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Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz vor langem Prozess
Österreichs ehemaliger Bundeskanzler muss sich wegen Falschaussage vor Gericht verantworten
Der Vorwurf: Falschaussage unter Eid. Das drohende Strafmaß: bis zu drei Jahre Haft. Nach langem Hin und Her startet am Mittwoch das Strafverfahren gegen Österreichs ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz sowie zwei Mitangeklagte.
Das erste Mal seit 30 Jahren steht ein Ex-Kanzler in Österreich vor Gericht. Es handelt sich dabei aber keinesfalls um ein Verfahren gegen einen gefallenen Politiker im Abseits, viel mehr zeichnet sich ein Showdown rund um einen Ex-Kanzler ab, der zuletzt wieder vermehrt in die Öffentlichkeit drängte. Das Verfahren ist politisch extrem aufgeladen. Und die Anklage steht nach politischen Attacken unter großem Erfolgsdruck. Denn, so Politikberater Thomas Hofer: »Die Justiz ist in Österreich massiv auf dem politischen Spielfeld gelandet.«
Kurz legt es auf eine komplette Reinwaschung an. Schon vor Prozessbeginn hat er in einer schriftlichen Mitteilung an das Gericht seinen Freispruch beantragt. In einem Schreiben, das sein Anwalt Otto Dietrich dem Richter übergab, heißt es: Bei der Anklage der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) handele es sich »nicht einmal um sachliche und objektive Begründungen, sondern um eine bloße Anhäufung von Scheinargumenten«.
Vorgeworfen wird Kurz, vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss unter Eid die Unwahrheit gesagt zu haben. In der Befragung am 24. Juni 2020 war Kurz zu den Umständen der Bestellung des Vorstandes der staatlichen Beteiligungsholding ÖBAG befragt worden. Konkret ging es um die Besetzung des hoch dotierten Allein-Vorstandspostens mit einem Vertrauten Kurz’: Thomas Schmid.
Kurz’ Darstellung der Dinge: Er sei über die Bestellung Schmids informiert, aber nicht involviert gewesen. Die Sichtweise der WKStA basierend auf Chat-Protokollen sowie Aussagen Schmids: Kurz sei sehr wohl involviert gewesen. Das Pikante daran: Schmid war vor dieser Beförderung Generalsekretär im Finanzministerium und als solcher für die Ausschreibung des ÖBAG-Jobs selbst verantwortlich. Auf sein Betreiben wurde etwa ein Passus in der Ausschreibung zu »internationalen Erfahrungen« gestrichen.
Zwei Wochen vor seiner Bestellung schrieb Schmid dann an Kurz, um sich seiner Bestellung zu versichern. Kurz’ Antwort: »Kriegst eh alles, was du willst.« Und bereits Wochen vor dem eigentlichen Hearing Schmids war im Finanzministerium damit begonnen worden, einen Nachfolger für Schmid zu suchen.
Ein zweiter Anklagestrang betrifft ähnliche Vorgänge um die Berufung des FPÖ-Politikers Peter Sidlo in den Vorstand der Casinos Austria (zu einem Drittel in Staatsbesitz). Der Verdacht: Im Austausch gegen die Berufung habe es Zusagen bei der Vergabe von Glücksspiellizenzen gegeben.
Mitangeklagt sind in dem Verfahren die ehemalige ÖVP-Vizeparteichefin Bettina Glatz-Kremsner sowie der Kurz-Vertraute und Ex-Kabinettschef im Bundeskanzleramt, Bernhard Bonelli. Für die Verhandlung anberaumt sind bisher drei Termine bis zum 23. Oktober. Ausgegangen wird aber davon, dass das Verfahren länger dauern wird.
Das liegt vor allem an der Zeugenliste. Die WKStA hat die Vorladung von 18 Zeugen beantragt. Darunter viel Prominenz: Etwa die Ex-Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) und Gernot Blümel (ÖVP) sowie Ex-Vizekanzler und Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und auch Thomas Schmid. Außerdem den Industriellen Siegfried Wolf und den Ex-Raiffeisen-Generalanwalt Walter Rothensteiner. Die Verteidigung könnte die Ladung weiterer Zeugen beantragen.
Das Verfahren ist der vorläufige Höhepunkt in einem seit Jahren kochenden Konflikt zwischen ÖVP und Justiz. Schon vor Anklageerhebung hatte Kurz WKStA und Medien direkt attackiert. Der Tenor: Es handele sich um eine Intrige linker Netzwerke in Anklagebehörde sowie Medien.
Die ÖVP hat auch nach Kurz’ Abgang von der Parteispitze diese »Opfer-These«, wie es Thomas Hofer nennt, beibehalten. Der Politikberater dazu: »Weil alles in dem Verfahren in Richtung eines Systems geht.« Die ÖVP sowie Kanzler und Parteichef Karl Nehammer täten sich zudem schwer, sich inhaltlich von der Ära Kurz zu lösen.
So steht hinter dem Verfahren letztlich auch die Frage, ob Kurz eine politische Rückkehr plant. Thomas Hofer dazu: »Es bräuchte davor tatsächlich Freisprüche oder keine weiteren Anklageerhebungen.« Schließlich gibt es weit mehr Verdachtsmomente gegen Kurz. Etwa den Vorwurf, aus dem Bundesbudget finanzierte und im Sinne von Kurz manipulierte Umfragen seien gegen Geldzuwendungen aus Budgettöpfen in Medien platziert worden. Dagegen, so Hofer, sei der jetzt verhandelte Vorwurf eine eher kleine Sache.
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