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Trans-Startklasse: Schwimm-Verband erlebt Desaster mit Ansage
Inklusion, die ausschließt: Weltverband wollte trans Schwimmer beim Weltcup in Berlin in einer eigenen Klasse antreten lassen. Das ging schief
Die Idee war angeblich gut gemeint. Durchdacht war sie offensichtlich nicht. Der Schwimm-Weltverband World Aquatics wollte sich als großer Inklusionsvertreter inszenieren und führte vor wenigen Monaten eine neue Meldeliste ein. Neben männlich und weiblich sollte es ab sofort auch Wettbewerbe in einer offenen Kategorie geben, speziell für trans Personen gedacht. Der Weltcup in Berlin an diesem Wochenende sollte den Anfang machen, doch siehe da: Niemand hat sich angemeldet. Auf diese Art von Inklusion hat offenbar keine trans Person Lust. Schließlich bewirkt sie bei ihnen genau das Gegenteil: ein Gefühl der Ausgrenzung.
»Der Bundesverband Trans ist nicht überrascht, dass es keine Meldungen gegeben hat«, sagte dessen Sprecher*in Sport Conny-Hendrik Schälicke am Tag vor dem Wettkampfstart in Berlin dem »nd«. »Man muss dazu ja auch die notwendigen Normzeiten aufweisen können. Und da ist das Feld im Trans-Bereich, was die Weltklasse betrifft, nachvollziehbar dünn. Außerdem hätte sich jede gemeldete Person mit der Idee der offenen Kategorie einverstanden erklärt.« Warum aber, fragt Schälicke, sollte sich eine Person melden, die ihr Geschlecht mittels Hormonersatztherapie und vielleicht noch weiteren Maßnahmen bewusst angepasst hat? »Eine Person, die sich als weiblich sieht und die geschlechtlichen Normwerte erfüllt, will in der Startklasse der Frauen starten.«
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Die Vorgeschichte dieses Fiaskos hat ihren Ursprung in den USA. Die konservative Rechte hatte 2015 vor dem Obersten Gerichtshof eine endgültige Niederlage im jahrelangen Kampf gegen die gleichgeschlechtliche Ehe erlitten und suchte fortan nach neuen Minderheiten, auf dessen Rücken sie ihre Kulturkämpfe austragen konnte. Trans Personen wurden zum neuen Ziel auserkoren. Angeblich würde die Jugend indoktriniert und zu Geschlechtsumwandlungen gezwungen. Und mit der Zeit wurde auch der Sport in die Debatte mit hineingezogen.
Die Republikaner im US-Repräsentantenhaus verabschiedeten im April ein Gesetz, das trans Personen die Teilnahme an Wettkämpfen in Schulen und Universitäten verbieten soll. Der von den Demokraten kontrollierte Senat, der noch zustimmen müsste, lässt das Bundesgesetz gerade versanden, und auch Präsident Joe Biden hat bereits ein Veto angekündigt. Dennoch: Ähnliche Erlasse sind bereits in mehr als 20 konservativen Bundesstaaten in Kraft.
Dabei wird hier ein Problem nur herbeigeredet: Das »Time Magazine« schrieb schon im Mai 2022: »Der Grund für die Explosion der Sportverbote liegt nicht in einer wachsenden Zahl von trans Athleten, die im Sport dominieren würden. Es ist schlicht und einfach Politik. Konservative Gruppen haben erkannt, dass das Thema zuverlässig Republikaner und potenzielle Wechselwähler erregt« – und damit auch an die Wahlurne treibt.
Dabei gibt es kaum trans Sportlerinnen, die es bis an die Weltspitze schaffen. Die neuseeländische Gewichtheberin Laurel Hubbard nahm in Tokio an den Olympischen Spielen teil, holte aber keine Medaille. Die bekannteste Schwimmerin ist Lia Thomas, die nach ihren geschlechtsangleichenden Maßnahmen samt Hormonersatztherapie im März 2022 bei den US-College-Meisterschaften über 500 Yards Freistil den Titel gewann. Obwohl ihre Zeiten noch nicht internationales Spitzenniveau erreichten, schloss World Aquatics alle trans Athletinnen und Athleten drei Monate später von seinen Wettbewerben aus.
Einige Gegnerinnen von Thomas hatten sich benachteiligt gefühlt, andere solidarisierten sich mit ihr gegen eine konservative Medienkampagne, die Thomas Betrug vorwarf. Schließlich habe sie die männliche Pubertät durchschritten. Außerdem seien Hormonbehandlungen laut Antidoping-Regularien verboten. Dafür gibt es natürlich Ausnahmen, besonders, wenn der Testosteronspiegel über Jahre künstlich gesenkt wird. Floridas Gouverneur und Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis, Spezialist für symbolische, aber nutzlose Gesten im Wahlkampf, erkannte Thomas sogar den Titel ab und erklärte die Zweitplatzierte Emma Weyant aus seinem Bundesstaat zur Siegerin, obwohl er die Macht dazu natürlich nicht besaß.
Selbst im Breitensport sind die Fallzahlen verschwindend gering: In Michigan etwa entscheidet eine Behörde im Einzelfall, ob trans Athleten an Wettbewerben in High Schools teilnehmen dürfen. Pro Jahr gehen bei ihr nur zwei Anträge ein – bei 180 000 Schülersportlern im Bundesstaat. In Utah sind es vier trans Personen von 75 000 Kindern, nur eine davon als Mädchen. Trotzdem erließ dort das Parlament einen Transgender-Bann für Mädchenteams. Gouverneur Spencer Cox, selbst Republikaner, legte sein Veto ein und sagte: »Vier Kinder, die nicht einmal Trophäen gewinnen. Vier Kinder, die nur Freunde finden und Teil von etwas sein wollen. Selten zuvor habe ich so viel Angst vor und Wut über so wenige erlebt.« Das Parlament überstimmte sein Veto kurz darauf mit einer Zweidrittelmehrheit.
Fast 70 Prozent der US-Bürger unterstützen laut Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup solche Sperren. »Die Attacken der letzten Jahre auf trans Menschen waren sehr scharf und bösartig«, sagte Aktivistin Alejandra Caraballo aus Harvard gegenüber NBC News. »Es ist im Grunde das Einzige, über das die Ultrarechten sprechen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Unterstützung dafür steigt.«
Eine dem gegenüberstehende Aufklärungskampagne kommt dagegen kaum ins Rollen. Dabei wäre sie nötig. »Es gibt auch innerhalb der Geschlechter große körperliche Unterschiede. Die Fixierung auf das Geschlecht und den Testosteronspiegel ist daher gerade extrem. Dabei ist der Forschungsstand noch sehr dünn, inwieweit sich bei trans Frauen die körperlichen Voraussetzungen verändern und damit an durchschnittliche weibliche Parameter angleichen«, sagt Conny-Hendrik Schälicke. »Und solange das so ist, kann man nicht einfach vorsorglich die Tür zumachen. Es heißt doch immer: Im Zweifel für die Angeklagte.«
Die US-Republikaner behaupten zwar selbst, zum Thema forschen zu wollen, allerdings aus einem ganz anderen Blickwinkel. So fordert die Abgeordnete Nancy Mace im Repräsentantenhaus eine Studie zu finanzieren, welche die »Schaffung einer feindseligen Umgebung, sexuelle Übergriffe und sexuelle Belästigung« erforschen soll, wenn trans Personen in Frauenteams mitspielen. Derlei Fälle sind nicht bekannt – die schwerwiegenden psychologischen Auswirkungen auf diskriminierte trans Menschen dagegen schon. Die Selbstmordrate unter ihnen ist signifikant höher als im Rest der Gesellschaft.
Beim Thema physiologischer Unterschiede hatten medizinische Experten dem Schwimmweltverband berichtet, dass bei geschlechtsangleichenden Maßnahmen nach dem Durchlaufen der männlichen Pubertät zwar einige, aber nicht alle Auswirkungen von Testosteron auf Körperstruktur und Muskelfunktion abgeschwächt würden. Dies würde trans Frauen »einen relativen Leistungsvorteil gegenüber biologischen Frauen verschaffen«, begründete World Aquatics seinen im Juni 2022 ausgesprochenen Transgender-Bann, obwohl selbst Verbandssprecher James Pearce zugeben musste, dass es derzeit nicht eine trans Frau gebe, die auf Eliteniveau schwimme.
Kai Morgenroth, Vizepräsident des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV), gestand auch ein, dass es zwar bereits Studien in dem Bereich gebe, »vielleicht aber noch nicht speziell auf Schwimmen bezogen«. Damit setzt sich die Verbandsregelung aber über eine Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hinweg, die schon 2021 zu einer Abkehr von allgemeinen Verboten und Grenzwertdebatten riet. Stattdessen sollte es Einzelfallprüfungen geben.
Die in Berlin antretenden Athleten wie die deutschen Europameister Lukas Märtens und Isabell Gose bewiesen beim Medienabend am Donnerstag große Wissenslücken – und Angst davor, sich zu dem Thema öffentlich zu äußern. »Ich möchte mir darüber meinen Kopf gar nicht zerbrechen. Die Entscheidungen müssen andere Leute treffen. Es ist ein ganz schwieriges Thema, da kann man viel Falsches sagen«, meinte Märtens. Gose behauptete, sie sei da »total neutral«. Außerdem wolle sie sich »nicht angreifbar machen«. Schwedens zwölffache Weltmeisterin Sarah Sjoström wollte sich immerhin »mal die Meinung von trans Schwimmern einholen, bevor ich dazu etwas sage«. Außer Lia Thomas kennen allerdings auch sie alle nicht eine einzige trans Athletin in ihrem Sport.
Für diese Athletinnen sollte aber die neue offene Kategorie ein Startrecht einräumen, was gleichzeitig die angeblich bedrohte Fairness im Frauensport wahren würde. Auch der Schachweltverband Fide hat trans Frauen mittlerweile von Frauenturnieren ausgeschlossen. Während der Deutsche Schachbund offen gegen diese Neuregelung rebelliert, fand der Deutsche Schwimmverband die Idee von World Aquatics gut und willigte ein, beim Weltcup in Berlin den Anfang zu machen. »Wir haben gesagt: Wir ermöglichen trans Menschen, ihren Sport zu betreiben. Aufgrund der derzeitigen Regelwerke dürften sie ja an keinen Wettbewerben teilnehmen.« Der Weltverband sprach nun sogar von einem »Pilotprojekt, das unser unerschütterliches Engagement für Inklusivität unterstreicht und Schwimmer jeder Geschlechtsidentität willkommen heißt«.
Die trans Athletinnen und Athleten aber fühlten sich überhaupt nicht willkommen. Weder Lia Thomas noch irgendjemand sonst meldete sich an. »Wir haben im Vorfeld schon Gespräche mit der Community geführt, vielleicht aber nicht alle, die notwendig gewesen wären. Vielleicht war es ein bisschen übereilt«, reagierte Schwimmverbands-Vize Kai Morgenroth gegenüber »nd« auf die Entwicklung in dieser Woche. Sein Verband werde nun »einen runden Tisch einberufen, um mit allen Beteiligten gemeinsam an möglichen Lösungen zu arbeiten«.
Für Conny-Hendrik Schälicke vom Bundesverband Trans hätte dieser Schritt an den Anfang der Debatte gehört: »Wenn ein Sportverband nur überlegt, was er machen kann, ohne die Expertise von trans Organisationen einzubeziehen, dann ist das ein Problem. Das hat der Berliner Fußballverband anders gemacht. Da gab es Runde Tische mit Interessierten aus Vereinen und Verbänden, bevor man die Meldeordnung auf dem Verbandstag mit einer Mehrheit änderte«, verwies Schälicke auf das mittlerweile auch vom Deutschen Fußball-Bund verbriefte Recht für trans Frauen, in Frauenteams zu spielen. »Diese Entwicklung hat der Schwimmverband versäumt. Da ist es kein Wunder, dass das jetzt nicht funktioniert.«
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