Femizid in Berlin: Lebenslänglich für Zohras Mörder

Nach dem Femizid an Zohra G. wird ihr Ex-Mann verurteilt, die Strukturen der Berliner Hilfesystems müssen sich jedoch noch ändern

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 5 Min.

Lebenslange Haft, so lautet das Urteil des Berliner Landgerichtes gegen Gul A. Am Montag hat es den 32-Jährigen des Mordes an seiner Ex-Frau Zohra G. schuldig gesprochen. Vor rund eineinhalb Jahren, am 29. April 2022, hatte der Verurteilte seiner Ex-Frau in Pankow in der Nähe ihrer Geflüchtetenunterkunft aufgelauert und sie auf offener Straße mit mehreren Messerstichen und Schnitten getötet.

Der Richter nannte die Tat einen »klassischen Femizid«. Der Angeklagte habe aus Rache gehandelt, um seiner aus Afghanistan stammenden Ex-Frau ein eigenständiges Leben zu verwehren. Mit dem Urteil folgte das Gericht dem Antrag des Staatsanwalts. Es ist noch nicht rechtskräftig.

Der Femizid hatte im vergangenen Jahr für Aufsehen gesorgt. Nicht nur die rohe Gewalt, auch die Vorgeschichte erschütterte die Öffentlichkeit. A. und G. waren 2020 nach jahrelanger Flucht aus Afghanistan gemeinsam mit ihren sechs Kindern in Berlin angekommen. Seit der Ankunft in Deutschland sei der Vater aggressiv und gewalttätig geworden, das berichtete der mittlerweile 14-jährige Sohn im August rückblickend vor Gericht. Als sich Zohra G. trennte, habe der Verurteilte A. das nicht akzeptieren wollen und ihr mehrere Male mit dem Tod gedroht.

Zohra G. suchte nach Hilfe. Sie wandte sich an ihre Schwester in Oldenburg und Freund*innen in Hamburg und stellte Anfang 2022 eine erste von insgesamt drei Strafanzeigen gegen ihren Ex-Mann. Daraufhin erteilte das Heim, wo G. mit ihren Kindern lebte, A. ein Hausverbot, und die Polizei leitete Mitte April ein Verfahren für eine einstweilige Verfügung ein. Bevor eine Verfügung beschlossen wurde, ermordete A. seine Ex-Frau.

Dass die Sicherheitsbehörden G. nicht ausreichend Schutz boten, zeigte sich laut der feministischen Organisation Zora im Laufe der Verhandlung. Ava Moayeri, Mitglied der Frauenorganisation, hat den Prozess verfolgt und erzählt gegenüber »nd« von der Anhörung der zuständigen Polizeibeamt*innen. Demnach habe G. der Polizei mitgeteilt, dass ihr Ex-Mann sie in der Ehe jahrelang vergewaltigt hatte. »Bei so einer Information müsste die Polizei eigentlich ermitteln, aber da ist nichts passiert, und eine Polizistin meinte, sie hätte es vergessen«, so Moayeri.

Auch die Strukturen für Betroffene von Partnerschaftsgewalt versagten im Fall von Zohra G. Einen freien Platz in einem Frauenhaus konnte sie nicht annehmen, weil dort ihre zwei ältesten Söhne nicht hätten einziehen können. Andere Frauenhäuser mit höheren Altersgrenzen für Söhne waren jedoch vollständig belegt. Für Moayeri ist das Ausdruck eines strukturellen Problems: »An allen Ecken und Enden fehlt das Geld, Frauenhäuser sind chronisch unterfinanziert.«

Derzeit stehen in der Hauptstadt laut der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen 462 Plätze in acht Frauenhäusern und 30 Plätze in Frauennotwohnungen zur Verfügung. Damit verfehlt das Land die von Deutschland ratifizierte Istanbuler Konvention, die für eine Großstadt wie Berlin proportional zur Einwohner*innenzahl mindestens 913 Plätze vorsieht. Für den kommenden Doppelhaushalt plant die schwarz-rote Koalition mit einem finanziellen Zuwachs von einmal acht und einmal elf Millionen Euro im Antigewaltbereich. Doch welche Maßnahmen damit finanziert werden sollen, macht die zuständige Senatsverwaltung unter SPD-Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe bisher nicht transparent.

Das kritisieren Bahar Haghanipour und Ines Schmidt, die frauenpolitischen Sprecherinnen der Grünen- und Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. »Das sind Summen, mit denen könnte man den Gewaltschutz ganz toll nach vorne bringen«, sagt Haghanipour zu »nd«. »Aber die Frage ist eben: Wofür gibt man das aus?« Bisher wüssten die Abgeordneten schlicht nicht, ob das Geld dem im Koalitionsvertrag vorgesehenen neunten und zehnten Frauenhaus oder ganz anderen Maßnahmen dienen soll.

Um insbesondere geflüchtete Frauen besser zu schützen, fordert Haghanipour interdisziplinäre Fallkonferenzen. Auf fest installierten Treffen sollen Sozialarbeiter*innen, Gewaltschutzberater*innen, Polizist*innen und andere involvierte Instanzen zusammenkommen und die Gefahrenlage in spezifischen Fällen analysieren. »Im gesamten Hilfesystem sind verschiedene Ressorts zuständig, die miteinander in Kontakt kommen müssen«, so Haghanipour. In ihren Augen hätte man im Fall von Zohra F. durch einen derartigen Austausch eventuell die Mordabsichten des Ex-Mannes Gul A. früher erkennen können.

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Geflüchtete Frauen können sich besonders schwer gegen Partnerschaftsgewalt wehren. Das weiß Friederike Strack von Lara, der Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen, trans*, inter* und nicht-binären Personen. »Oft wohnen in der Unterkunft Verwandte und Bekannte, die auf die Frau Druck ausüben, ihren Mann nicht zu verlassen.« Wenn eine Anzeige den Aufenthaltsstatus des Mannes gefährde, liege die Hürde für die betroffene Frau nochmals höher. »Deshalb brauchen wir spezielle Unterkünfte für Frauen mit besonderem Schutzstatus«, fordert Strack.

Dennoch reihe sich der Femizid in ein trauriges Muster ein. »Wenn Frauen nach der Trennung noch mal auf ihren Ex-Mann treffen, wenn zum Beispiel die Kinder übergeben werden sollen, ist das immer der heikelste Punkt«, sagt Strack. Ein Großteil der tödlichen Partnerschaftsgewalt geschehe nach der Trennung.

Die Organisation Zora will nach dem Prozess die Erinnerung an Zohra G. hochhalten. »Auch wenn die Sache für den Staat erst mal gegessen ist, werden wir Zohra nicht vergessen«, sagt Moayeri und kündigt weitere Gedenkaktionen am 29. jedes Monats an. Für Montagabend organisierte Zora außerdem anlässlich der Urteilsverkündung um 21 Uhr eine Demonstration gegen Femizide.

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