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Kein Wohlfühlregime
Rüdiger Hachtmann hat das NS-Reichsarbeitsministerium unter die Lupe genommen
Jahrzehntelang redeten sich die bei Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 wieder eingerichteten Ministerien und andere zentrale Verwaltungen heraus, es handele sich bei ihnen um einen Neuanfang. Mit der Zeit bis 1945 habe man fast nichts zu tun. Dieses Märchen ist schon lange zerbröckelt. Im Gefolge der Generationswechsel in den Behörden, aber auch angesichts internationalen Drucks und vielleicht auch infolge der Verschiebungen, die die Eingliederung der DDR mit sich brachte, ist es seit den 90er Jahren gleichsam eine Mode geworden, die Vergangenheit dieser Einrichtungen durch Historikerkommissionen untersuchen zu lassen. Die Ergebnisse machten vielfache Kontinuitäten zur Nazi-Zeit deutlich – und vor allem die eiserne Entschlossenheit ab 1949, diese zu beschweigen.
Eine Reihe dieser Studien rief großes Echo hervor, wie man beispielsweise auch in dieser Zeitung über diejenige zum Auswärtigen Amt lesen konnte. Und so richtete auch das Bundesarbeitsministerium eine Kommission zu seiner Vergangenheit ein, die mehrere Untersuchungen vorlegte: Neben einer Reihe von Arbeiten zu zentralen Handlungsfeldern des sogenannten Reichsarbeitsministeriums auch einen zusammenfassenden Sammelband, der – wie im Titel angedeutet – »Verwaltung, Politik, Verbrechen«, die mit der Aktivität dieses Ministeriums und seiner nachgeordneten Behörden verbunden waren, anhand von dreizehn Überblicksartikeln darstellte. Auch dieser Band ist seinerzeit im »nd« (2018) vorgestellt worden.
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Jetzt liegt eine gleichsam abschließende Veröffentlichung durch den lange Jahre am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung tätigen Historiker Rüdiger Hachtmann vor. Sie nimmt die institutionelle Entwicklung dieses Ministeriums in den Blick. Das beinhaltet neben der Verwaltungsgeschichte vor allem die Untersuchung seines Personals, insbesondere einer Reihe von Schlüsselpersonen. Bereits in der Einleitung erklärt der Autor, dass eine »Verinselung« der Darstellung auf die Zeit der Nazi-Diktatur die Geschichte dieses Ministeriums nicht wirklich erfassen würde – wegen der zahlreichen Kontinuitäten von der Kaiserzeit auch zur Weimarer Republik, was nur wenig durch die neue Herrschaft ab 1933 geändert werden mussten.
Auch nach der Novemberrevolution 1918 blieb für dieses Ministerium aufgrund der Koalitionspolitik der SPD mit den bürgerlichen Parteien wie in fast allen Ministerien die alte vom Kaiserreich übernommene Bürokratie bestimmend, die auch die Sozialdemokratie trotz ihrer großen Zahl erfahrener sozialpolitischer Praktiker, insbesondere in den Gewerkschaften, mit wenigen Ausnahmen nicht grundlegend infrage stellte. Zudem gab die SPD das Ministerium sogar schon nach zwei Jahren aus der Hand und überließ es lange einem Politiker der katholischen Zentrumspartei. Dies wirft auch ein Schlaglicht auf den behaupteten reformistischen Anspruch der Sozialdemokratie und der ihr nahestehenden Gewerkschaften, denn wo hätte sich ein solcher besser bewähren können als in diesem Ministerium? Unter diesen Umständen überraschte es nicht, dass das Arbeitsministerium den massiven Sozialabbau in der Weltwirtschaftskrise ab 1929 führend mitgestaltete. So gab es dann statt eines Bruchs einen vergleichsweise weichen Übergang in die Nazi-Diktatur.
Der Hauptteil der Untersuchung befasst sich mit der konkreten Tätigkeit im Rahmen der faschistischen Diktatur. Die wenigen personellen Änderungen zeigten, dass man sich umgehend anpasste. Viele Beamte wurden nach einiger Zeit Mitglieder der NSDAP, aber auch im Fall von Nichtmitgliedschaft hatte das keine Auswirkungen auf ihre Tätigkeit. Zwar war der neue Minister Franz Seldte, da über den völkischen Frontkämpferverband »Stahlhelm« 1933 zur Regierung gestoßen, eher eine Randfigur in der Nazi-Hierarchie. Doch garantierte er umgehend die gestaltende Teilnahme am Ausbau der Diktatur durch die für ihre technische Expertise notwendigen Fachleute des Ministeriums und seiner Behörden. Mit den sogenannten »Treuhändern der Arbeit« leistete man nach dem Gewerkschaftsverbot »Ersatz« für die Tarifpolitik und setzte eine rigorose Arbeitsdisziplin in den Betrieben durch. Mit zunehmender Rüstungsproduktion wurden die »letzten Arbeitskraftreserven« bei gleichzeitiger Verschärfung der Rationalisierung mobilisiert – eine Einübung für das, was ab Kriegsbeginn im besetzten Europa durch das Instrument der Zwangsarbeit massiv ausgeweitet und rassistisch radikalisiert wurde. Fallstudien zu Österreich und Polen weisen das deutlich nach.
Zwar stand das Ministerium in einer gewissen Konkurrenz zu der nach Zerschlagung der Gewerkschaften eingerichteten »Deutschen Arbeitsfront« mit ihrer faktischen Zwangsmitgliedschaft. Und mit der Verschärfung des Kriegseinsatzes wurden bestimmte Tätigkeitsfelder unter Umgehung des Ministeriums Schlüsselfiguren aus dem innersten Nazi-Führungszirkel anvertraut, so etwa einem »Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz« und einem Verantwortlichen für den unter den Kriegsbedingungen eh mehr planerisch relevanten Wohnungsbau. Diese scheinbare Zersplitterung war ein für Hitler typisches Machtmittel, um die Stützen seiner Herrschaft gegenseitig »auszubalancieren«. Hachtmann weist nach, dass das Verhältnis dieser verschiedenen Einrichtungen eine »konkurrenzgetriebene Kooperation« war. Aus dem Ministerium kam im Zweifelsfall das nötige Know-how auch für dessen scheinbare Gegenspieler innerhalb des Regimes. So funktionierte es als organischer Bestandteil der Diktatur bis zu ihrem Untergang.
Nach 1945 war das schnell vergessen. Man setzte den »Mythos von der eigenen Unschuld«, so Hachtmann, in die Welt und ermöglichte dadurch vielfache »ungebrochene Karrieren«. Das konnte auf einem unversehrten Antikommunismus aufbauen, selbst wenn man nun nach den Gesetzen der »sozialen Marktwirtschaft« vorging. Der Wirtschaftsaufschwung funktionierte ja so gut, weil er auf dem durch Zwangsarbeit und Ausplünderung bis 1945 geschaffenen Kapitalstock – zum Kriegsende der modernste in Europa – aufbauen konnte. Und die Forderungen nach Entschädigung für Zwangsarbeit konnte die Bundesrepublik bis in die 90er Jahre abwenden. Das wird von Hachtmann leider nicht diskutiert. Doch es wäre interessant zu wissen, welche Rolle dieses bundesrepublikanische Ministerium dabei gespielt hat.
Hachtmanns Studie ist wahrlich monumental, aber in seiner Detailfülle auch der Bedeutung des Themas angemessen. Eine solche Untersuchung liest man auch nicht an einem Stück, sie hat eine Funktion als Nachschlagewerk. Als wissenschaftliche Studie wird sie sicherlich nur einen begrenzten Kreis erreichen. Es wird interessant sein, auf welches Echo Hachtmanns prononcierte Darlegungen in der Fachwelt stoßen werden. Doch es kommt vor allem darauf an, ihre Erkenntnisse in die politische Bildung und das allgemeine Geschichtsbewusstsein zu tragen. Denn sie zerfetzen die Mythen über die »Volksgemeinschaft« der Nazis, ein angebliches Wohlfühlregime. Alle Maßnahmen der Arbeitsverwaltung dienten der maximalen Unterwerfung der Arbeitskraft unter die Kapitalverwertung und waren zudem rassistisch durchdrungen.
Rüdiger Hachtmann: Vom Wilhelminismus zur Neuen Staatlichkeit des Nationalsozialismus.
Das Reichsarbeitsministerium 1918–1945.
Wallstein, 2 Bde., 1494 S., geb., 84 €.
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