Hannover vertrieb Roma

Stadt wies systematisch menschenunwürdige Quartiere zu

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 2 Min.
Hinter Fassade eine antiziganistische Verwaltung: Das neue Rathaus in Hannover.
Hinter Fassade eine antiziganistische Verwaltung: Das neue Rathaus in Hannover.

Bereits 2021 hatten die Soziologen Tobias Neuburger und Christian Hinrichs ihre Arbeit veröffentlicht, allerdings war sie seinerzeit nicht weitreichend beachtet worden. Erst jüngst stieß ein Journalist auf die Studie, die die beiden Forscher zum Thema »Struktureller Antiziganismus« verfasst hatten. Eine deutsche Großstadt war von den Wissenschaftlern für ihre Untersuchungen ausgewählt worden. Es handelt sich um Hannover; das ist im Text der Studie, die vom Bundesinnenministerium unterstützt worden war, aber nicht erwähnt. Doch eindeutige Hinweise darin ließen erkennen, dass Niedersachsens Landeshauptstadt gemeint war. Das fand die »Hannoversche Allgemeine Zeitung« (HAZ) heraus.

Aus der Forschungsarbeit, die an Hannovers Leibniz-Universität angesiedelt war, geht hervor, dass die Soziologen insgesamt 71 Gespräche mit zum Teil hochrangigen Mitarbeitenden der Stadtverwaltung und des Jobcenters geführt hatten. So erfuhren Neuburger und Hinrichs, dass Roma zwischen 2013 und 2019 von der städtischen Behörde gezielt in teils menschenunwürdigen Unterkünften untergebracht oder mehrmals umquartiert wurden, um ihnen den Aufenthalt in Hannover zu vermiesen. Den offiziell als obdachlos geltenden Menschen, die zum Beispiel aus Rumänien kamen, seien bewusst heruntergekommene, lagerähnliche Behausungen zugewiesen worden.

Die Stadtverwaltung hat den Vorwurf zurückgewiesen, dass sich die Zuweisung von Quartieren an der ethnischen Zugehörigkeit der Unterzubringenden orientiere. Doch die Behörde hat laut HAZ eingeräumt, »dass es antiziganistische Handlungsmuster innerhalb der Verwaltung gibt«. Die Verfasser der Studie sprechen in diesem Zusammenhang von einer »Unbequemlichkeitskultur«.

Vermutlich war diese »Unbequemlichkeitskultur« auch von der Arbeitsverwaltung angewandt worden, berichtet die Studie doch, dass beim Jobcenter Anträge von Roma verloren gegangen seien und man ihnen dort den Kontakt mit Dolmetschern verweigert habe.

Im Umgang mit den Roma in Hannover sehen die Autoren der Studie einen Beleg für institutionellen Antiziganismus und Rassismus. Wie der NDR berichtet, hat die Stadt Hannover sowohl die Verfasser der Arbeit als auch Sinti- und Roma-Vereine zu einem offenen Austausch eingeladen. Es gehe darum, diskriminierende und rassistische Muster in der Verwaltung zu unterbinden.

Andre Zingler, integrationspolitischer Sprecher der Linken im Rat der Stadt Hannover, erklärte zur Studie: »Das rassistische und diskriminierende Verhalten der Stadtverwaltung gegenüber Angehörigen der ethnischen Minderheit der Roma ist empörend.« Dirk Machentanz, Fraktionsvorsitzender der Linken im Rat, ergänzt: »Die schrecklichen und nicht zu entschuldigenden Vorfälle, die in der Studie geschildert werden, zeigen deutlich auf, dass die Kommunen von Land und Bund endlich auskömmlich finanziert werden müssen. Dies ist elementar, um alle Menschen würdevoll zu behandeln und rassistisches Fehlverhalten konsequent aufzuarbeiten und zu ahnden.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.