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Paradies im Prinzenbad
nd-Kolumnistin Anne Hahn über eine überraschende Entdeckung im Kreuzberger Freibad
Hapschiiie! Erschrocken hebe ich den Kopf aus dem Wasser und schaue nach vorn über den Beckenrand, von wo das Geräusch gekommen sein muss. Der Bademeister in seiner Kabine hebt entschuldigend die Hand, lässt sie in der Luft stehen – und niest noch einmal. Über Wasser hört es sich normal beziehungsweise harmlos an. Ich lächle ihm zu, wende und lasse mich auf dem Rücken treiben. Das Wasser ist warm, die Bahn habe ich für mich ganz allein.
Montagmittag, Anfang Oktober, Brückentag in Berlin. Es fühlt sich an wie ein Sommertag, gleich werden wir 25 Grad erreicht haben. Dabei ist es abends um sieben schon dunkel und wird ganz fix kühl, irgendetwas stimmt nicht. Meine Wahrnehmung insgesamt. Alles ist anders. Ich rauche nicht mehr. Seit drei Wochen, am Donnerstag sind es dann vier. Das Biertrinken habe ich vor Schreck auch gelassen, aber erst seit einer Woche. Jetzt ist mir öfter schwindelig und überall riecht es furchtbar intensiv. Haben sich junge Männer schon immer so stark parfümiert? Riechen Imbissbuden nicht generell anstrengend? Hat die Spree schon lange diesen modrigen Hauch?
»Na du kleine Missgeburt!«, ruft eine schrille Stimme in meinem Kopf. Als Einstimmung auf meinen Oktoberbesuch im Sommerbad Kreuzberg habe ich in den Dokumentarfilm »Prinzessinnenbad« von Bettina Blümner hineingeschaut und bin zu den Freibad-Szenen gezappt. Die drei Fünfzehnjährigen, die im abendfüllenden Film von 2007 monatelang mit der Kamera begleitet werden, gehen oft ins Sommerbad Kreuzberg, genannt »Prinzenbad«. Sie frotzeln, kauen Kaugummi, rauchen (das sieht zum Glück eklig aus) und rufen Jungs allerlei hinterher.
Ich liege rücklings und treibe das letzte Stück gen Bahnende, mein neuer Neopren-Shorty ist dicht und hält mich wie ein Ballon über Wasser. Dong, eine Hand hat meinen Fuß erwischt, der Rückenschwimmer zieht an mir vorbei, genervter Blick. Natürlich, hier kann man nicht rumdümpeln, ich werfe mich herum und wende, schwimme Brust. Der Anzug kneift überall, vor allem die Schultern kann ich nicht wie gewohnt bewegen, in die kurzen Ärmel dringt nun Wasser. Meine Stirn ist kalt, ich denke an Schwimmfreund Dirks mahnende Worte, im Herbst eine Badekappe aufsetzen!
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Das seit Oktober unbeheizte 50-Meter-Sportbecken in Deutschlands beliebtestem Freibad ist dicht gefüllt. Ein Bein trifft mich von der ungeleinten Seite, hinter mir schnaubt eine Schwimmerin, der ich zu langsam bin. Ich japse, gerate in Panik, mir wird warm. Schnell raus hier, ich tauche quer unter den Massen durch zum Beckenrand. Finde ein Plätzchen für meine wassergymnastischen Übungen. Hier scheint die Sonne, das Metallbecken leuchtet türkis. Das Schwindelgefühl weicht. Neben mir liest eine Frau, ein Mann isst verstohlen Brot aus einer Tüte. Dunkelbraungebrannte Sonnenanbeter dösen im Licht.
An Absperrbändern vorbei tappe ich über Wiesen durch das Bad. Am verwaisten Schachspiel stochert ein Rabe im Müll, ich suche die Schwimmhalle, die mir von den Bäderbetrieben versprochen wurde. Kaum vorstellbar, wo soll denn hier …? Doch, da hinten, hinter den zwei in Liegestühlen elegant sonnenbadenden Herren liegt ein umzäunter weiß-silberner Kasten mit Röhren dran. Sieht aus wie ein Heizhaus, hinter einer Zaunlücke steht ein Aufsteller mit dem Hinweis EINGANG, danach kommt eine spaltbreit geöffnete Tür und – das Paradies: Eine kleine Halle, ein beheiztes 25-Meter-Becken mit fünf Bahnen und nur vier Schwimmern darin!
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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