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Luc Besson: »Jeder weiß, was es heißt zu leiden«

Regisseur Luc Besson über die Arbeit an seinem Film »Dogman«, in dem sich ein Mann mit Hunden besser versteht als mit Menschen

  • Interview: Susanne Gietl
  • Lesedauer: 6 Min.
Douglas »Doug« Munrow (Caleb Landry Jones) trägt den Hund schon im Namen.
Douglas »Doug« Munrow (Caleb Landry Jones) trägt den Hund schon im Namen.

Luc Besson, in Ihrem Film »Dogman« wird ein Kind von seinem Vater auf unvorstellbare Weise verstoßen und in einen Hundezwinger geworfen. Ist es richtig, dass die Idee dafür auf einem Zeitungsartikel basiert?

Ja, die Meldung hat mich nicht losgelassen. Seit ich 17 Jahre alt bin, schreibe ich jeden Morgen gegen halb vier, fünf Uhr ein paar Seiten. In diesen paar Stunden lege ich Musik auf und trinke Tee. Ich habe also an dem Morgen, als ich die Meldung las, überlegt, was mit dem Kind passiert ist oder passiert sein könnte und wie ich das überleben würde. Und so war die Figur des Doug geboren.

Für Doug liegt die Lösung in einem Zitat von Alphonse de Lamartine: »Wo auch immer sich jemand unglücklich fühlt, schickt Gott einen Hund.« Warum spielt Gott eine so große Rolle?

Bei jedem, der leidet, gibt es immer einen Moment, in dem man zum Himmel schaut und sagt: »Was willst du mir damit sagen? Gib mir eine Antwort!« Am Ende musst du die Antwort selbst finden. Das ist der Geist von Religion. Auch wenn ich selbst nicht gläubig bin, habe ich großen Respekt vor Menschen, die glauben.

INTERVIEW
Dogman Premiere Luc Besson attending the Dogman Premiere at UGC ...

Luc Besson, geboren 1959 in Paris, ist ein französischer Filmregisseur, Filmproduzent und Autor, bekannt für Filme wie »La femme Nikita« (1990), »Léon – Der Profi« (1994) oder »Das fünfte Element« (1997). In den 1980er und 1990er Jahren zählte Besson neben Jean-Jacques Beineix and Leos Carax zu den Regisseuren des »Cinéma du look«. Ihre Filme zeichnete eine besonders künstliche Gestaltung von Kulissen und Handlungsorten aus, der Stil war wichtiger als das Narrativ.

Lincoln Powell verkörpert den jungen Doug. Man sagt, am schwierigsten sei es, mit Tieren und mit Kindern zu arbeiten. Sie haben für Ihren Film mit Kindern und Hunden gleichzeitig gedreht.

Es ist nicht so, dass ein Künstler etwas nicht macht, weil es schwierig ist. Das Gegenteil ist der Fall.

Hatte Lincoln Powell eine ähnliche Einstellung?

Der Junge war sehr gut! Er hatte noch nie zuvor gespielt. Aber es gab eine Möglichkeit, ihm zu helfen. Alle Szenen, die Powell spielt, hat Caleb Landry Jones, der den erwachsenen »Dogman« verkörpert, zuerst gespielt. Ich habe Caleb dabei gefilmt und so hatte der Junge ein Vorbild, wie er sich bewegen soll. Lincoln folgte Calebs Beispiel fast wie ein kleines Tier, ohne den ganzen Film zu kennen. Am Ende haben wir Lincoln mit Calebs Stimme synchronisiert und die Tonhöhe verändert, um Calebs Stimme jünger zu machen. Sogar die Augenfarbe haben wir so bearbeitet, dass beide exakt das gleiche Blau haben. Das alles, damit man wirklich davon überzeugt ist, dass es sich um dieselbe Person handelt.

Warum war Caleb Landry Jones der Richtige für die Rolle?

Von Anfang an hat er mit mir viel über das Drehbuch und seine Rolle gesprochen und viele Fragen gestellt. Er wollte wissen, wie wir mit fünf oder sechs Personen und 80 Hunden drehen können. Ich sagte: »Szene für Szene. Wir setzen Stein auf Stein und vielleicht haben wir in einem Jahr ein Haus gebaut.« Er fragte mich auch, wie Doug laufen wird, wenn er aus seinem Rollstuhl aufsteht. Ein Professor hat uns Filme von Leuten gezeigt, die angeschossen wurden. Wir haben studiert, wie sie sich bewegen. Es macht einen Unterschied, welcher Rückenwirbel von der Gewehrkugel getroffen wurde. Zum Beispiel kann man, wenn der neunte Wirbel betroffen ist, den linken Arm nicht mehr bewegen. Wir haben uns also diese Filme angesehen und daraus erarbeitet, wo sich die Kugel bei Doug befindet und wie sich Doug bewegt. Caleb und ich haben tagelang geübt, damit es auch glaubwürdig ist.

Wie haben Sie sich gemeinsam mit Caleb Landry Jones den Hunden genähert?

Caleb und ich haben zwei Monate lang jeden Morgen eine halbe Stunde mit ihnen verbracht. Sie springen dich alle an, schlecken dich ab und danach bist du echt ziemlich durch. Am Set haben sich die Hunde dann gefreut, uns zu sehen. Sie kannten uns und so war es einfacher, mit ihnen zu arbeiten. In einer Szene zum Beispiel hatte Caleb so viel Schmerz in seinem Gesicht, dass ein Hund von selbst zu ihm kam und ihn liebkoste. Allerdings gab es auch Tiere, die komplizierter im Umgang waren: Wir hatten vier amerikanische Hunde-Stars, die mit ihrem eigenen Trainer aus Los Angeles gekommen waren und nicht mit den anderen spielen wollten.

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Sie haben mit über 80 Hunden gefilmt. Das ist Wahnsinn!

Es hat ein paar Tage gedauert, um mit der überbordenden Energie von 85 Hunden zurechtzukommen. Meine Produzentin [Bessons Ehefrau Virginie Besson-Silla, Anm. der Red.] war sehr besorgt und sagte nach drei Tagen: »Das schaffst du nie. Du wirst gegen Wände rennen.« Ich aber sagte: »Gib mir ein paar Tage. Dann schauen wir weiter.« In der Vergangenheit hatte ich mit Mantarochen, Delfinen und Walen zu tun. Und glauben Sie mir: Das ist schwieriger als die Arbeit mit einem Hund! Einen Mantarochen kann man schwer bitten, nach links abzubiegen.

Doug lebt mit seinen Hunden zusammen, die für ihn stehlen und sogar töten. Wie würden Sie Doug beschreiben?

Ein kleines bisschen Doug steckt in jedem von uns. Jeder weiß, was es heißt zu leiden. Aus Doug kristallisiert sich unheilvoll der Schmerz eines jeden heraus, weil niemand mehr Schmerz in sich trägt als Doug. Aber er entscheidet sich nicht für Rache. Es gibt eine Stelle im Film, in der Doug sagt: »Du nimmst die Zuneigung, wo auch immer du sie findest. Wenn du keine Eltern hast, dann vielleicht bei einer Freundin, einem Freund, einem Hund.« Das beschreibt es ganz gut. Die Hunde von Doug sind wie Zerberus, den Gott geschaffen hat, um denjenigen zu schützen, der in der Hölle sitzt. Jeder denkt, Doug sei ein Monster. Stattdessen sind es die, die ihn umgeben.

Frauen prägen Doug Munrows Leben. Früh trifft er auf Selma, die ihm zeigt, dass er alles darstellen kann, was er möchte. Später steht Doug als Dragkünstler unter anderem als Marilyn Monroe oder Edith Piaf auf der Bühne und im Gefängnis spricht er mit einer Psychologin offen über sein unglaubliches Leben. Haben Sie den Film den Frauen gewidmet?

Ich widme meine Filme seit 40 Jahren den Frauen! Ich wurde von meiner Mutter und meiner Großmutter großgezogen. Das prägt einen. Was ich an Frauen liebe, ist, dass sie in diesem kleinen Körper stecken und zerbrechlich aussehen, aber in Wirklichkeit sind sie Kriegerinnen. Männer hingegen sehen stark aus, aber sie sind so schwach. Ich interessiere mich für die Stärke der Frauen und die Schwäche der Männer. Wenn man mich bitten würde, eine Fortsetzung von »Terminator« zu machen, dann würde ich ablehnen. Es sei denn, Terminator fängt an zu weinen und sagt: »Ich vermisse meine Mama.«

»Dogman«; Frankreich, USA, 2023. Regie und Buch: Luc Besson. Mit: Caleb Landry Jones, Jonica T. Gibbs, Clemens Schick, Christopher Denham. 113 Min. Jetzt im Kino.

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