktiv. Die rechtsextreme Kleinpartei war in Berggießhübel mit Transparenten wie »Sächsischer Grenzschutz« und »Nein zum Heim« präsent, womit sie direkt eine frühere NPD-Kampagne in Sachsen aufgriff. Angesichts der massiven Mobilisierung einer Allianz von Neonazis und Reichsbürgern mutet es um so bemerkenswerter an, dass sich eine, wenn auch deutlich kleinere Gruppe engagierter Menschen dem Protest entgegenstellte.

Die Demonstration richtete sich gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in dem Schloss, von der mittlerweile unklar ist, ob sie überhaupt geplant war. Der Eigentümer der Immobilie, ein seit Jahren in Deutschland lebender Syrer, der in Pirna ein Hotel betreibt, sprach gegenüber dem MDR von Falschbehauptungen, mit denen ein bei den Freien Sachsen aktiver Nachbar zum Protest aufgewiegelt habe. Er selbst habe das Schloss den Behörden lediglich für eine befristete Beherbergung ukrainischer Kriegsflüchtlinge angeboten. Allerdings hatte das Landratsamt des Landkreises Sächsische Schweiz/Osterzgebirge am Tag nach der Demonstration per Pressemitteilung erklärt, der Schlossbesitzer halte »sein Angebot zur Vermietung nicht weiter aufrecht«. In der rechten Szene wurde das umgehend als Erfolg der Demonstration gefeiert.

Über deren Dimension zeigten sich Beobachter erschrocken. Allerdings konstatiert der Sächsische Flüchtlingsrat mit Blick auf die Freien Sachsen: In kleineren Orten in Sachsen »gelingt es dieser rassistisch-faschistischen Truppe immer mehr Menschen zu mobilisieren«. Das komme »nicht von ungefähr«. Zum einen gebe es einen »nicht ernst genommenen, gesellschaftlich verankerten Rassismus«, zum anderen wirke sich die aktuelle »Hetze der Mitte« aus. Die Äußerungen des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz über Zahnbehandlungen für Asylbewerber waren da noch gar nicht publik geworden.

Die Linksabgeordnete Kerstin Köditz verwies aber auf wiederholte Äußerungen von Sachsens CDU-Innenminister Armin Schuster, wonach die Kapazitätsgrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen erreicht sei. Schuster, der zuletzt mit Erfolg auf stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien gedrängt hatte, will sich bei der Landtagswahl 2024 in der Sächsischen Schweiz um ein Direktmandat bemühen. Köditz merkte an, sein Wahlkampf werde »diese rassistische Stimmung noch befeuern«.

Zu Übergriffen jenseits der dreisten Vereinnahmung von Privatgelände kam es am Montag nicht. Dass das bei künftigen ähnlichen Veranstaltungen so bleibt, ist nicht sicher. Schreiber warnte in einer Ansprache in Berggießhübel unverhohlen vor einer Radikalisierung von Menschen, indem man über deren Köpfe hinweg entscheide: »Da muss man damit rechnen, dass es auch nicht mehr friedlich bleibt.« Das habe man »am Praktiker« gesehen. Schreiber bezog sich damit auf einen gleichnamigen Baumarkt in Heidenau, vor dem 2015 ein rechtsextremer Mob tagelang randaliert hatte, weil dort Flüchtlinge untergebracht werden sollten. Schreiber war damals direkt beteiligt: Nach Angaben des »Antifa-Recherche-Teams« soll er Flyer produziert haben, die zur Blockade der Busse mit den Flüchtlingen aufriefen.

Lichtelläufe und »Volksaufstand«

Analogien zwischen Berggießhübel und einer früheren massiven Mobilisierung gegen Flüchtlinge sieht auch Köditz, wobei sie weiter zurückgreift als bis 2015. Sie befürchtet, dass die Demonstration künftig »die gleiche Bedeutung haben könnte wie 2013 die Lichtelläufe in Schneeberg«. Mit diesem Format schaffte es der NPD-Mann Stefan Hartung in der Erzgebirgsstadt, breite Bevölkerungskreise für den Protest zu mobilisieren. Er träumte damals von einem »neuen Volksaufstand«. Heute ist er Vize-Chef der Freien Sachsen, die Gleiches anstreben. Köditz erinnert daran, dass die Lichtelläufe die »Initialzündung« für rassistische Hetze gewesen seien, für die ab 2015 Ortsnamen wie Freital, Clausnitz oder Chemnitz-Einsiedel standen. Die Eruption rassistischer Ressentiments habe schließlich im Terrorismus etwa der Gruppe Freital gemündet, die Sprengstoffanschläge auf Geflüchtete und politische Gegner verübte. Köditz warf nicht zuletzt der CDU vor, daraus »nichts gelernt« zu haben.

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