Chemnitz: Endlich ein Gedenkort in der Täterstadt

Initiative stellt Konzept vor, wie in Chemnitz an die Opfer des NSU erinnert werden soll

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Das NSU-Trio kam im Januar 1998 nach Chemnitz. Die Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bezogen eine Wohnung im Fritz-Heckert-Gebiet. In ihrer Heimatstadt Jena waren ihnen Ermittler der Polizei auf der Spur; in der sächsischen Großstadt tauchten sie mit Hilfe von Gesinnungsgefährten etwa aus dem Neonazi-Netzwerk Blood & Honour unter. 30 Monate lebten sie in der Stadt, bevor sie nach Zwickau weiterzogen; hier begingen sie erste Raubüberfälle und legten die Grundlagen für ihre spätere Mordserie, der neun Geschäftsleute mit Migrationshintergrund und eine Polizistin zum Opfer fielen. Chemnitz, sagt Arlo Jung von der Initiative Re:member the future (etwa: Erinnere dich an die Zukunft), sei »ihre Operations- und Planungsbasis« gewesen und ein »Ort für weitere Vernetzung«.

Ein knappes Vierteljahrhundert nach dem ersten Mord und zwölf Jahre nach der »Selbstenttarnung« des NSU-Trios ist Chemnitz indes auch eine Stadt, in der es keinen Ort des Gedenkens gibt. Tatsächlich sei es sogar »deutschlandweit der einzige Ort mit NSU-Bezug, der (...) nicht an die Betroffenen der rechten, rassistischen und antisemitischen Gewalt erinnert«, beklagt die Initiative. In den Heimatstädten der Opfer wird die Erinnerung an diese ohnehin wachgehalten. Aber auch Jena und Zwickau, die beiden anderen »Täterstädte«, ehrten die Opfer mit Straßennamen und Baumpflanzungen. In Chemnitz obliegt das Gedenken bisher dagegen vor allem der Zivilgesellschaft und namentlich Künstlern und Aktivisten rund um den Verein ASA-FF, die Spaziergänge, Theaterfestivals und die Ausstellung »Offener Prozess« organisierten. Sie haben jetzt auch das Konzept für einen Gedenkort vorgelegt.

Dass dieser notwendig ist, begründet die Initiative nicht zuletzt mit der »Kontinuität« von rechten Strukturen und rechter Gewalt in Chemnitz. Verwiesen wird auf die Ausschreitungen im Sommer 2018, auf die damals entstandene Terrorzelle »Revolution Chemnitz«, die zum Bürgerkrieg aufstacheln wollte, auf flüchtlingsfeindliche Aufmärsche im Stadtteil Einsiedel und rechte Strukturen in der Fanszene des Fußballvereins Chemnitzer FC. Noch immer gebe es eine »gesamtgesellschaftliche Unterschätzung« von rechter und rassistischer Gewalt, heißt es. Angesichts dessen sei es umso wichtiger, an deren Opfer zu erinnern. Ihre Namen und Geschichten seien in der Chemnitzer Stadtgesellschaft bisher »noch sehr unbekannt und unsichtbar«, was sich ändern müsse. Die Rede ist von einem »Akt der Verantwortungsübernahme«.

Zu diesem Zweck solle in der Stadt in zentraler Lage ein Kunstwerk entstehen, das um digitale Angebote und ein Vermittlungsprogramm ergänzt wird. Es gehe um eine »physische Intervention im öffentlichen Raum«, heißt es. Wie der Gedenkort gestaltet sein soll, bleibt offen: »Das überlassen wir den Künstlerinnen und Künstlern, die sich am Wettbewerb beteiligen«, sagt Arlo Jung. Allerdings werden in dem 81-seitigen Konzept recht detaillierte gestalterische Vorgaben artikuliert. So sollen alle Ermordeten mit Namen und Lebensdaten erwähnt sowie die »Gefahren rechter Ideologien und die Notwendigkeit der Solidarität mit den Betroffenen dargestellt« werden. Betont wird, der Erinnerungsort solle »nicht des NSU gedenken, sondern der Betroffenen der Taten«. Hergestellt werden soll er aus langlebigem und »vandalismusresistentem« Material. Dieser Hinweis erfolgt aus gutem Grund: In Zwickau wurden 2019 ein Gedenkbaum für Enver Şimşek, das am 11. September 2000 ermordete erste Opfer des NSU, und eine danebenstehende Bank zerstört.

Bei Re:member the future hofft man, dass sich die Stadt den Vorschlag für einen Gedenkort zu eigen macht. Idealerweise könne der Stadtrat das noch in diesem Jahr beschließen, sagt Arlo Jung, räumt aber ein, dass das Konzept bisher nicht offiziell an die Stadtspitze übergeben wurde. 2024 könnte ein künstlerischer Wettbewerb folgen. Am Ende des Jahres 2025, in dem Chemnitz Europäische Kulturhauptstadt sein wird, könnte der Gedenkort fertig sein. Die Kosten für dessen Errichtung samt Wettbewerb beziffert die Initiative auf 200 000 Euro.

Wie die Stadt auf den Vorstoß reagiert, bleibt abzuwarten. Im Frühjahr hatte es aus den Rathäusern von Chemnitz und Zwickau schon eher verhaltene Reaktionen auf eine Konzeptstudie für ein NSU-Dokumentationszentrum gegeben, das Hinterbliebene der Opfer und viele Vereine und Initiativen seit Jahren fordern und dessen Errichtung mittlerweile von Bund und Freistaat Sachsen befürwortet wird. In einer gemeinsamen Stellungnahme mahnten beide Kommunen zwar zu Demokratiebildung, der Behandlung des Themas NSU in Schulen und weiterer Aufklärung durch den Freistaat, äußerten sich aber skeptisch zu der vorgeschlagenen, von einer Stiftung getragenen festen Einrichtung zur Aufarbeitung. Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) hatte daraufhin an beide Städte appelliert, sich »nicht wegzuducken«.

Fest geplant ist zunächst ein »Interims-Dokumentationszentrum« als Teil der Chemnitzer Aktivitäten als Kulturhauptstadt Europas. Dessen Basis soll die Ausstellung »Offener Prozess« sein. Ein eigener Chemnitzer Gedenkort werde dadurch nicht überflüssig, betont Arlo Jung. Zum einen sei offen, ob Chemnitz tatsächlich Standort des späteren, permanenten Dokumentationszentrums werde. Zum anderen sei dieses »eine Einrichtung, die man gezielt aufsucht«; der Gedenkort dagegen solle zufällige Konfrontationen mit dem Thema im Stadtraum bewirken: »Zwischen beidem gibt es eine Wechselwirkung. Beides ist nötig.«

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