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Pflege: Streik im Stundenplan

Im Gespräch mit »nd« erklärt eine Pflegerin in Ausbildung, was in Berliner Krankenhäusern schiefläuft und wie gute Organisierung aussehen müsste

  • Interview: Jule Meier
  • Lesedauer: 6 Min.

Durchschnittlich 2400 Euro brutto verdient eine Pflegerin in Vollzeit. In der Branche gibt es doppelt so viele Burn-outs wie in anderen Berufen. 168 Tage bleibt eine Stelle in der Pflege im Schnitt unbesetzt. Paula, warum haben Sie sich trotzdem für diesen Beruf entschieden?

Ich bin ehrlich gesagt da mehr oder weniger reingerutscht. Es war das letzte Coronajahr und die Krankenhausbewegung sehr präsent. Als Linke hat mich das bewegt, was damals auf der Straße los war, und über den Walk of Care, einen Zusammenschluss von Beschäftigten in den Gesundheitsberufen, habe ich auch die schönen Seiten des Berufs kennengelernt.

Wie genau sieht die Pflegeausbildung in Deutschland aus? Welche Wege gibt es, und für welchen haben Sie sich entschieden?

Ich mache eine Ausbildung zur examinierten Pflegefachfrau bei einem gemeinnützigen Träger mit katholischen Leitsätzen. Diese dauert drei Jahre. Genauso wie die Ausbildung zur Pflegefachkraft, Altenpflegerin oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin. Diese Berufe werden inzwischen auch als duales Studium angeboten. Darüber hinaus gibt es noch Ausbildungen zur Pflegehilfskraft und zur Pflegeassistenz, die, je nachdem wo man sie macht, nur ein bis zwei Jahre dauern.

Das Profil an Ausbildungen ist also umfangreich was ist denn eigentlich Pflege?

Interview

Paula ist Auszubildende in der Pflege. Neben ihrer Ausbildung ist sie in der Stadtteilgruppe »Hände weg vom Wedding« aktiv. Sie möchte anonym bleiben.

Pflege ist der unterstützende Umgang mit Einschränkungen oder Problemen von Menschen. Als Pflegerin organisiere ich mit den Pflegebedürftigen eine möglichst bedarfsgerechte Unterstützung, indem wir zum Beispiel gemeinsam einen Pflegeplan erstellen. Manchmal muss ich auch an andere Strukturen verweisen, das ist dann schon eher sozialarbeiterische Tätigkeit. Im Großen und Ganzen geht es um die Gesundheitserhaltung. So viel in der Theorie, das scheitert natürlich an der gesellschaftlichen Realität.

Ist der Beruf nach wie vor weiblich geprägt?

In Europa war die Pflege historisch durch kirchliche Strukturen einer der ersten Ausbildungsberufe, den Frauen erlernen durften. Heute wählen Frauen sozialisationsbedingt immer noch häufig dieses Berufsfeld. Aber das ändert sich gerade. Die Arbeitsbedingungen sind so abschreckend und der Bedarf an Pflegenden steigt massiv, dass immer mehr Migrant*innen nach Deutschland geholt werden, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Dadurch ist das Feld nicht mehr so sehr weiblich geprägt.

»Triple Win« heißt das Programm, mit dem die Bundesagentur für Arbeit Pflegekräfte aus Bosnien-Herzegowina und den Philippinen nach Deutschland holt. Laut aktuellen Zahlen sind 95 Prozent der Pflegenden aus dem »Triple Win«-Programm mit den Arbeitsbedingungen in Deutschland zufrieden. Wie schätzen Sie einen gemeinsamen Kampf für bessere Arbeitsbedingungen mit Arbeitsmigrant*innen ein?

Also ich kenne Gastarbeiter*innen aus den Philippinen, die hier in einer Klinik arbeiten sollten und von dieser ihre Unterkunft gestellt bekamen. Für sie gab es keine Aufklärung über die Strukturen in Deutschland und eine schlechte Einarbeitung in den Klinikalltag. Die Sprachbarriere und die separate Unterbringung führten dazu, dass die anderen Beschäftigten sie nicht gleichwertig behandelten. Die Gastarbeiter*innen haben sich immer mehr segregiert, was natürlich einen Austausch über Arbeitsbedingungen mit den anderen Pflegenden einschränkte. Trotzdem sehe ich in Diversität eher Chancen für Arbeitskämpfe, weil viele Migrant*innen auch andere Methoden mitbringen. Man denke nur an die Beschäftigten beim Fahrradlieferdienst Gorillas mit den wilden Streiks – so was verändert die Dynamik total! Ich glaube auch, dass allein der auf der Arbeit erfahrene Rassismus schon Anlass ist, dass Leute sich zusammenschließen. Ob Migrant*in oder nicht, am Ende kommt es darauf an, ob die Kolleg*innen überhaupt verstanden haben, wie wichtig es ist, gemeinsam einen Arbeitskampf zu führen.

Personalmangel, mäßige Bezahlung und hohe Belastung machen die Pflege in Deutschland unattraktiv. Welchen Einfluss haben die Strukturen im Krankenhaus auf eure Arbeit?

Zuerst muss ich sagen, dass Deutschland rückschrittlich ist. Das Gesundheitssystem hat sich seit dem 19. Jahrhundert nicht reformiert. Man merkt in der Praxis zwar eine Veränderung in den letzten 20 bis 30 Jahren, wenn man mit älteren Kolleg*innen spricht. Fallpauschalen bleiben ein großes Problem und bestimmen unsere Arbeit. In der Pflege unterscheidet man zwischen Somatik und Psychiatrie. Letzteres ist ein multiprofessionelleres und mehr auf Augenhöhe stattfindendes Arbeiten zwischen Ärzt*innen und Pflegenden. In der Somatik hingegen läuft alles nach ärztlichem Plan, und die Sensibilität für psychiatrische Erkrankungen fehlt. Die Zielliegedauer bestimmt alles. Das heißt, dass wir den Auftrag haben, dass der Patient am Ende irgendwie »fit« ist, und das führt in der Praxis schon mal zu »blutigen Entlassungen«, sodass der Patient wieder ins Krankenhaus kommt. Die Struktur ermöglicht weder nachhaltige Pflege noch Gesundheit – weder für Patient*innen noch für die Beschäftigten.

Mit »Alarmstufe dunkelrot« wurde vor zwei Wochen auf die Insolvenz von 40 Kliniken in Deutschland aufmerksam gemacht. Diese steht in Zusammenhang mit einem fehlenden Inflationsausgleich und einer fehlenden Refinanzierung der Tariferhöhungen durch die Bundesregierung. Was erwarten Sie von parlamentarischer Seite für eine Verbesserung der Pflege-Ausbildung?

An dem Protesttag zur Klinikinsolvenz stand auch bei uns »Streik« im Stundenplan. Ich sehe das kritisch, weil diese Veranstaltung auf das sozialpartnerschaftliche Prinzip abzielt. Natürlich fordere auch ich mehr Geld vom Staat. Es braucht in erster Linie gut ausgebildete Fachkräfte, und dafür benötigt man eben Geld. Aber als Linke ziele ich natürlich auf einen strukturellen Wandel im Gesundheitssystem ab, der den Widerspruch zwischen guter Reproduktionsarbeit und Kapitalismus aufhebt. Gleichzeitig sehe ich das System seit mehr als zwei Jahren von innen – da fällt es schwer, an strukturelle Veränderungen zu glauben. Zwei Drittel meiner Klasse wollen nicht in der klassischen »Am Bett«-Pflege bleiben, weil es so schrecklich ist. Es gibt auch ein paar kämpferische Kolleg*innen mit guten Forderungen. Viele setzen sich für Tarifeinheit ein und kritisieren das Outsourcing logistischer Arbeiten.

Was bedeutet Outsourcing im Krankenhausbereich?

Die Küchen zum Beispiel – die Beschäftigen können nicht wissen, ob Patient*innen aufgrund ihrer Behandlung Einschränkungen wie Schluckstörungen haben. Auch Angriffe durch psychisch Kranke sind überfordernd, wenn du nicht darin ausgebildet wurdest, wie man in einer solchen Situation reagieren muss.

Was erwarten Sie von Gewerkschaften und Linken in der Pflegekrise?

Der Schlüssel liegt darin, neben dem Wahnsinnsbetrieb und der 40-Stunden-Woche politische Organisierung möglich zu machen. Natürlich gibt es im Gesundheitswesen aufgrund der Arbeitsbedingungen erst mal ein intrinsisches Interesse, diese zu ändern. Aber die Kolleg*innen landen auch schon ohne gewerkschaftliche Organisierung mit Burn-out in der Klinik. Trotzdem wächst das Bewusstsein, sich zusammenzutun und der Profitseite etwas entgegenzusetzen. Es fehlt nur ein starkes politisches Organ, das diese Bestrebungen bündelt. Von den Gewerkschaften würde ich mir wünschen, dass sie ihre Bereiche ausbreiten: Ambulante Einrichtungen und Langzeitpflege müssen auch angegangen werden. Da arbeiten Menschen noch prekärer, und der Organisierungsgrad ist geringer. Es ist natürlich wichtig, dass Verdi 2021 das gesellschaftliche Stigma, man könne in der Pflege nicht streiken, aufgebrochen hat. Jetzt muss die klassenkämpferische Linke mitziehen.

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