Die Vinfast-Win-Situation

Ein Elektroautobauer aus Vietnam drängt nach Europa. Er spielt in einer Liga mit Tesla und Toyota

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer durch den Flughafen von Hanoi schlendert, kann einem Plakat kaum entkommen: Darauf rast eine bunte Staffelung blitzender Fahrzeuge auf den Betrachter zu. Sie sehen sauber aus, technisch anspruchsvoll, bewegen sich auf ebenem Untergrund und vor einer modernen Metropole im Hintergrund. Der Werbespruch lautet »Destination Future«. Wer hier wirbt, verrät die obere Bildecke: Vinfast.

Eine weltweit bekannte Marke ist dieser vietnamesische Autohersteller noch nicht, aber das könnte sich in den kommenden Jahren ändern. Im Zentrum der deutschen Hauptstadt betreibt Vinfast bereits einen Showroom. Und Ende September kündigte die Konzernzentrale in Hanoi an, noch in diesem Jahr werde man die ersten vietnamesischen Elektroautos an Kunden in Europa liefern. Von einigen Tausend Bestellungen ist die Rede; fortan sollen die Verkaufszahlen deutlich steigen. Vinfast lässt keine Zweifel: Jenen Teil der Welt, in dem die Autos einst erfunden wurden, will man jetzt überholen.

Gerade gegenüber der bisweilen behäbigen deutschen Automobilbranche ist der Vorstoß des vietnamesischen Unternehmens eine bemerkenswerte Kampfansage. Schließlich tun sich Hersteller aus Europa – auch im Vergleich zur Konkurrenz aus Japan und Südkorea – seit Jahrzehnten schwer damit, die Herausforderungen durch den Klimawandel anzunehmen, wozu der Abschied von Verbrennermotoren gehört. Nun kommt auch noch ernst zu nehmende Konkurrenz zahlreicher Marken vor allem aus China, aber eben auch aus dem asiatischen Schwellenland Vietnam.

Verblüffend ist an Vinfast so einiges: zum Beispiel das Marktsegment, in dem sich das Unternehmen mit weltweit bekannteren Autobauern messen will. Der VF-9, ein Siebensitzer, von dem nun die ersten Exemplare auf europäische Straßen kommen, kostet gut 60 000 Euro. Damit ist das Flaggschiffmodell zwar deutlich billiger als ein Tesla, aber ähnlich teuer wie das Wasserstoffauto Mirai von Toyota oder der eVito von Mercedes. Und die Bewertungen von Autoexperten sind positiv – etwa die Reichweite und die zehnjährige Garantie werden gelobt.

In der Vergangenheit sind Neulinge auf dem Automarkt eher mit Billigmodellen und Kampfpreisen eingestiegen. Vinfast aber will als Produzent von Qualitätsprodukten wahrgenommen werden. Und dies bei wenig Erfahrung. Gegründet wurde der Autobauer im Jahr 2017, einer internationalen Öffentlichkeit wurden die ersten E-Autos des Unternehmens beim Pariser Autosalon 2018 bekannt. Danach eroberte Vinfast den Heimatmarkt, plant derzeit Milliardeninvestitionen in Indonesien. Mit der Expansion nach Europa und in die USA soll 2024 die Gewinnschwelle erreicht werden.

In Vietnam ist Vinfast mehr als nur ein Autohersteller. Vor 50 Jahren, als sich nach dem zwei Jahrzehnte wütenden Vietnam-Krieg das US-Militär endlich zurückgezogen hatte, gehörte das südostasiatische Land noch zu den ärmsten Flecken der Welt. Als die seither regierende Kommunistische Partei Mitte der 80er Jahre das private Unternehmertum erlaubte, begann die Volkswirtschaft zunächst zu florieren, bald zu boomen. Vietnam ist längst nicht mehr nur für Agrarprodukte wie Reis oder Kaffee sowie Billigtextilien bekannt. Das Land industrialisiert sich in hohem Tempo.

Vinfast gehört zur Spitze dieser Entwicklung. Wobei der Gründer Pham Nhat Vuong, der als reichster Mann Vietnams gilt, mit seiner Vingroup eine ganze Reihe von Marktführern und Industriefirmen geschaffen hat. In dem Land kann man sich vor Unternehmen, deren Namen mit dem Präfix »Vin« beginnen, kaum retten. Die Konzerngruppe hat im vergangenen Jahr umgerechnet rund 4 Milliarden Euro umgesetzt – und die Autotochter ist dabei noch ein kleines Licht.

Vinmec betreibt Krankenhäuser, Vinsmart bietet Smartphones an. Mehrere andere Techprodukte laufen unter dem Namen Vintech. Wer durch Vietnam reist, könnte zudem in einem Resort von Vinpearl unterkommen. In dessen Nähe findet sich womöglich ein Vergnügungspark von Vinwonder. Und zur Ausbildung des nationalen Nachwuchses stehen Vinschool und Vinuniversity bereit – schließlich boomt in Vietnam nicht nur der Tourismus, sondern auch der Bildungssektor. Apropos Boom: Im Bausektor macht die Vingroup bisher rund die Hälfte ihrer Umsätze.

Kapital für neue Investitionen ist im Hause Vin also vorhanden. Und Optimismus auch: Pham Nhat Vuong, der einst durch ein Austauschprogramm einen Studienplatz im kommunistisch verbrüderten Moskau erhalten hatte, startete seine Unternehmerkarriere als junger Mann in den 90er Jahren – mit einem vietnamesischen Restaurant in der Ukraine. Später wurde er der erste Milliardär seines Landes. Und nun könnte er auch noch der Mann werden, der den Europäern vormacht, wie man E-Autos baut, auf den Markt bringt und damit Geld verdient.

Dieser scheint ihm das zuzutrauen: Kurz nach dem Börsengang im August schoss die Vinfast-Aktie förmlich in die Höhe. Damit erreichte das vietnamesische Unternehmen, das es erst seit einem halben Jahrzehnt gibt, eine Marktkapitalisierung von 191 Milliarden US-Dollar. Es stand damit plötzlich im weltweiten Ranking der Autobauer auf Platz drei – hinter Tesla und Toyota.

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