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Die Lehren aus dem ersten WM-Sieg der DFB-Frauen vor 20 Jahren

Erweckungserlebnis: 2003 gewannen die deutschen Fußballerinnen den ersten Titel

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 5 Min.
Umjubelte Premiere: Am 12. Oktober 2003 feierten die Frauen des DFB ihren ersten WM-Titel.
Umjubelte Premiere: Am 12. Oktober 2003 feierten die Frauen des DFB ihren ersten WM-Titel.

Jubeln konnten am Dienstagabend die Fußballerinnen von Eintracht Frankfurt: Mit einem 5:0-Sieg im Hinspiel der zweiten Qualifikationsrunde zur Champions League gegen die Frauen von Sparta Prag ist ein großer Schritt zur ersten Teilnahme des Klubs an der Gruppenphase gemacht. Ausgerechnet der VfL Wolfsburg muss darum zittern. Mit einem 3:3 beim Paris FC schrammte der deutsche Vizemeister mit etwas Glück an einer Niederlage vorbei; Anfang Juni spielten die Wolfsburgerinnen noch im Finale der Champions League und verloren nur knapp mit 2:3 gegen den FC Barcelona.

Der deutsche Vizemeister steht damit wie das Nationalteam auch ein wenig für die Probleme im deutschen Fußball der Frauen. Wie im DFB-Trikot glänzte auch in Paris wieder einmal Alexandra Popp, die mit zwei Treffern das Remis rettete. Nia Künzer hat eine Erklärung dafür: »Aktuell gehen uns die Leader und Typen ab, Spielerinnen mit der Fähigkeit, Widerstände zu überwinden. Da ist noch Alex Popp zu nennen, aber ansonsten? Wir haben diese Siegermentalität und die Ausstrahlung ein wenig verloren.« Die heute 43-Jährige weiß, wovon sie spricht. Vor 20 Jahren gewann sie mit dem DFB-Team den ersten WM-Titel.

Alle Protagonistinnen von damals sind sich einig, dass erst die besondere Mischung von Charakteren den Erfolg möglich machte. Geeint war das Ensemble vom Ehrgeiz, unbedingt gewinnen zu wollen. Gerade deshalb könnte die aktuelle Generation, die sich im Sommer bei der WM in Australien und Neuseeland historisch früh in der Vorrunde verabschiedete, von den Weltmeisterinnen 2003 einiges lernen.

An diesem Donnerstag jährt sich der historische Titelgewinn zum 20. Mal. Künzer denkt besonders gern daran zurück. Denn der Höhepunkt war ihr Golden Goal im Finale gegen die Schwedinnen, als sie sich zehn Minuten nach ihrer Einwechslung in die Luft schraubte und in der 98. Minute das 2:1-Siegtor gegen Schweden köpfelte. Der Tiefpunkt folgte für die katapultartig ins Rampenlicht beförderte Fußballerin nur zwei Monate später, als zum vierten Mal ihr Kreuzband riss. »Meine Karriere in der Nationalmannschaft war damit letztendlich beendet. Einfach so, von heute auf morgen.« Mit der Verletzung wurde sie auf einen Schlag auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Und in jungen Jahren reifte die Erkenntnis: »Die Welt dreht sich weiter – auch ohne mich. Trotz Finaltor. Und das geht schneller, als alle denken. From hero to zero sozusagen.«

Mehr als der »flüchtige Moment« auf dem Rasen im kalifornischen Carson hätten sich die Fernsehbilder in ihr Gedächtnis gebrannt, erzählte Künzer jüngst dem »Kicker« mit Blick auf das Jubiläum: »Wie sich Idgie (Spitzname von Renate Lingor, Anm. d. Red.) die Haare zurechtrückt, meinen Namen ruft. In Frankfurt hatten wir es auch so praktiziert und in der Vorbereitung wahnsinnig viel trainiert. Das war kein reiner Zufall.« Auf den Freistoß und auch den Kopfball, später zum »Tor des Jahres« gekürt, war die Fußballerin vom 1. FFC Frankfurt irgendwie vorbereitet, nicht aber darauf, was danach auf sie einprasselte. Plötzlich stand eine unbekümmerte Sportlerin, aufgewachsen in Wetzlar, im Mittelpunkt der medialen Nachbetrachtung.

Das »Golden Girl« tingelte von Sender zu Sender, von Interview zu Interview, und schnell entstand der Eindruck, als habe im deutschen Team nicht ein Rädchen ins andere gegriffen, sondern eine allein das große Rad gedreht. Künzer, die heute in Gießen ein großes Dezernat für Flüchtlingsangelegenheiten leitet, spürte alsbald eine »gewisse Befangenheit im Miteinander«, wie sie in ihrem mit dem ARD-Reporter Bernd Schmelzer verfassten Buch »Warum Frauen den besseren Fußball spielen« schrieb. Neid und Missgunst spielten plötzlich unterschwellig mit, zumal sie trotz ihres Managers Siegfried Dietrich erst nicht so recht wusste, wie sie mit den Anfragen von TV-Shows und Sponsoren umgehen sollte. Die Folge: »Ich war mir auf einmal unsicher im Umgang mit Spielerinnen, die ich teilweise ja schon jahrelang gekannt hatte. Da stimmte plötzlich die Chemie nicht mehr.« Der Erfolg hatte auch Schattenseiten.

Dass zwei Jahre nach dem fünften EM-Titel, übrigens auch durch ein Golden Goal von Martina Müller im Finale gegen Schweden errungen, erstmals der WM-Pokal nach Deutschland ging, hatte ein völlig ungeahntes Interesse erzeugt. Für den Fernsehmarkt in Europa wurde das Endspiel 10 Uhr morgens Ortszeit angestoßen; um fünf in der Frühe krochen die deutschen Spielerinnen aus ihren Betten in einem Industriegebiet und wärmten sich in Dunkelheit auf einem Parkdeck auf. Die Frühschicht an der US-Westküste sollte sich lohnen: 13,58 Millionen schalteten an jenem Sonntagabend bei der ARD ein, die dafür sogar den »Tatort« verschieben musste, weil es ja in die Verlängerung ging. Viele Stammseher reagierten mit wütenden Anrufen und zornigen Leserbriefen, denn der Fußball der Frauen fristete medial eher noch ein Mauerblümchendasein.

Seitdem hat sich viel verändert. Künzer hat die Entwicklung intensiv verfolgt, bis zum Sommer war sie als ARD-Expertin tätig. Auch sie hofft auf neue Erfolge; eine Rückkehr der erkrankten Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hält sie dabei aber für »sehr unwahrscheinlich«. Über ihre direkten Drähte weiß sie: Da hat jemand die vertrauensvolle Verbindung zum Team verloren. Und Horst Hrubesch sei für den DFB ja »eine gute Zwischenlösung«.

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