Robert Fico: Rückkehr eines Totgeglaubten

Favorit bei den slowakischen Wahlen ist die Partei von Ex-Premier Fico. Er wendet sich gegen Russland-Sanktionen und Waffenlieferungen an Kiew

  • David X. Noack
  • Lesedauer: 6 Min.

An diesem Samstag ist die Wahlbevölkerung der Slowakei aufgerufen, über ein neues Parlament abzustimmen. Der Urnengang wurde notwendig, nachdem eine liberalkonservative Vier-Parteien-Koalition drei Jahre sehr chaotisch regierte und mit Eduard Heger Anfang des Jahres bereits der zweite Premier dieser Koalition scheiterte. Nach Hegers Abtritt setzte die liberale Präsidentin Zuzana Čaputová eine Technokratenregierung unter dem vormaligen Vizechef der Nationalbank Ľudovít Ódor ein. Das Parlament sprach der Ódor-Regierung jedoch nach vier Wochen das Misstrauen aus und machte so den Weg frei für Neuwahlen.

Die vorgezogenen Parlamentswahlen finden nun in einer Zeit der mehrfachen Krise des 5,5-Millionen-Einwohner-Landes statt. Die Corona-Pandemie traf das Land hart und der chaotische Stil des damaligen rechtskonservativen Premiers Igor Matovič verschlimmerte das nur. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führte außerdem zu massiven wirtschaftlichen und sozialen Problemen. 2022 lag die Inflation bei rund zwölf Prozent und für dieses Jahr rechnen Experten mit rund elf Prozent. Vor allem die Lebensmittelpreise sind stark gestiegen und machen den Menschen zu schaffen.

Matovičs Partei »Ordentliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten« hat laut Umfragen rund zwei Drittel ihres Rückhalts verloren. Sie kann zwar auf einen Einzug in das Parlament hoffen, aber das Premierministeramt scheint weit entfernt. Matovičs Nachfolger Heger hat mit den »Demokraten« eine eigene Formation gegründet, doch realistisch ist deren Einzug in das Parlament nicht. Die radikalneoliberale »Freiheit und Solidarität« (SaS) von Richard Sulík, ein in Deutschland gern gesehener Talkshow-Gast, ist die einzige Partei der jüngsten bürgerlichen Koalitionen, die ihr Ergebnis wohl halten kann. Die Partei »Wir sind eine Familie« des Ex-Mafiosi Boris Kollár wiederum muss um den Einzug ins Parlament bangen. Kollár, auch genannt der »slowakische Don Juan«, hat mindestens 13 Kinder mit elf Frauen und geriet zuletzt in den Fokus der Medienöffentlichkeit, da mehrere seiner Ex-Freundinnen aussagten, er habe sie geschlagen.

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Der aufsteigende Stern des liberalkonservativen Teil des Parteienspektrums ist die »Progressive Slowakei« (PS). Die Partei von Präsidentin Čaputová trat zu den vergangenen Parlamentswahlen im Jahr 2020 in einem Parteienbündnis an. Dieses erreichte 6,97 Prozent der abgegebenen Stimmen und scheiterte damit äußerst knapp an der Sieben-Prozent-Hürde für Listenverbindungen. PS setzt sich für eine konsequente Trennung von Kirche und Staat ein, engagiert sich für die Rechte der LGBTQI*-Community und ist für eine Unterstützung des Nachbarlandes Ukraine im Krieg mit Russland. Wirtschaftspolitisch sagen PS-Vertreter*innen, dass ihnen die SaS am nächsten steht, was höflich umschreibt, dass sie durch und durch neoliberal sind.

Von links nach rechts gedriftet

Diese Parteien des liberalkonservativen Lagers haben aber alle so gut wie keine Chance, an der nächsten Regierung beteiligt zu werden. Seit Anfang des Jahres führt die SMER (Slowakisch für »Richtung«) fast alle Umfragen an. Die SMER gehört zur »Partei der europäischen Sozialisten«. Die Partei des Ex-Premier Robert Fico ist aber mit keiner anderen sozialdemokratischen Partei vergleichbar. Ursprünglich war sie anti-neoliberal und stand weit links. Anfang des vergangenen Jahrzehnts legte sie viele linke Forderungen ab, stimmte der Schuldenbremse zu und regierte recht profillos neoliberal, unter anderem mit der rechten Slowakischen Nationalpartei, die derzeit auch auf einen Wiedereinzug ins Parlament hoffen kann. Diese Phase der SMER endete 2018, nachdem Auftragskiller den Investigativjournalisten Ján Kuciak und dessen Verlobte ermordeten. Kuciak hatte herausgefunden, dass die italienische Mafia mit einem Ex-Model eine Frau ganz nah an der politischen Macht platzieren konnte – als Ficos Assistentin. Fico trat daraufhin zurück, seine Partei spaltete sich und 2020 übernahmen die Bürgerlichen die Regierung.

Viele glaubten damals, die Karriere des Ex-Premiers Fico sei am Ende. Mit HLAS (Slowakisch für »Stimme«) gründete sein Kurzzeit-Nachfolger Peter Pellegrini eine weitere sozialdemokratische Partei, die von Ende 2020 bis Ende 2022 die Umfragen anführte. Doch Fico hat sich erneut neu erfunden – als die personifizierte Rache der älteren und ländlichen Bevölkerung an den liberalen Eliten in Bratislava, Berlin, Brüssel und Washington. Zunächst wetterte er gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, doch das half nichts. Mit dem Ukraine-Krieg fand er dann ein neues Thema: Als die Bundeswehr ein Kontingent in die Ostslowakei entsandte, um den slowakischen Luftraum abzusichern, sagte Fico, dass man nicht die »Wehrmacht willkommen heißen« solle, wenn man im Konflikt mit Russland sei. Unter ihm als Premier werde das Land »keine Patrone« mehr ins östliche Nachbarland schicken, die Sanktionen gegen Russland seien aufzuheben, die EU-Perspektive der Ukraine unrealistisch und im Falle eines Nato-Mitgliedschaftsantrags der Ukraine kündigte Fico ein Veto an.

Über einen EU- und Nato-Austritt denke man zwar in Reihen der SMER nicht nach, betonte er ebenso. Bei der Vorstellung der außenpolitischen Leitlinien seiner Partei sagte der studierte Jurist aber, dass neben den Allianzbeziehungen zu EU- und Nato-Staaten die Slowakei ihre Beziehungen mit China, Kuba und Vietnam ausbauen und die Beziehungen mit Russland »wiederherstellen« soll.

Die Außenpolitik ist für die Partei sehr wichtig. »Die wichtigste Koalitionsvoraussetzung für die SMER ist der Stopp der Waffenlieferungen in die Ukraine«, erklärt Ľuboš Blaha von der SMER gegenüber dem »nd«. Blaha hatte vor 20 Jahren als Mitarbeiter der kommunistischen Parlamentsfraktion begonnen und sich als linker Philosoph einen Namen gemacht. Sein Buch »Antiglobalist« wurde sogar ins Englische übersetzt. Seit einigen Jahren steht Blaha aber auch symbolisch für eine weitere Schiene der SMER-Politik: Die Hetze gegen Migrant*innen, Roma, Muslim*innen sowie die LGBTQI*- und Transgender-Community. Mit diesem Kurs gelang es Blaha zum auf Facebook beliebtesten aller slowakischen Politiker aufzusteigen. Doch eine Gruppe von US-Kongressabgeordneten übte Druck auf den Facebook-Mutterkonzern Meta aus und dieser ließ Blahas Account vor einem Jahr löschen.

Hetze gegen Migrant*innen + soziale Versprechen

Neben der für ein Nato-Mitgliedsland untypischen Außenpolitik und der Hetze gegen Minderheiten setzt die SMER auch weiter auf die soziale Schiene. Den steigenden Lebensmittelpreisen will die Partei durch eine Stärkung des Kartellamts und eine Deckelung der Profite für Lebensmittelkonzerne entgegenwirken. Die Zinsen für Wohnungskredite sollen auch gesenkt und ein Mitbestimmungsgesetz nach deutschem Vorbild verabschiedet werden, um die Arbeiterseite in den Betrieben zu stärken.

Trotz dieser sozialen Forderungen hat sich der Gewerkschaftsdachverband KOZ unter ihrer neuen Präsidentin Monika Uhlerová von der SMER abgewandt. Sie gilt als konsequent antirassistisch beziehungsweise in den Augen ihrer Kritiker*innen als »woke«. »Derzeit wird das Kooperationsabkommen mit der SMER nicht umgesetzt, was es praktisch irrelevant macht«, sagte Miroslav Hajnoš, der KOZ-Sprecher für internationale Beziehungen dem »nd«. Zuvor hatte KOZ lange Zeit auf eine Stärkung der SMER gesetzt – dies ist nun Geschichte.

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