- Berlin
- Rechtsextremismus
Die Grünen in tiefer Sorge
Runde Tische im Kampf gegen Brandenburgs AfD vorgeschlagen
Als erste Partei in Brandenburg haben die Grünen den Vormarsch der AfD als existenzielle Frage begriffen. Sie rufen zu einem »Aufbruch« auf, zu einem neuen »Aufstand der Anständigen«. Dialoge in größerer aber auch kleinerer Runde, Gesprächsangebote und große gesellschaftliche Koalitionen sollen hier die Wende bringen. Ein offener Brief der Grünen trägt den Charakter eines Hilferufes.
Bei der Vorstellung des Papiers Ende vergangener Woche im Landtag verwies Fraktionschef Benjamin Raschke darauf, dass sich bei jüngsten Umfragen in Brandenburg 32 Prozent der Befragten für die AfD ausgesprochen hatten. Er unterstrich, dass es die Anstrengungen nicht lohnen würde, sich um Menschen zu bemühen, die sich das Weltbild der AfD zu eigen gemacht haben. »Die werden wir sowieso nicht mehr gewinnen.« Mit ihrem Aufruf wenden sich die Grünen an den »großen Teil der Zivilgesellschaft, an Menschen, die durch die vielen Krisen zunehmend erschöpft sind«. Sie schreiben: »Wir sehen, was Sie in den vergangenen Jahren geleistet haben, wir sehen, was ihr kompensiert habt – und auch, wie viel Kraft das gekostet hat. Wir sind dankbar für das unglaubliche Engagement so vieler Menschen im Land.«
Angesichts des scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs der AfD bedürfe es dennoch neuer Anstrengungen. In ihrem offenen Brief bekunden die Grünen, dass ihnen »die zunehmende Normalisierung rechtsextremen Denkens und Handelns«, fortgesetzte Tabubrüche und vermehrt rassistische Überfälle im Land neben den aktuellen Umfrageergebnissen für die AfD Sorge bereiten. »Wir sehen die Demokratie und ihre grundlegenden Werte von Freiheit, Gleichberechtigung, Vielfalt
und Toleranz in Brandenburg in akuter Gefahr!« Zu den Gefahren zählen sie »die zunehmende Ablehnung frauen- und gleichstellungspolitischer Haltungen und ein grundsätzliches Infragestellen von Wissenschaft.« Weiter: »Wir erleben eine zunehmende Entfremdung der Menschen untereinander und der Menschen zu ›der Politik‹ in diesem Land. Kurz: Der soziale Zusammenhalt ist akut gefährdet.« Das, wofür die Menschen 1989 auf die Straße gegangen seien, »dürfen wir uns nicht nehmen lassen«.
Ob nicht auch die Grünen Fehler gemacht haben? Die Geschwindigkeit, mit der notwendige Maßnahmen durchgeführt wurden, habe bestimmte Menschen möglicherweise überfordert, antwortete Raschke. Angesichts des Raumgewinns von »Populisten und Extremisten« werfen die Grünen diesen vor, schädliche Stimmung zu befeuern. »Nicht, um die gewaltigen Herausforderungen anzupacken, vor denen unsere Gesellschaft steht, sondern um nach der Macht zu greifen und den Staat und die Gesellschaft umzuformen.«
Ähnlich wie in den letzten DDR-Monaten ist es nun der »Dialog«, in den die Grünen Hoffnungen setzen: »Wir laden ein. Wir wollen anregen, mehr solche Orte für Gespräche zu schaffen. Wir brauchen den Zusammenhalt aller Demokrat*innen und auch überparteiliche Räume. Wir können das nicht allein. Wir brauchen Sie, die Bürger*innen, die sich einmischen. Wir brauchen die Menschen in Verbänden und Vereinen, im Handwerk, der Wirtschaft, in den Kirchen, im Sport. Wir kommen gern. Nur gemeinsam können wir uns den Angriffen von rechts entgegenstellen und das schützen, was uns verbindet: die freiheitliche und demokratische Gesellschaftsordnung.«
Raschke schwebt dabei durchaus das Gespräch im kleinen Kreis vor, das aber prinzipienfest geführt werden müsse. Co-Fraktionschefin Petra Budke ist wichtig, »die Jugend dabei mitzunehmen«. In einer Studie des Potsdamer Moses-Mendelsohn-Zentrums wurde analysiert, dass die Grünen in der Jugend noch ihre größte Anhängerzahl haben. Im Übrigen bietet Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) schon seit längerem das vorgeschlagene »Gesprächsformat«. Er lädt zu Bürgerdialogen ein, lässt das Kabinett »vor Ort« zusammentreten, also immer mal auch in den verschiedenen Landkreisen.
Alle anderen Parteien im Landtag vertreten die Ansicht, dass die AfD nicht zum demokratischen Spektrum gehört. Aber sie wird demokratisch gewählt. Die Grünen sagen dazu: »Sie verfolgen nichts weniger als die Abschaffung der Demokratie mit ihren eigenen Mitteln.«
Obwohl Brandenburg am 22. September kommenden Jahres einen neuen Landtag wählt, der Wahlkampf zunehmend seine Schatten vorauswirft und das Bild der rot-schwarz-grünen Koalition im Land von Streit geprägt ist, haben
die Grünen bis zur Wahl noch einiges vor. Budke nennt die Novellierung des Bildungsgesetzes, das neue Erwachsenenbildungsgesetz, das Kinder- und Jugendgesetz. Bezogen auf Flüchtlinge sagt Budke: »Das Sterben im Mittelmeer muss beendet werden.« Kritisch sehen die Grünen den Plan, den Kreis der als sicher eingestuften Herkunftsländer zu erweitern, in die Geflüchtete abgeschoben werden dürfen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.