Deutsche Oper Berlin: Drei Opern oder ein Werk?

Giacomo Puccinis »Il trittico« an der Deutschen Oper Berlin, überzeugend inszeniert von Pınar Karabulut

  • Kai Köhler
  • Lesedauer: 5 Min.
Futuristische Nonnen von vor langer Zeit.
Futuristische Nonnen von vor langer Zeit.

In seinem 1918 uraufgeführten »Il trittico« (»Das Triptychon«) hat Puccini drei knapp einstündige Einakter zusammengebracht, die auf den ersten und vielleicht auch den zweiten Blick nicht viel gemeinsam haben. »Il tabarro« spielt 1910 in Paris unter Flussschiffern. Seit dem Tod des gemeinsamen Kindes ist Micheles Ehe mit Giorgetta am Ende. Er entdeckt die Liebschaft Giorgettas mit dem Ladearbeiter Luigi, tötet den Konkurrenten und hängt der Leiche den Mantel um, der dieser ersten der drei Opern den Titel verschafft, und lässt Giorgetta die Leiche entdecken.

Weiter in der Vergangenheit ist »Suor Angelika« angesiedelt. Nachdem Angelika einen unehelichen Sohn zur Welt gebracht hat, liefert ihre Familie sie in einem Kloster ab. Nach sieben Jahren ohne Nachricht von der Außenwelt setzt die Handlung ein. Besuch kommt: die unbarmherzige Tante Angelikas, die der Sünderin schließlich mitteilt, dass das Kind vor Jahren schon gestorben ist. Wieder allein, nimmt Angelika Gift, um bald bei ihrem Sohn im Himmel zu sein. Dann aber fällt ihr ein, dass Selbstmord eine Todsünde ist, sie also statt ihres Kindes die Hölle erwartet. Die heilige Jungfrau Maria indessen rettet sie, Verklärung.

Schon bald nach der gemeinsamen Uraufführung der drei Teile wurde dieser antidogmatische Glaubenskitsch, trotz seiner unbestreitbaren musikalischen Qualitäten, weggelassen. Bald traf es auch das naturalistische Eifersuchtsdrama, den ersten Einakter. Erfolgsstück, zumeist in anderen Koppelungen, wurde die Komödie »Gianni Schicchi«, die die Trilogie beschließt. Florenz, 14. Jahrhundert: Der reiche Buoso Donati stirbt, und die geheuchelte Trauer seiner Verwandten wird zur echten, als sie das Testament entdecken. Die Mönche sollen nämlich alles erben. Der Titelheld, sonst von der Verwandtschaft verachtet, hat die rettende Idee. Noch weiß niemand von Buosos Tod. So kommt man überein, dass Schicchi den Sterbenden spielen und ein neues Testament diktieren soll. Der Notar wird erfolgreich getäuscht, doch Schicchi vererbt sich selbst den größten Teil und sichert so nebenbei die Zukunft des Liebespaares, das in einer Komödie natürlich nicht fehlen darf: seine Tochter Lauretta hat ihr Herz an den aufrichtigen Rinuccio verloren.

Was verbindet die drei Teile? Wenig. Die Handlungszeit ist so verschieden wie die Konfliktlinien. Die dramatischen Gattungen unterscheiden sich, die Sprachebenen, die Formen des Realismus. Man könnte sagen, dass überall der Tod vorkommt und überall das Streben nach Glück – aber beides trifft auf etliche Opern zu. Zeigt gerade die Vielfalt Puccinis Absicht, mit seinem Triptychon die ganze Welt zu erfassen? Ein solches Argument klingt arg nach letztem Rettungsversuch.

Helfen könnte ein dramaturgischer Gedanke: nämlich dass Puccini gerade durch den Kontrast der Stimmungen einen wirkungsvollen Opernabend konzipiert hat. Die beiden unbekannteren Stücke bestehen bis zu ihrer Mitte aus scheinbar harmlosen Genreszenen, die allerdings auf die Konflikte bereits hinweisen. Auch das Ganze könnte aus einer solchen Kontrastdramaturgie leben. Wie aber erfasst man ein solches Ganzes auf der Szene?

In der Deutschen Oper Berlin verbindet das Bühnenbild von Michela Flück die beiden ersten Teile, aber die Komödie nach der Pause sieht ganz anders aus. Teresa Verghos Kostüme zeigen futuristische Nonnen im Mittelteil, groteske Überspitzungen am Anfang und am Ende. Zudem stellt sie mit bühnenbeherrschender roter Kleidung eine Verbindung her zwischen dem eifersüchtigen Michele, der die jüngeren Liebenden vernichtet, und Gianni Schicchi, der dem jungen Paar durch seinen Betrug eine Zukunft verschafft. Auch sind beide Partien – und zwar hervorragend – mit demselben Sänger besetzt: Misha Kiria.

Doch zu unterschiedlich sind die Vorlagen, als dass Vereinheitlichung gelingen könnte. Regisseurin Pınar Karabulut ist denn auch klug genug, nicht dem Ganzen ein Konzept überzustülpen, sondern Bewegungen aus der szenischen Konstellation und vor allem aus dem Gestus der Musik heraus zu gestalten. Das gelingt ihr am besten im »Tabarro«, wo sie eine gute Kombination von naturalistischem Detail und zeichenhafter Ausdeutung findet. Doch auch was folgt, gehört zu den besten Regiearbeiten, die in den letzten Jahren an Berliner Opernhäusern zu sehen waren. Mögliche Einwände gegen Karabuluts Auslegung des Stoffs ändern daran nichts.

Heute kaum mehr zu retten ist der Erlösungskitsch der »Suor Angelika«. Hier ist die Klosterwelt vielleicht zu milde dargestellt. Karabulut begreift, laut Programmheft, die Frauenwelt als befreit von patriarchaler Unterdrückung. Das Libretto hingegen spricht von Regeln, Strafen und Sehnsucht nach der Außenwelt. Besser gelingt denn auch die Konfrontation mit der Tante, die an patriarchalen Vorstellungen festhält. Wie inszeniert man den Weg in den Himmel? Bei Karabulut blutet die Nonne nicht suizidbedingt an den Handgelenken, sondern trotzig zwischen den Beinen. Aber wenn die Heilige Jungfrau Schwester Angelika trotzdem rettet, sieht man Frauensolidarität statt notwendiger Religionskritik.

Das Florenz des »Gianni Schicchi« erscheint als groteske Welt, und Karabulut stellt – bei durchaus präziser Personenführung – das Komödiantische vielleicht zu sehr heraus. Es gab viele Lacher im Publikum, wohl auch von Leuten, die ernsthaft auf ein Erbe hoffen. So übel jedoch wie das, was auf der Bühne zu sehen war, sind sie nun doch nicht! Ein wenig Zurücknahme hätte die musikalische Komödie geschärft.

Unterhaltsam ist dieser Teil allemal geraten. Selten hört man ein Opernpublikum so häufig lachen. Überhaupt ist Abwechslungsreichtum eine Stärke des ganzen Abends. Im Bühnenbild dominieren grelle Farben, doch verselbstständigen sich die Effekte nicht.

Viel feiner schattiert ist das Orchester. Dirigent John Fiore, kurzfristig für den erkrankten Donald Runnicles eingesprungen, verdeutlicht die Instrumentationskunst Puccinis. Dabei gelingt es ihm, die Einzelheiten mit dem musikalischen und dem szenischen Verlauf zu verbinden, was man sieht und was man hört, wird eine Einheit.

Drei Stücke, das bedeutet viele kleine Rollen; undankbar für Sängerstars. Aus dem durchweg überzeugenden Ensemble seien neben dem genannten Misha Kiria wenigstens noch Carmen Giannattasio als Giorgetta und Violeta Urmana als hartherzige Tante hervorgehoben.

Nächste Vorstellungen: 8.10., 13.10., 17.10., 9.12., 14.12.

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