Kolumbien blickt nach Afrika

Jerónimo Delgado über den Wandel in der Außenpolitik unter Gustavo Petro und Francia Márquez

  • Interview: Sara Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Afrika-Besuche der afrokolumbianischen Vizepräsidentin Francia Márquez und die von der Linksregierung festgelegte Afrikastrategie für 2022 – 2026 sind ein Signal für einen Wandel in der Außenpolitik. Bisher kam Kolumbien nur bei kulturellen Themen oder punktuell für den Austausch von Expertenwissen, wie der Demobilisierung illegal bewaffneter Gruppen, mit Afrika zusammen. Was bedeutet der neue Blick nach Afrika in der Praxis für Kolumbien?

Es handelt sich zweifellos um eine Veränderung, die es so noch nie gegeben hat und extrem interessant ist: Es ist das erste Mal, dass Afrika einen Platz in einem Präsidenten-Diskurs einnimmt, da die Vielzahl von afrikanischen Ländern bei den ehemals rechten Regierungen nicht wichtig war. Bemerkenswert ist, dass das Interesse von der Vizepräsidentschaft ausgeht und nicht von der Staatskanzlei. Diese arbeitet auf Regierungswollen erstmals an einer Afrikastrategie. Bisher wurde nur in sehr speziellen Momenten zusammengearbeitet, beispielsweise wenn Kolumbien Stimmen in den Vereinten Nationen brauchte. Es werden Botschaften in Äthiopien und Senegal eröffnet und Ghana wird als erstes Land der Subsahara eine Botschaft in Kolumbien einrichten. Generell gibt es Dialoge zu sehr vielen verschiedenen Themen. Ein wichtiger Diskurs betrifft die afrikanischstämmige Bevölkerung Kolumbiens, den Francia Márquez neu bewertet und als Eintrittstor nach Afrika nutzt. Die Gemeinsamkeiten, die unser Land mit Afrika verbinden, öffnen Türen für weitere Zusammenarbeit: an den Hochschulen, bei der Energiewende, Handelsbeziehungen, Fluglinien und Visaerleichterungen. Wir sehen deshalb eine neue Art der Annäherung an den Kontinent.

Welches Potenzial besteht in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht?

Interview

Jerónimo Delgado ist Professor Afrika-Studien an der Universität Externado in Bogotá. Er spricht Afrikaans und hat lange Zeit in Südafrika gelebt und setzt sich für eine engere Zusammenarbeit seines Heimatlandes mit dem afrikanischen Kontinent ein.

Wir können noch nicht von Ergebnissen sprechen und auch nicht erwarten, dass diese sehr bald sichtbar werden. Wir beginnen erst die Grundsteine zu legen. Die Länder, die wichtig für Kolumbien sein könnten, hat die Vizepräsidentin dieses Jahr besucht: Südafrika, Kenia, Äthiopien und Ghana. In drei dieser vier Staaten haben wir bereits Botschaften, die nötig sind, um künftig stabile Beziehungen aufzubauen. In Kolumbien haben momentan nur nordafrikanische Länder Botschaften. Die Ankündigung Ghanas, als erstes Land der Subsahara eine Botschaft in Kolumbien zu eröffnen, ist ein erstes Resultat der neuen Afrikapolitik. Aktuell ist es sehr kompliziert für kolumbianische Staatsbürger, in diese Länder zu gelangen. Es gibt nicht einmal Direktflüge und unser Reisepass muss in die Botschaft nach Venezuela geschickt werden – dabei verliert man einen Monat. So können keine dauerhaften Beziehungen entstehen, man muss diese pflegen. Gegenwärtig ist es noch nicht absehbar, ob die Annäherung von Dauer ist. Man muss bedenken, dass die Initiative von der Regierung kommt und diese könnte in drei Jahren wieder verschwinden. Niemand gewährleistet das Interesse kommender Regierungen an Afrika. Die Außenbeziehungen Kolumbiens werden von Regierungen und nicht vom Staat gemacht.

Was könnte die Hinwendung zum afrikanischen Kontinent für die Region Lateinamerika bedeuten?

links-AusrichtungLateinamerika hängt in den Afrika-Beziehungen hinterher. Dem Rest der Welt ist die Bedeutung des Kontinents längst bewusst. Aber: Lateinamerika ist kein Staatenblock und funktioniert auch nicht so. Bisher hat die Region ihre Kluft zwischen links und rechts und zwischen den einzelnen Ländern nicht überwinden können. Die Konflikte der rechten kolumbianischen Regierungen bis zum Amtsantritt des linken Petro 2022 und den linken venezolanischen Regierungen von Hugo Chávez und Nicolás Maduros sind kein Geheimnis. Das machte eine gemeinsame außenpolitische Zusammenarbeit unmöglich. Es gibt nur zwei Länder, die historisch gesehen Beziehungen zu Afrika aufgebaut haben: Kuba seit den 1960er Jahren und Brasilien, insbesondere während Lulas erster Regierungszeit (2003-2010). Das war es auch schon mit den Beziehungen zu Afrika. Andere Länder wie Uruguay, Argentinien, Mexiko, Chile, Venezuela und auch Kolumbien haben bisher nur eine »Blitzlicht-Politik« zu Afrika aufgebaut, die bestimmten Zwecken diente. Länder wie Panama, Bolivien, Paraguay oder Honduras sehen Afrika nicht als ihre Priorität. Ich denke auch nicht, dass es künftig eine kontinentale Annäherungspolitik in Richtung Afrika geben wird.

Könnten sich die traditionellen Verbündeten Kolumbiens – insbesondere die USA und die Europäische Union – durch die neue Politik vor den Kopf gestoßen fühlen?

Es ist wichtig klarzustellen, das habe ich auch der aktuellen Regierung gesagt, Afrika muss keine Priorität für Kolumbien werden, aber es müssen bis zu einem gewissen Punkt stabile Beziehungen aufgebaut werden. Es ist ein Unterschied, ob man gar keine Beziehungen zu einem Erdteil führt oder diese auf ein Niveau anhebt, das den beteiligten Parteien nützen könnten. Das Ziel ist nicht, den Westen, die USA oder Asien in der Außenpolitik zu ersetzen, sondern dauerhafte Beziehungen zu schaffen, die auf beiden Seiten des Atlantiks Vorteile bringen.

Die Reden des Präsidenten zu globalen Themen vor Gremien wie den Vereinten Nationen (UN) zeigen, dass Kolumbien beabsichtigt, eine größere Rolle auf der Weltbühne zu spielen. Mit seinem »Marshall-Plan gegen den Klimawandel« möchte Gustavo Petro eine führende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen. Welche Rolle spielen die afrikanischen Länder bei diesem Ziel?

Hier spielen besonders die Länder eine Rolle, in denen Kolumbien eine Botschaft hat, da Ziele so schneller erreicht werden können. Ghana, Kenia und Südafrika sind die Türen, durch die Kolumbien nach Afrika anfängt einzutreten. Besonders die Botschaft in Ghana war immer schon sehr aktiv, aber wie weit neue Allianzen gehen werden, muss man beobachten. Wir wissen nicht, wie effektiv Kolumbien sein wird, dauerhafte Verbindungen mit weiteren Ländern Afrikas aufzubauen. Bisher arbeiten wir nur vertieft mit Ghana, sonst mit keinem anderen Land. Es ist abzuwarten, wie Ghana zur Integration Kolumbiens in Afrika beiträgt.

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