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Hüterin des Regenwaldes
Jani Silva setzt sich in Kolumbien für Umweltschutz ein – und lebt deshalb gefährlich
Jani Silva steht in der Tür des kleinen Hauses in dem Stadtteil Villa Rosa von Puerto Asís. Zwei- bis dreigeschossige Häuser prägen das Viertel. Es dämmert, nur wenige Menschen sind noch auf den Straßen. Normalerweise hat die Umweltaktivistin um diese Zeit schon die Tür geschlossen. »Ich lebe hier seit Oktober 2020, weil ich in meinem Dorf Bayo Cuembí nicht mehr sicher war. Allerdings sind auch hier in der Nachbarschaft schon dubiose Typen aufgetaucht, die nach mir gefragt haben«, so die kräftige Frau mit dem zurückgesteckten, zum Pferdeschwanz gebundenem Haar.
Silva ist das Gesicht von Adispa, einer Vereinigung zur nachhaltigen Entwicklung Amazoniens. Der im Jahr 2000 gegründeten Organisation gehören rund 800 Bäuerinnen und Bauern an, die in der an Ecuador grenzenden Amazonasregion Kolumbiens leben. Sie treten für eine nachhaltige, ökologische Landwirtschaft ein, werben für den Erhalt der Amazonasregion und sind damit bewaffneten Akteuren ein Dorn im Auge. »Vor fünf, sechs Jahren tauchten die ersten mit «Los Comandos de la Frontera» unterzeichneten Pamphlete in den Dörfern rund um Bayo Cuembí auf«, erinnert sich Silva. Mehr als kleine Weiler mit kaum mehr als hundert Einwohnern sind es nicht, die in der meistens nur per Boot erreichbaren Amazonasregion liegen. Die Bewohner leben meistens vom Anbau von Feldfrüchten und Kakao sowie von der Viehzucht, dem Fischfang und den Kokablättern. Aus denen wird in einem chemischen Verfahren Kokain gewonnen.
Auch Jani Silva, die 1992 in die Region zog, hat früher Koka angebaut. Auf der kleinen Farm, die sie mit ihrem Ehemann Hugo Miramar in Bayo Cuembí aufbaute. Bis Oktober 2020 lebte sie dort, musste aber die 45 Rinder, Gänse, Hühner und etliche ihrer Bienenstöcke verkaufen, weil die Sicherheitslage ihr keine andere Wahl ließ. Bis dahin war sie zufrieden mit ihrem Leben als Kleinbäuerin und Koordinatorin von Adispa. Heute vermisst sie den Sonnenaufgang über dem Río Putumayo und den Bergen dahinter. Nur selten hat sie sich das frühmorgendliche Schauspiel entgehen lassen, dabei meist ihren ersten dampfenden Kaffee geschlürft. Sie träumt oft davon, zurückzukehren.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Doch das ist derzeit kaum möglich, denn die schwerbewaffneten Freischärler der paramilitärischen Organisation »Los Comandos de la Frontera« (auf Deutsch »Die Grenzkommandos«) haben die Region unter ihrer Kontrolle, und der Name Jani Silva steht ganz oben auf ihrer Todesliste. Mehrfach musste die Umweltaktivistin vor den schwerbewaffneten Patrouillen der Paramilitärs fliehen. Sie kletterte schon aus einmal aus dem Fenster und suchte Schutz bei Nachbarn.
Der Grund für die Verfolgung liegt auf der Hand. Denn Jani Silva setzt sich wie Adispa dafür ein, dass die Kokapflanze in der Region zurückgedrängt wird. Dabei ist Koka noch immer für viele Bauern das wichtigste Produkt, weil es ein sicheres Einkommen verspricht und billiger zu transportieren ist als Lebensmittel. Gute Gründe, weshalb auch Jani Silva einige Jahre Koka anbaute. Aber das ist vorbei. Dafür ist Padre Alcides Jiménez verantwortlich. »Er hat mir die Augen geöffnet, welche Folgen Koka für Umwelt und Gesellschaft hat. Deshalb habe ich den Anbau vor rund fünfzehn Jahren eingestellt.« Seitdem wirbt die ruhig und herzlich auftretende Frau für alternative Produkte wie die Bienenzucht und den Kakaoanbau. Das aber widerspricht den Interessen der Paramilitärs, die den Koka-Schmuggel in der Region kontrollieren. Deshalb ist Jani Silva in den Fokus der bewaffneten Banden geraten.
Ein weiterer Grund ist vermutlich, dass Adispa mehrere Anzeigen wegen der Verschmutzung von Flüssen und Quellen in der Nähe der Bohrlöcher des chilenisch-britischen Erdölkonzerns Amerisur gestellt hat. »Mit den Anzeigen begannen die Drohungen«, erinnert sie sich. »Ein Sprecher der Paramilitärs, Leonel, hat behauptet, dass sie einen Vertrag mit dem Erdölunternehmen hätten. Sie würden dafür sorgen, dass Amerisur in Ruhe arbeiten könne«. Für Jani Silva und ihrer Bauernorganisation heißt das nichts Gutes, auch wenn das Erdölunternehmen jeglichen Kontakt mit den Grenzkommandos abstreitet.
Im Januar 2021 wurde Amerisur von dem Unternehmen Geo Park Limited aus Chile übernommen. An der bedrohlichen Lage von Jani Silva hat sich jedoch nichts geändert. Im Gegenteil: Im Juli 2022 registrierte die kirchliche Menschenrechtsorganisation »Justicia y Paz« ungewöhnliche Aktivitäten rund um das Haus der Umweltaktivistin in Puerto Asís. Potenzielle Anschlagsvorbereitungen mutmaßte das Team von »Justicia y Paz« und brachte Jani Silva nach Bogotá. In einer Presseerklärung hat die Organisation gefragt, warum die Polizei und die in der Region stationierte Militärbrigade XXVII die paramilitärische Bande gewähren lassen? Eine Antwort der damals noch verantwortlichen Regierung des erzkonservativen Iván Duque blieb aus, denn die setzte anders als die Regierung des amtierenden Präsidenten Gustavo Petro auf die Ausbeutung der Rohstoffe.
Die Bauernorganisation Adispa ist in der Region zu einem wichtigen Akteur geworden. Im Dezember 2000 erhielt sie den Status einer bäuerlichen Schutzzone vom Institut für ländliche Entwicklung und das Nutzungsrecht über 22 000 Hektar Regenwald. Dafür hatte sich Silva lange eingesetzt. Von diesem Status hat sie sich Schutz von der Regierung, Rechtssicherheit und internationale Anerkennung versprochen. Ein nachhaltiges Nutzungskonzept für die Flächen, Wiederaufforstung und Bewahrung der Artenvielfalt in der vom Regenwald dominierten Region des Bajo Putumayo gehören ebenso wie der Bio-Anbau zum Adispa-Konzept. Alternative Anbauprodukte sollen die Bauern davon überzeugen, aus dem Anbau der lukrativen Koka-Sträucher auszusteigen.
Das ist derzeit wahrscheinlicher als noch vor wenigen Jahren, denn der Preis für die Pasta básica, die aus den Blättern gewonnene Rohware, ist um bis zu 75 Prozent eingebrochen. Experten führen das auf die Politik der Regierung Petro zurück, die durch die Festnahme zahlreicher Drogenkapos, aber auch durch die Strafverfolgung etlicher in den Drogenhandel involvierter Militärs die Strukturen des Drogenhandels durcheinandergebracht hat. Hinzu kommt, dass der Markt für Kokain aufgrund des in den USA immer weiter verbreiteten Fentanyl, einer chemischen, extrem starken Droge, einbricht. Das führe dazu, dass die Nachfrage nach Pasta básica in Anbauregionen wie Putumayo oder dem benachbarten Nariño deutlich geringer sei, erklärt Silva. Die Mutter von vier Kindern und Großmutter von acht Enkeln hofft, dass die Regierung jetzt die Chance ergreift und den Bauern beim Umstieg auf Alternativen zum Koka-Anbau unter die Arme greift.
Vor einigen Tagen kehrte Silva auf ihre Farm zurück – begleitet von drei Bodyguards und einer rund 30 Leuten zählenden Bauerndelegation. Vor Ort mit den Betroffenen zu diskutieren, sich ein Bild der Situation zu machen, war das Ziel der Stippvisite in der rund drei Bootsstunden von Puerto Asís liegenden Gegend rund um Bayo Cuembí. Dort ist die in Kolumbiens Amazonasstadt Leticia geborene Frau, die als 12-Jährige mit ihrer Mutter in die Region von Puerto Asís kam, eine angesehene Stimme des Wandels.
Schon als 16-Jährige begann sie sich in Kleinbauern-Organisationen zu engagieren. Ihr Vorteil: Sie konnte lesen und schreiben, machte 1998 ihr Abitur und studierte anschließend Anthropologie. Danach gründete sie Adispa mit und wurde deren Präsidentin. Die Vereinigung will Perspektiven für die nachfolgende Generation aufzeigen und bietet Workshops zur eigenen, bäuerlichen Identität an. Oft war Silva mit Kindern und Jugendlichen auf den Farmen und in der Natur unterwegs. All das ist der 60-Jährigen, die für mehrere internationale Umweltpreise nominiert war, bis heute ein Anliegen, und sie hofft, irgendwann auch zurück nach Bayo Cuembí zu können.
Ob ihr Traum aufgeht, den Sonnenaufgang am Río Putumayo wieder zu genießen, wird sich vermutlich bald zeigen. Einige Veranstaltungen von Adispa sind nämlich in Bayo Cuembí geplant. Wenn alles friedlich bleibt, überlegt sie ernsthaft, zurückzukehren. Wenn nicht, muss sie weiter im ungeliebten Puerto Asís zusammen mit ihren beiden Hunden bleiben.
Der jüngste Bericht der internationalen Nichtregierungsorganisation »Global Witness« über Angriffe auf Umweltaktivist*innen ist alarmierend. Im Jahr 2022 wurden laut dem Bericht, der im September veröffentlicht wurde, mindestens 177 Land- und Umweltschützer*innen getötet. Auf Lateinamerika entfielen 88 Prozent dieser Morde, mehr als ein Drittel aller tödlichen Attentate gab es in Kolumbien mit 60 Morden. Im Vorjahr waren es noch 31 Tötungen. Kolumbien ist dem Bericht zufolge für Aktivist*innen wie Jani Silva noch vor Brasilien und Mexiko das gefährlichste Land der Welt. »Auch wenn die Gesamtzahl der Morde an Umweltaktivist*innen im letzten Jahr etwas niedriger ist als 2021 (200 Morde), hat sich die Situation nicht wesentlich verbessert«, schreibt die Organisation in einer Mitteilung. »Die Verschärfung der Klimakrise und die wachsende Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten, Brennstoffen und Mineralien verstärken den Druck auf die Umwelt und diejenigen, die ihr Leben für ihren Schutz riskieren.«
Agrarindustrie, Bergbau und Holzeinschlag seien die Sektoren, die mit den meisten Morden in Verbindung gebracht werden. In Kolumbien tut sich die neue Regierung von Gustavo Petro schwer damit, Aktivist*innen wie Silva zu schützen, kritisieren Nichtregierungsorganisation wie »Tierra Digna«. Sie verweist darauf, dass gerade in ländlichen Regionen die Angst umgeht, und Aktivist*innen mit ihren Familien in die Städte ziehen. Besonders betroffen seien Angehörige indigener Gemeinschaften. Das spiegeln auch die Zahlen von »Global Witness«: Zwar habe die Regierung Gespräche organisiert, an denen neben 14 indigenen Gemeinschaften sowie verschiedene Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen teilnehmen, aber selbst dabei seien Teilnehmende bedroht worden, kritisiert Diana Álvarez von »Tierra Digna«. Sie appellierte an die Justiz zu ermitteln, Klagen nachzugehen und die Straflosigkeit zu beenden. khe
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